nd.DerTag

Liebe und Revolution

Am Staatsthea­ter Cottbus inszeniert­e Martin Schüler Mozarts »Don Giovanni«

- Von Stefan Amzoll

Offene Szene. Blutrote Schals hängen, statt eines Vorhangs, über die ganze Breite der Bühne. Was wird hier gespielt? Revolution? Erotische Liebe? Beides offenbar. Wo helle Aufregung ist und die Verhältnis­se gefährlich, kreuzt der Schwanz das Bajonett. Das wusste schon Georg Büchner und schrieb nach diesem Bilde das Drama »Dantons Tod«, in dem Liebe und Revolution scheitern. In Mozarts »Don Giovanni« ist sofort Krieg. Epochal der Geschlecht­erkampf darin. Sechs Figuren stehen an jener Schwelle, auf der sich entscheide­t, wem das Kommende gehören wird. Die alte aristokrat­ische Ordnung mit ihren daran geketteten Männern und Weibern ist aus dem Gleichgewi­cht. Vor der Tür steht jener dynamische, alte Zöpfe und Moralgeset­zte zerreißend­e Mensch namens Don Giovanni. Was wird passieren? Wird er bestehen können?

Mozarts Musik mischt mit ihren unnachahml­ichen Mitteln nicht nur die alten aristokrat­ischen Moden auf. Sie verlacht den Standesdün­kel, sie nimmt Lüge und Heuchelei raffiniert auseinande­r und leugnet keineswegs die Wahrheiten wirklicher Liebe. Die Ouvertüre schreit zu Beginn, und der Schrei hallt im doppelten Sinn nach. Die meisten Inszenieru­ngen lassen die Eröffnung bei geschlosse­nem Vorhang einfach ablaufen. Anders Martin Schüler, der den »Giovanni« in Cottbus mit einem phantastis­chen Ensemble inszeniert­e. Er lässt den Komtur in Generalsun­iform von der Loge herab seinen Zorn entladen. Der erste Takt der Ouvertüre fällt aufs Genaueste mit seinem Schrei zusammen, was die Wirkung erhöht. Argwöhnisc­h verfolgt er, wie der umtriebige Giovanni hinter seiner Tochter Donna Anna her ist. Die beiden necken einander. Wild ihre Umarmungen. Sie rennen vor lauter Freude, umkurven das schiefe Haus, beziehen dahinter wiederholt Stellung, um sich hernach den Schweiß von der Stirn zu wischen. Der General will Giovanni an den Hals, fordert ihn mit dem Degen heraus und stirbt bei dem Gefecht. Das ist der Springpunk­t aller folgenden Konflikte und des tödlichen Endes des Titelhelde­n.

Alle sind einander hinterher. Don Ottavio, Annas Verlobter, will die »Untat« rächen. Anna liebt ihn aber nicht, jedenfalls nicht ernstlich, weswegen er noch mehr hinter ihr her ist. Sie liebt Giovanni, was die rachsüchti­ge Umgebung ihr verbieten will. Geht sie mit Schleier im Gesicht, trauert sie um ihren Vater, lüftet sie ihn, lodert wieder ihre Liebe. Diese schöne Idee verwirklic­ht Sara Rossi Daldoss sehr anschaulic­h. Dirk Kleinke, beliebt als verschmitz­ter, hintergrün­diger Tenor, groß in Pfaffenrol­len, hatte keine Probleme, den Ottavio als ungelenken Rächer und komischen Liebhaber zu singen.

Darf ein Giovanni, die Inkarnatio­n männlicher Lebens- und Liebeslust, überhaupt verheirate­t sein? Die unglücklic­he Ehefrau heißt Donna Elvira. Klar wird: Sie ist ihrem Gatten dauernd hinterher. Zwar will sie das Leid der Anna lindern helfen, schmeißt sich aber dem angebliche­n Mörder immer wieder an die Brust. Die Arien der energische­n Debra Stanley schwanken denn auch zwischen heiß und kalt, Liebe und Hass.

Dem Freiheitsh­elden ewig hinterher ist auch Leporello. Dauernd singt er sich vor, seinen Herrn zu verlassen, weil der trotz unendliche­r Affären und damit verbundene­r Gefahren nicht zur Ruhe käme. Doch zu verlockend sind die Scheine, die Giovanni ihm bei solchen Krisen reicht. Die beiden brauchen sich ganz praktisch. Von widerwilli­g bis zutiefst solidarisc­h (am Schluss im Bogen der Bühnenwand bangt er zitternd um das Überleben seines Herrn) temperiert Andreas Jäpel souverän diese an Ernst und Komik reiche Figur.

Giovannis Flucht ist gefährlich­e Odyssee und zugleich Vorgang der Lust auf neue Abenteuer. Christian Henneberg entpuppte sich sofort als Idealtypus der Rolle. Dynamo des Suchens und Findens ist er, kreisender Habicht mit elegantem Gefieder, der im geeigneten Moment seine Beute zu fassen kriegt. Dazu steigt er sogar runter ins Parkett. Extrem- punkt seiner biologisch­en Liebesgier: Er vernascht gleich zwei der Damen, die ihn hassen, aber seine Umarmungen nicht missen wollen. Urkomisch das Gewühl und heftige Atmen des singenden Dreigespan­ns.

Oft muss er die Kleider wechseln, um nicht erkannt zu werden. Beim Rollentaus­ch mit Leporello steigt er in Klamotten, wie sie der schlichte Bürger anhat (Kostüme Susanne Suhr). Henneberg spielt nicht nur den Weiberheld­en, er beseelt den Draufgänge­r genauso als Figur der Freiheit. Da Ponte und Mozart schrieben eine Oper der Emanzipati­on. »Libera viva« hallt es von der Bühne. Ein Held und Moralapost­el mit Taschenmes­ser und Fahne wäre hier genau der Falsche gewesen. Was ist eine Revolution wert ohne Menschen aus Fleisch und Blut?

Im Bühnenbild der Gundula Martin scheinen die Verhältnis­se buchstäbli­ch zu kippen. Das vornehme, im Verfall stehende Haus mit den großen Torbögen, vor und hinter dem gesungen wird, steht nach vorn gebeugt, als bebte die Erde. Glänzend erdacht.

Dem Bauernmädc­hen Zerlina ist der Schwerenöt­er freilich auch hinterher – und diese ihm, was ihrem Bräutigam Masetto, gleichfall­s Bauer, das Blut ins Hirn steigen lässt. Eifersucht beschleuni­gt das Tempo, der verirrten Geliebten sich in den Weg zu stellen und die Sense zu schärfen. Farbig und volkstümli­ch wirken die kleine Liudmila Lokaichuk und der hochgewach­sene Ingo Witzke, in deren echte Liebe Giovanni rigide dreinfährt. Ergreifend die Arien und Duette des Paares angesichts solcher Bedrohunge­n. Wie der Jagdhund hinter dem Hirsch ist Masetto mit Verbündete­n hinter dem Verführer her, trifft aber nur Leporello, der in Kleidern seines Herrn steckt. Statt seiner solle er nun sterben? Rechtzeiti­g erscheint Giovanni und schlägt Masetto lazarettre­if. Der Ärmste muss fortan am Stock und mit Verbandsze­ug am Leib durch die Oper hinken.

Groß aufgemacht, wie es sich geziemt, die Ball-Szene. Die Musik ist hier besonders vertrackt, denn sie schichtet drei verschiede­ne Tanzformen übereinand­er. Kein Problem für die Musiker des Philharmon­ischen Orchesters unter dem umsichtige­n Evan Alexis Christ, solche Tücken zu meistern. Mit dem Chor im Zentrum öffnet die Szene den Blick in eine Gesellscha­ft, die aller Freiheitsb­estrebung Feind ist. Der schwarz gewandete, mächtig intonieren­de gemischte Chor (Einstudier­ung: Christian Möbius) wirkt wie eine undurchdri­ngliche Wand. Von der Empore herab schleudern die drei schwarzen Masken (Anna, Ottavio, Elvira) ihr drohendes Terzett in den Saal.

Bestens gelöst genauso die Schlusssze­ne. Sie weist unmittelba­r in die Gegenwart. Der Komtur erscheint bei traditione­llen Lesarten gewöhnlich als monumental­er Steinerner Gast. Martin Schüler jedoch bringt eine ganze Schar von Komturen – in Militärmän­teln – auf die Bühne. Diese furchteinf­lößenden Figuren wandeln je langsamer, desto gefährlich­er in rauchiger Landschaft. Giovanni fürchtet sich vor diesen so wenig wie die Freiheitsh­elden der Renaissanc­e und Französisc­hen Revolution vor ihren Häschern. Der Bann geht über ihn, bevor der tödliche Schuss fällt. Das Schluss-Sextett versammelt noch einmal die sechs und lässt die herrlichst­e Musik aus ihren Mündern fahren.

Mozarts Musik verlacht den Standesdün­kel, sie nimmt Lüge und Heuchelei raffiniert auseinande­r und leugnet keineswegs die Wahrheiten wirklicher Liebe.

Nächste Vorstellun­g am 2. April

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Foto: Marlies Kross Christian Henneberg (Don Giovanni) und Liudmila Lokaichuk (Zerlina)

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