Freundschaft ist eine Tugend
Der Briefwechsel von Hannah Arendt
Sie war eine fleißige Korrespondentin. Ihre Briefwechsel mit ihrem Heidelberger Doktorvater Karl Jaspers, mit Martin Heidegger, ihrem Ehemann Heinrich Blücher, mit Walter Benjamin oder Uwe Johnson sind längst veröffentlicht und intensiv rezipiert worden. Als einzige weibliche Briefpartnerin ist aber bislang nur die Korrespondenz mit ihrer langjährigen Freundin Mary McCarthy ediert worden. Ingeborg Nordmann und Ursula Ludz haben jetzt dankenswerterweise die mit fünf weiteren Freundinnen der 1906 in Hannover geborenen, vor den Nazis über Paris in die USA geflohenen und 1975 in Manhattan gestorbenen Denkerin herausgegeben und kenntnisreich kommentiert. Wer waren diese Frauen?
Anne Weil-Mendelssohn war Hannah Arendts »beste Freundin seit ich 14 Jahre alt bin«. Sie kannten sich als Schülerinnen aus Königsberg, studierten beide unabhängig voneinander Philosophie und näherten sich mit ihren Ehemännern in der Pariser Emigration wieder einander. Von diesem Briefwechsel sind nur die Briefe von Anne Weil erhalten. Sie wurden eine wichtige Quelle für die Arendt-Biografie von Elisabeth Young-Bruehl.
Die Freundschaft mit der schon 1950 gestorbenen Hilde Fränkel dauerte nur wenige Jahre. Hannah Arendt sprach von einer »erotischen Genialität« ihrer Freundin, von einer »Intimität« und einem »Glück«, das »umso größer ist, weil sie keine Intellektuelle« sei. Eine Postkarte aus einem Heidelberger Gasthaus vom Dezember 1949 macht den Anfang. Im Februar 1950 schreibt Arendt an die Freundin: »Über Deutschland könnte man Bände schreiben … Die Nazis (genannt Mitläufer) ziehen gerade jetzt wieder in alle ihre alten Stellen, gebärden sich dabei, als ob sie ein selbstverständliches Recht auf alle Stellen hätten.«
Charlotte Beradt war die Dritte im Bunde einer nicht ganz aufgehenden »Ménage à trois« zwischen ihr, Hannah Arendt und deren Ehemann Heinrich Blücher. Sie hatten sich Anfang der 1940er Jahre in New York kennengelernt. Manche Irritation stellte sich im Laufe der Kor- respondenz ein. Besonders drastisch, als sich Hannah Arendt bei ihrem Ehemann nach der Anrede »Liebster« beschwert, dass er vergessen hatte, ihr in Genf zum Geburtstag zu gratulieren, was sie ihm »bis an unser seliges Ende unter die Nase zu reiben« gedenke. Und sie vergisst nicht, ihrem abgelenkten Ehemann nach New York zu schreiben, dass ihr »Jaspers, per Eilboten, damit es mich auch ja am Sonntag erreicht«, geschrieben hat.
Rose Feitelson war Freundin und Übersetzerin einiger Arbeiten von Hannah Arendt ins Englische. Ihr Briefwechsel zwischen 1952 und 1963 betrifft politische Inhalte, besonders zu Arendts Berichterstattung über den Jerusalemer Eichmann-Prozess und deren Rezeption in den USA. Schließlich Helene (Helen) Wolff, Gattin des legendären Verlegers Kurt Wolff, dessen Werk sie nach dessen Tod fortsetzte. Hier geht es natürlich um verlegerische, editorische Fragen. Die Korrespondenz wendet sich erst spät vom »Sie« zum »Du« und enthält aufschlussreiche Querverbindungen etwa zu Günter Grass oder Uwe Johnson. Es geht um die amerikanische Jaspers-Ausgabe sowie die englische Übersetzung wichtiger Texte Walter Benjamins. Ihrem Briefwechsel ist der Titel der gesamten Ausgabe dieser fünf Korrespondenzen entnommen.
Für alle fünf Briefwechsel gilt das Arendt-Wort aus ihrem Denktagebuch: »Freundschaft ist eine eminent republikanische Tugend.«