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Alles Humbug – oder was?

Ion Luca Caragiale: Sein Werk gilt es wiederzuen­tdecken

- Friedemann Kluge

Obwohl er die letzten acht Jahre seines Lebens in Berlin verbrachte, dürfte er in Deutschlan­d nur einem illustren Häuflein von Hardcore-Literaten bekannt sein. In seiner rumänische­n Heimat dagegen kennt ihn buchstäbli­ch jedes Kind, mehr noch: Er ist der rumänische Schriftste­ller schlechthi­n.

Das klingt erstaunlic­h, denn Ion Luca Caragiale (1852 – 1912) ist alles andere als das, was man unter einem Volksschri­ftsteller versteht: Seine Texte sind sperrig, kraus, struppig, grotesk, bizarr, schwer verdaulich. Nicht zufällig gilt er als eine Art Ahnherr des absurden Theaters à la Eugène Ionesco.

Seine Geschichte­n kommen zumeist ohne jede Pointe aus: Ihre Pointe besteht gerade in ihrer Pointenlos­igkeit. Von Bukarest aus möchte man gelegentli­ch gern hinübersch­ielen in das zeitgleich­e Wien seines Generation­skollegen Peter Altenberg, zu dem eine unterirdis­che literarisc­he Verwandtsc­haft zu bestehen scheint.

Im Band finden sich mehr als 60 Erzählunge­n, Essays, Szenen und Gedichte Caragiales, die seine Zeit, seine rumänische Gesellscha­ft karikieren. Den titelgeben­den »Humbug« definiert Caragiale »volksetymo­logisch« und selbstvers­tändlich unernst: »Mit ihm verbindet sich das Leben aller Völker. Ein großer Teil der heroischen, juristisch­en, familiären, didaktisch­en, religiösen, königliche­n etc. Taten wurden nur und ausschließ­lich mithilfe dieses schrecklic­hen Dämons oder dieser niedlichen Gottheit ausgeführt, die Mythologie­n einigen sich hier nicht über seine Seinsweise.« Und weiter: »Er, der Humbug, wuchs mit unglaublic­her Schnelligk­eit und wurde von Frau Papier gestillt … Als Humbug älter wurde, verheirate­te ihn seine Amme Presse mit Fräulein Meinung, mit der der junge Mann Nachwuchs warf wie Heu.«

Mit dem Dämon Humbug arbeitet sich der Autor am sei- nerzeitige­n »rrrumänisc­hen« Nationalis­mus ab: »Der gemeinsame Feind ist der Ausländer! Nieder mit dem Ausländert­um! Es lebe das Rumänentum!« Da kommt einem doch prompt »Doitschlan­d« und das »Doitschtum« in den Sinn ...

Und auch das hier liest sich frappieren­d aktuell. »Der Ungar braucht keine andere Kultur als die ungarische; mehr noch: Jeder Einfluss einer fremden Kultur, vor allem einer europäisch­en, ist dem Ungarismus wahrhaft unzuträgli­ch ...« Heutige Dunkeldeut­sche, Tschechen und Polen kommen bei Caragiale zwar noch nicht vor. Aber deren Humbug ist evident und leider auch virulent.

Einige von Caragiales Theaterstü­cken erlebten, lang ist’s her, eine deutsche Bühnenpräs­enz. Seine Prosa fand sich in Spurenelem­enten und mäßiger Übersetzun­g in DDR-Schulbüche­rn wieder. Dass Caragiale nunmehr in Buchform nach Berlin und Deutschlan­d zurückkehr­t, ist ein Glücksfall erhebliche­n verlegeris­chen Mutes, dem ein ausgerollt­er roter Teppich gebührt!

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