Mühsam nährt sich der Revolutionär
Erich Mühsam ist im August 1910 bereits in seinen Dreißigern, ein erfolgloser Schriftsteller und bitterarm, als seine Familie ihn zu einer Kur in der Schweiz verdonnert. Im Kurort fühlt er sich zwischen den für Hesse und Rudolf Steiner schwärmenden Gästen einsam. Er vermisst sein Leben als Bohemien, die Suche nach einem Kurschatten gestaltet sich schwierig. In sein Tagebuch schreibt er, dass er zwischen Überlegungen zu Geldmangel, Beobachtungen seines Stuhlgangs und seiner schlechten Laune wegen Unterfütterung nicht viel »Zeitprophetisches« zu vermerken hätte. Als er sechs Wochen später nach München reist, holt ihn die Zeitgeschichte wieder ein.
Der junge Zeichner Jan Bachmann hat Passagen aus diesem Tagebuch illustriert. Die Texte des Comics stammen direkt aus der Feder von Mühsam, die Dialoge und Szenen erfand Bachmann dazu. Die Komik, die aus dem Kontrast zwischen Selbst- und Außenwahrnehmung, revolutionärem Anspruch und reaktionärer Realität entsteht, ist oft derb, was aber von der Sympathie abgefedert wird, die Bachmann seiner Figur entgegenbringt. Zu den allgemeinen Feststellungen Mühsams, die sich wie Notizen eines neutralen Beobachters lesen, gesellen sich peinliche Alltagssituationen, in denen sich die Fallhöhe von Mühsams Selbstinszenierung offenbart.
»Mühsam, Anarchist in Anführungsstrichen« (Edition Moderne, 96 S., Klappenbr., 19 €) ist aber nicht allein dem Schriftsteller gewidmet. Mit seinen Illustrationen verbeugt sich Bachmann vor dem französischen Zeichner Joann Sfar, der den von ihm bewunderten Künstlern Serge Gainsbourg, Chagall und Jules Pascin farbenprächtige, so opulente wie kraklige Porträts widmete. Handwerklich ist diese Hommage gelungen, auch wenn sie nichts von der existenziellen Tragik hat, die in den Figuren von Sfar steckt. Mit seinem Erstlingswerk, macht Bachmanns Band aber Lust auf mehr.