Ein Mann namens Stalin
Radu Tuculescu: Ein autobiographischer Roman als Spiegel der Geschichte
Ich sehe mich nicht allein mit den rumänischen Autoren oder mit den Bulgaren, Russen, Serben, Tschechen oder Polen aus meiner Weltgegend im Wettstreit, sondern mit allen Schriftstellern, die ich bewundere und liebe. Mircea Cărtărescu
Brückenschlag nach Osteuropa: Die Veranstalter der Leipziger Buchmesse sehen sich diesbezüglich in besonderer Verantwortung. Unter dem Motto »Zoom in Romania« werden in diesem Jahr über 40 Neuerscheinungen aus Rumänien vorgestellt. Rund 50 rumänische Autorinnen und Autorinnen werden sich in Veranstaltungen dem Publikum präsentieren.
Der kleine, aber feine Mitteldeutsche Verlag, wo man sich voriges Jahr schon um das Gastland Litauen bemühte, hat in diesem Zusammenhang den Roman »Stalin mit dem Spaten« von Radu Tuculescu herausgebracht. Um es vorab zu sagen: Wenn alles aus der rumänischen Literatur von heute so packend ist, dann, liebe Buchhändler, liebe Leser, nur zu!
»Stalin mit dem Spaten« ist ein Lied, das ein Fünfjähriger komponiert. Eine ausgedachter Text rund um den aufgeschnappten Namen Stalin, ohne wirkliches Wissen, wer das ist. Den Anstoß gibt ein Fest, das die Eltern mit Nachbarn und Freunden außer der Reihe, mitten in der Woche feiern. Ein Mann namens Stalin ist gestorben. Wer das war – ein Kind kann es nicht wissen. Die Stimme des fünfjährigen Adrian Loga aus einer kleinen rumänischen Provinzstadt beginnt das Erzählen im Wechsel mit der Stimme des erwachsenen Adrian nach dem Zusammenbruch des Ceauşescu-Regimes. Von Stalin ist auch gar nicht mehr die Rede. Erst auf den letzten Seiten kehrt sein Name in den Roman zurück. Bis dahin erfährt der Leser vom Erwachsenwerden des kleinen Adrian; von seinen Eltern, insbesondere vom tiefreligiösen Vater, der ein geachteter Arzt ist; von seinen ersten Liebesversuchen und schließlich von einem bösen Überfall durch eine Gruppe Hools, die ihm die Finger brechen, sodass er seine erträumte Karriere als Geiger begraben muss.
Dabei wollte er doch das Mädchen Ilona, zu dem er in heftiger Liebe entbrannt war, zur Frau nehmen. Doch sie verlässt ihn überraschend – es ist Mitte der 60er Jahre –, weil ihre Eltern mit ihr nach Israel auswandern. Der Liebende schwört, sie eines Tages als gefeierter Stargeiger in Israel zu überraschen. Der erwachsene Adrian hat inzwischen geheiratet, doch seine Frau ist nach Spanien gegangen, um als Landarbeiterin besseres Geld als in Rumänien zu verdienen. Dabei ist sie bei einem spanischen Mann geblieben.
Was Adrian bleibt, ist seine Tochter, Studentin im zweiten Jahr, die er abgöttisch liebt. Als er plötzlich in seiner Neubauplatte Besuch von einem jungen Mädchen erhält – kaum älter als sie –, die ihm Künstleralben verkaufen will, lockt der vereinsamte Mann sie in eindeutiger Absicht auf sein Sofa. Die Geschichte geht schlecht aus.
Am Ende bleibt die bittere Pointe eines TV-Beitrags, den Adrian zufällig sieht. Berichtet wird, dass Wladimir Putin auf einem Moskauer Kongress junger Historiker davon sprach, dass Stalin künftig wieder als einer der größten und wichtigsten Führer genannt werden möge. Dieser Schluss wirkt wie der gallebittere Kommentar zur Lebensgeschichte des Erzählers.
Die einigermaßen diskrete Abrechnung mit dem Diktator Stalin ist klug und vertraut auf den Leser. Dafür beschäftigt sich Radu Tuculescu, Jahrgang 1949, damit, wie er Humor in sein Erzählen bekommen kann. Das gelingt ihm recht gut. Beginnend mit der Erzählstimme des Fünfjährigen, wirken die ersten Jahre ein wenig wie die Lebenserinnerungen von »Alfons Zitterbacke«. Später wandelt sich die Sprache, wenn der Erzähler als junger Mann spricht. Da trägt das Ganze einen Hauch des Absurden, als stamme es vom rumänisch-französischen Theaterautor Eugène Ionesco. Dessen Stücke wird Tuculescu gut gekannt haben, hat er doch viel für Theater und Fernsehen in Rumänien gearbeitet.
Nicht alles gelingt ihm. Die Figur des erwachsenen Erzählers will so gar nicht die Endstufe des Jungen sein. Da ist viel moralischer Verfall eingetreten, der letztlich auch über das barbarische Ende des Romans entscheidet. Auch verliert das Erzählen bisweilen an Überraschung und wird etwas ausladend. Aber es gibt auch viele schöne Wendungen. Über die parteigetreuen Atheisten heißt es: »Auch die, die vom Affen abstammen, werden von Krankheiten befallen.«
Radu Tuculescus Roman ist, von kleinen kritischen Anmerkungen abgesehen, eine schöne überzeugende Entdeckung.