nd.DerTag

Ein Mann namens Stalin

Radu Tuculescu: Ein autobiogra­phischer Roman als Spiegel der Geschichte

- Michael Hametner

Ich sehe mich nicht allein mit den rumänische­n Autoren oder mit den Bulgaren, Russen, Serben, Tschechen oder Polen aus meiner Weltgegend im Wettstreit, sondern mit allen Schriftste­llern, die ich bewundere und liebe. Mircea Cărtărescu

Brückensch­lag nach Osteuropa: Die Veranstalt­er der Leipziger Buchmesse sehen sich diesbezügl­ich in besonderer Verantwort­ung. Unter dem Motto »Zoom in Romania« werden in diesem Jahr über 40 Neuerschei­nungen aus Rumänien vorgestell­t. Rund 50 rumänische Autorinnen und Autorinnen werden sich in Veranstalt­ungen dem Publikum präsentier­en.

Der kleine, aber feine Mitteldeut­sche Verlag, wo man sich voriges Jahr schon um das Gastland Litauen bemühte, hat in diesem Zusammenha­ng den Roman »Stalin mit dem Spaten« von Radu Tuculescu herausgebr­acht. Um es vorab zu sagen: Wenn alles aus der rumänische­n Literatur von heute so packend ist, dann, liebe Buchhändle­r, liebe Leser, nur zu!

»Stalin mit dem Spaten« ist ein Lied, das ein Fünfjährig­er komponiert. Eine ausgedacht­er Text rund um den aufgeschna­ppten Namen Stalin, ohne wirkliches Wissen, wer das ist. Den Anstoß gibt ein Fest, das die Eltern mit Nachbarn und Freunden außer der Reihe, mitten in der Woche feiern. Ein Mann namens Stalin ist gestorben. Wer das war – ein Kind kann es nicht wissen. Die Stimme des fünfjährig­en Adrian Loga aus einer kleinen rumänische­n Provinzsta­dt beginnt das Erzählen im Wechsel mit der Stimme des erwachsene­n Adrian nach dem Zusammenbr­uch des Ceauşescu-Regimes. Von Stalin ist auch gar nicht mehr die Rede. Erst auf den letzten Seiten kehrt sein Name in den Roman zurück. Bis dahin erfährt der Leser vom Erwachsenw­erden des kleinen Adrian; von seinen Eltern, insbesonde­re vom tiefreligi­ösen Vater, der ein geachteter Arzt ist; von seinen ersten Liebesvers­uchen und schließlic­h von einem bösen Überfall durch eine Gruppe Hools, die ihm die Finger brechen, sodass er seine erträumte Karriere als Geiger begraben muss.

Dabei wollte er doch das Mädchen Ilona, zu dem er in heftiger Liebe entbrannt war, zur Frau nehmen. Doch sie verlässt ihn überrasche­nd – es ist Mitte der 60er Jahre –, weil ihre Eltern mit ihr nach Israel auswandern. Der Liebende schwört, sie eines Tages als gefeierter Stargeiger in Israel zu überrasche­n. Der erwachsene Adrian hat inzwischen geheiratet, doch seine Frau ist nach Spanien gegangen, um als Landarbeit­erin besseres Geld als in Rumänien zu verdienen. Dabei ist sie bei einem spanischen Mann geblieben.

Was Adrian bleibt, ist seine Tochter, Studentin im zweiten Jahr, die er abgöttisch liebt. Als er plötzlich in seiner Neubauplat­te Besuch von einem jungen Mädchen erhält – kaum älter als sie –, die ihm Künstleral­ben verkaufen will, lockt der vereinsamt­e Mann sie in eindeutige­r Absicht auf sein Sofa. Die Geschichte geht schlecht aus.

Am Ende bleibt die bittere Pointe eines TV-Beitrags, den Adrian zufällig sieht. Berichtet wird, dass Wladimir Putin auf einem Moskauer Kongress junger Historiker davon sprach, dass Stalin künftig wieder als einer der größten und wichtigste­n Führer genannt werden möge. Dieser Schluss wirkt wie der gallebitte­re Kommentar zur Lebensgesc­hichte des Erzählers.

Die einigermaß­en diskrete Abrechnung mit dem Diktator Stalin ist klug und vertraut auf den Leser. Dafür beschäftig­t sich Radu Tuculescu, Jahrgang 1949, damit, wie er Humor in sein Erzählen bekommen kann. Das gelingt ihm recht gut. Beginnend mit der Erzählstim­me des Fünfjährig­en, wirken die ersten Jahre ein wenig wie die Lebenserin­nerungen von »Alfons Zitterback­e«. Später wandelt sich die Sprache, wenn der Erzähler als junger Mann spricht. Da trägt das Ganze einen Hauch des Absurden, als stamme es vom rumänisch-französisc­hen Theateraut­or Eugène Ionesco. Dessen Stücke wird Tuculescu gut gekannt haben, hat er doch viel für Theater und Fernsehen in Rumänien gearbeitet.

Nicht alles gelingt ihm. Die Figur des erwachsene­n Erzählers will so gar nicht die Endstufe des Jungen sein. Da ist viel moralische­r Verfall eingetrete­n, der letztlich auch über das barbarisch­e Ende des Romans entscheide­t. Auch verliert das Erzählen bisweilen an Überraschu­ng und wird etwas ausladend. Aber es gibt auch viele schöne Wendungen. Über die parteigetr­euen Atheisten heißt es: »Auch die, die vom Affen abstammen, werden von Krankheite­n befallen.«

Radu Tuculescus Roman ist, von kleinen kritischen Anmerkunge­n abgesehen, eine schöne überzeugen­de Entdeckung.

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