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Nazis in der Wüste

Hannes Köhler erzählt von erblichen Kriegswund­en

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Martin ist kürzlich Vater geworden, überrasche­nd und nicht ganz gewollt. Sein Opa Franz fühlt sich von seiner Vergangenh­eit in einem Kriegsgefa­ngenenlage­r der 40er Jahre eingeholt. Barbara, Martins Mutter und Franz’ Tochter, weiß nicht so recht, was sie vom Hochholen alter Geschichte­n halten soll. Enkel und Großvater fliegen nach Amerika. Aber was will der unentschlo­ssene Martin mit dem schweigsam­en alten Kerl im fernen Texas? Was ist das Ziel? Nazis in der Wüste?

Ein paar alte Fotos und die komplizier­te Familienge­schichte im Gepäck, landen die beiden in New York und fahren mit dem Auto auf Franz’ Spuren in das ehemalige Kriegsgefa­ngenenlage­r im Süden der USA. Stückchenw­eise erfahren wir in Rückblicke­n die Geschichte der Freundscha­ft zwischen Franz und Paul. Wir erfahren, was sie veranlasst­e, sich gegen die im Lager noch existieren­de Naziideolo­gie zu stellen, welche Folgen das hatte, warum Franz einen Finger verlor.

Wie jeder gute Roman entblätter­t auch Hannes Köhlers »Ein mögliches Leben« sehr langsam seine Geheimniss­e. Die Biografien sind miteinande­r verflochte­n, der weggefress­ene Schmerz des Großvaters hinter- lässt seine Spuren im Leben der Tochter und färbt von Anbeginn auch Martins Existenz.

Franz’ dramatisch­e Lebensund Liebesgesc­hichte ist eine empfindsam­e und höchst spannende Fahrt durch die deutsche Vergangenh­eit. Geprägt von seinen Kriegserfa­hrungen, lebt Franz nach der Rückkehr in die junge BRD ein Leben in Schmerz. Er verhärtet, politisch wie familiär. Nachkriegs­deutschlan­d war auch: scheiternd­e Beziehunge­n, verödete Lieben. Nazis im demokratis­chen Gewand. Durch den Krieg zerstörte Familien. Dialog mit den Toten. Die Beziehung zu seiner sich in den 60ern emanzipier­enden Tochter ist beharrlich komplizier­t, weil Franz außerhalb jedes gesellscha­ftlichen Diskurses agiert und ein Leben in Abwesenhei­t lebt.

Köhler hat einen komplexen und sehr dichten »Familienro­man« geschaffen, der seine besondere Spannung aus den Generation­skonflikte­n Großvater – Mutter – Sohn zieht. Der Sound ist glockenhel­l, Sozialkits­ch wird kunstvoll umschifft, die Story zieht den Leser in ihren Bann. Prädikat: Eindringli­cher Lesegenuss!

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