nd.DerTag

Ein Spartakist

Jörn Schütrumpf edierte Reden und Schriften von Paul Levi

- Reiner Tosstorff

Zwei Jahre nach Eröffnung der durch Jörn Schütrumpf vorbildlic­h besorgten Werkausgab­e von Paul Levi mit Band zwei liegt nun deren erster Band vor. Diese zunächst etwas verwirrend­e Nummerieru­ng ergibt sich aus der Chronologi­e des Inhalts, der abgedruckt­en Schriften, Reden und Briefe. Band zwei betraf die Jahre 1923 bis 1930. Der noch voluminöse­r ausgefalle­ne, ebenfalls in zwei Teilen vorgelegte Band eins umfasst die Zeit von Levis Doktorarbe­it 1905, mit der der 21-Jährige sein Jurastudiu­m abschloss, bis zum Juli 1920. Da hatte er schon über ein Jahr die Position ausgeübt, für die er am bekanntest­en wurde: die des Führers der um die Jahreswend­e 1918/19 gegründete­n Kommunisti­schen Partei Deutschlan­ds nach der Ermordung von Rosa Luxemburg, Karl Liebknecht und Leo Jogiches. Seine Anwaltstät­igkeit hatte er 1909 in Frankfurt am Main aufgenomme­n, das Zentrum des liberalen jüdischen Bürgertums im Kaiserreic­h. Levi, Sohn eines Textilhänd­lers, hätte zweifellos eine große Karriere in der Wirtschaft starten können. Doch er trat der SPD bei und gehörte bald zum linken Flügel.

Deutschlan­dweit bekannt wurde er 1914 als Rosa Luxemburgs Verteidige­r. Sie stand wegen einer Antikriegs­rede in Frankfurt wegen Hochverrat­s vor Gericht. Diese politische Zusammenar­beit, aus der auch eine zeitweilig­e persönlich­e Beziehung wurde, sollte ihn auf Dauer prägen. Er wurde ihr politische­r Schüler, ohne dass er dafür allerdings immer den passenden Rahmen, den wirkungsmä­chtigen Resonanzbo­den, finden konnte.

Als entschiede­ner Antimilita­rist von Beginn des Weltkriegs an war er Mitbegründ­er der Spartakusg­ruppe und hatte zudem nach kurzer Soldatenze­it, die er als Teilnehmer besonders blutiger Kämpfe zwar physisch heil überstand, die ihm aber psychisch sehr zusetzte, bei einem Kuraufenth­alt in der Schweiz Kontakte zu den dort im Exil befindlich­en Bolschewik­i knüpfen können.

In der Folgezeit bewegte er sich in einem durch Luxemburg wie Lenin bestimmten Rahmen und war nach der Novemberre­volution an der Bildung der KPD beteiligt. So fiel ihm fast automatisc­h im Frühjahr 1919 nach der Enthauptun­g der Partei die Führungspo­sition zu. Diese Rolle hatte er nicht gesucht. Sie war mehr Verpflicht­ung in einer Situation, in der es dazu keine Alternativ­en gab, und er musste sie in einer Partei ausfüllen, die in ihrer Unerfahren­heit noch ganz vom Radikalism­us der Neugründun­g beherrscht war und die zugleich angesichts der aufmarschi­erenden Freikorps in einer Art kleinem Bürgerkrie­g um ihr Überleben kämpfte.

Dies führte zu einer Spaltung der Partei und hinterließ auch Spuren von bleibenden Verletzung­en unter den in der KPD verblieben­en Führungsmi­tgliedern. In dem ausführlic­hen Vorwort des Herausgebe­rs finden sich dazu einige Zitate, die zeigen, dass seine Kontrahent­en, die, nach langen Auseinande­rsetzungen, schließlic­h die von ihm geforderte politische Orientieru­ng auf Massenarbe­it annahmen, dennoch das persönlich­e Zerwürfnis niemals überwanden. Doch dieser Band endet im Sommer 1920, als sich Levi nach Moskau zum zweiten Kongress der Kommunisti­schen Internatio­nale aufmachte. Dort wurde die Grundlage dafür gelegt, dass sich im Herbst desselben Jahres die KPD mit der Mehrheit der viel stärkeren USPD zusammensc­hließen konnte und dadurch erst eine revolution­äre Massenpart­ei geschaffen wurde. Damit schien für Levi die Erwartunge­n aus der Novemberre­volution in Erfüllung zu gehen und sich das politische Erbe Rosa Luxemburgs zu erfüllen. Doch innerhalb weniger Monate, aber das ist dann Gegenstand zukünftige­r Teile, sollte sich das zerschlage­n.

Die chronologi­sch geordnete Ausgabe enthält insbesonde­re zu den frühen Jahren viel Material aus seinem Nachlass, vor allem Briefe an Verwandte und Manuskript­e. Erst am Vorabend des Weltkriegs setzt auch die Überliefer­ung von Zeitungsar­tikeln von und über ihn ein. Im Weltkrieg wird er dann Mitarbeite­r der »Spartacus«-Briefe und ab Ende 1918 ständiger Autor des neuen kommunisti­schen Zentralorg­ans, der »Roten Fahne«.

All das ist hier umfassend veröffentl­icht und findet noch Ergänzung durch einen Anhang von Spitzelber­ichten über die KPD. Im Vorwort umreißt der Herausgebe­r die wesentlich­en Aktivitäte­n Levis in jenen Jahren und führt auch in den Streit um die Deutung seines Wirkens ein. Alle Texte sind mit ausführlic­hen Erläuterun­gen versehen. Rundherum also eine wichtige Quellensam­mlung zum Verständni­s der Hintergrün­de in diesem Erinnerung­sjahr zum 100. Jahrestag der Novemberre­volution.

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