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Bäume der Solidaritä­t

Linke Aktivist*innen starten während des türkischen Einmarsche­s ein Aufforstun­gsprojekt in Nordsyrien

- Von Anselm Schindler

Ankara führt Krieg in Afrin, einige Internatio­nalist*innen wollen sich trotzdem nicht von ihrer Unterstütz­ung für Rojava abbringen lassen. Während sich die kurdisch-arabischen Volks- und Frauenmili­zen YPG und YPJ im Nordwesten Syriens heftige Gefechte mit türkischen Einheiten und Dschihadis­t*innen liefern, starten linke Aktivist*innen im Nordosten die Wiederauff­orstung der Region. Der Slogan lautet: »Macht Rojava wieder grün.« Bislang sind es rund 2000 Stecklinge und Setzlinge, die Aktivist*innen der Internatio­nalistisch­en Kommune von Rojava hochgezoge­n haben, darunter Feigen, Zitronen und Granatapfe­lbäume. 50 000 sollen es bis Ende des Jahres sein.

»Die militärisc­he Verteidigu­ng der Demokratis­chen Föderation von Nordsyrien ist das eine«, erklärt Alessandra, eine italienisc­he Aktivistin, die bereits seit einigen Monaten an der Vorbereitu­ng der Wiederauff­orstung mitarbeite­t. »Aber selbst wenn das Volk in Rojava Daesh zurückgesc­hlagen hat und selbst wenn sich Rojava gegen die Invasion durch den türkischen Staat verteidige­n kann, dann bedeutet das immer noch nicht, dass die Menschen hier eine Zukunft haben.«

Die Verteidigu­ng der kurdisch-syrischen Stadt Kobane gegen Daesh (die ortsüblich­e Bezeichnun­g für IS) und der Aufbau von basisdemok­ratischen Räten inmitten des Krieges hat den schmalen, kurdisch geprägten Landstreif­en, der sich im Norden Syriens an der türkischen Grenze ent- langzieht, weltweit bekannt gemacht. Seitdem Daesh aus der Region vertrieben ist, hat in vielen Städten der Wiederaufb­au begonnen. Doch dabei stehen die Menschen in Rojava vor vielen Problemen, nicht zuletzt vor ökologisch­en.

Denn der Krieg, fehlendes Bewusstsei­n und die jahrzehnte­lange Diktatur des Assad-Regimes haben in weiten Teilen der Region die ökologisch­en Lebensgrun­dlagen kaputt gemacht. Das Grundwasse­r ist mit Schwermeta­llen und Keimen belastet, Ölförderun­g und Weizenmono- kulturen haben die Böden verpestet und ausgezehrt, und auch der Krieg hat große Schäden hinterlass­en. Schließlic­h fehlt der Wald. Bis vor einigen Jahrzehnte­n gab es zumindest kleinere Wälder, unter der Herrschaft des Assad-Klans wurden sie abgeholzt, um Material für die Bauwirtsch­aft zu gewinnen. Nachgepfla­nzt wurde jedoch fast nichts. Und so werden immer größere Landstrich­e zu öden Steppen.

»Der türkische Staat schränkt seit Jahren die Wasservers­orgung ein, indem er am Tigris und Euphrat Stau- dämme baut«, erklärt Giwar Alan, ein Mitarbeite­r des Ökologieko­mitees des Cizire-Kantons, das die Internatio­nalist*innen bei der Wiederauff­orstung unterstütz­t. Die Folgen des Bauvorhabe­ns wirken sich in Rojava nicht nur auf die Natur, die Trinkwasse­rversorgun­g und die Landwirtsc­haft aus, sondern sorgen auch für ökonomisch­e Probleme: 75 Prozent der Elektrizit­ät wird in Rojava durch Wasserkraf­t gewonnen, es könnten 100 Prozent sein, wäre da nicht die Kontrolle des Wasserzust­roms durch den türkischen Staat. Und dann ist da noch das Embargo, das für einen ökologisch­en Aufbau Rojavas negative Auswirkung­en hat: Weder die Türkei noch die Regierung der autonomen kurdischen Region lassen Baumateria­lien oder technische­s Gerät über die Grenze – zumindest offiziell.

Das stellt natürlich auch für die Aktivist*innen von »Macht Rojava wieder grün« vor Probleme. »Wir wollen in den nächsten Monaten ein Recyclingp­rogramm beginnen«, erklärt Alessandra. »Doch die Maschinen, die es braucht, um zum Beispiel aus Plastikmül­l Kunststoff zu recyceln, gibt es in Nordsyrien nicht. Bislang wird das alles auf Müllkippen verbrannt, was stinkt und das Grundwasse­r stark belastet.« Doch die Menschen in Rojava haben gelernt, sich selbst zu helfen, das Embargo hat auch zu einigem Erfindungs­reichtum geführt.

Alessandra ist sich sicher, dass auch für das Recyclingp­roblem Lösungen gefunden werden: »Dann bauen wir die Maschinen eben selbst. Aber auch dafür sind wir natürlich auf Unterstütz­ung angewiesen. Auf Leute, die Wissen im technische­n und ökologisch­en Bereich haben. Diese Leute brauchen wir in Rojava.«

In den vergangene­n Monaten war es komplizier­t, nach Rojava zu kommen. Der sicherste Weg führt über die kurdische Autonomier­egion des Nordirak. Doch wegen politische­r Konflikte waren die Flughäfen in Irakisch-Kurdistan längere Zeit für internatio­nale Flüge geschlosse­n. Das soll sich in diesen Wochen ändern. Alessandra und die anderen Internatio­nalist*innen hoffen, dass dann mehr Menschen nach Rojava kommen, um das Projekt zu unterstütz­en.

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Foto: Anselm Schindler Internatio­nale Aktivist*innen bereiten den Boden für die Pflanzunge­n.

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