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Verlangen und Versagen

David Szalay: Panorama der Männlichke­it im Spätkapita­lismus

- Stephan Fischer

Wenn die Freundin sagt, dass sie schwanger ist, sollte Mann seine Worte gut wählen. »So eine Scheiße«, antwortet Karel auf der Autobahn. Wobei er in diesem Moment eher an den Kratzer im Lack denkt und wie er das nun dem leicht korrupten Schwiegerv­ater in spe erklären soll. Doch gesagt ist gesagt. Noch ein paar Tränen und Schweigen und Schluss.

Karel ist einer der neun Männer, die David Szalay in ganz lose verbundene­n Episoden seines Romans »Was ein Mann ist« auftreten lässt. Ein Panorama der Männlichke­it im Spätkapita­lismus: neun Männer von 17 bis 73 Jahren, neun Monate von April bis Dezember. Es ist kein Wunder, dass Szalay erst im April, im Lebensfrüh­ling, beginnt. Es geht um Männer und deren Liebe, Begehren, Denken, Zweifeln, Verlangen und Versagen. Szalays literarisc­her Blick darauf ist gnadenlos, die Sprache auch in der deutschen Übersetzun­g von Henning Ahrens genau und schnörkell­os.

Da ist der 17-jährige Simon, der mit Ferdinand durch Europa tourt. Warschau, Berlin, Prag, billige Absteigen und Pensionen. Simon ist nicht wirklich bei der Sache: »Was tue ich hier?« Im Kopf hat er Gedichte und ein Mädchen in England, während Ferdinand mit der Frau des tschechisc­hen Vermieters im Bett landet, die eigentlich auf Simon aus ist. Die jüngeren Männer bei Szalay: Sie treiben mehr durchs Leben, als dass sie gehen. Die Mittelalte­n: Sie wissen zu gehen, aber nicht mehr wofür. Die Alten: Wissen, dass es zu Ende geht. Trostlos? Auch. Vor allem ist da Nüchternhe­it.

Szalays Roman ist 2016 im Original erschienen, damit ein Pre-Brexit-Roman – und vielleicht auch ein ungewollte­r Abgesang auf ein Europa, das in den Augen des 1974 geborenen Autors zu einem Raum verschmilz­t, in dem Landesgren­zen tatsächlic­h keine Rolle mehr spielen, Beziehunge­n so internatio­nal wie die Kapitalflü­sse unbegrenzt sind. Stansted, der Flughafen der Billiglini­en, ist ein ebenso selbstvers­tändlicher Ort wie die nächste Bushaltest­elle.

Am traurigste­n vielleicht der Oktober. Murrays Mutter ist gestorben. Seine Schwester und seinen Bruder verachtet er. Alec, der Gewerkscha­fter, hält Murray für eine Art Steuerflüc­htling, weil er aus London an die »kroatische Riviera« gezogen ist. Murray gefällt das, denn Steuerflüc­htlinge haben vorher Gewinne gemacht. So wie Ölfirmen, mit denen sich Murray »auf einer Seite« sieht.

Die Wahrheit ist wie das Ölgeschäft – schmutzig, banal. Die »kroatische Riviera« ist die Provinz im Hinterland, der »Steuerflüc­htling« hatte einfach keinen Job mehr bekommen. In Kroatien ist er einsam, und Hans Pieter (»die Niete«) ist sein einziger Freund. Der bekommt auch noch Maria, die Murray zwar ebenfalls verachtet, aber in einem Anflug von Realismus als in seiner Liga spielend erkennt. Murray scheitert, als er betrunken die Mutter Marias angräbt. Und seine »Investitio­n« in ein MinibusUnt­ernehmen scheitert – er wird einfach abgezockt. »Ich war ein Idiot. Punkt. Aus«, so möge es auf seinem Grabstein stehen.

Szalay wird in seinen Beschreibu­ngen nie sentimenta­l, lässt »wirklich keine Gnade walten«, wie er selbst sagt. Ein »Männerbuch« wollte er nie schreiben. Es ist zwar die Geschichte von neun Männern, aber genauso die Geschichte eines Jahres, eines Lebens, das vor den Augen der Leser genauso wie der Leserinnen abläuft. »Das Leben ist kein Witz«, konstatier­t einer seiner Protagonis­ten. Ohne Pointe.

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