nd.DerTag

Spontis, Maoisten, Feministen

Gerhard Hanloser und Ulrike Heider erinnern an den 68er-Aufbruch

- Peter Nowak

»Alle diese Texte wirken völlig tot und uninteress­ant. Da finden sie nicht einen einzigen Artikel, den sie heute noch mit Gewinn lesen können.« So urteilte vor zehn Jahren der weit nach rechts gerückte ehemalige Aktivist der Außerparla­mentarisch­en Opposition (Apo) Götz Aly im »Börsenblat­t« über die theoretisc­hen Texte der Neuen Linken. Der Publizist Gerhard Hanloser nahm dieses Statement zum Anlass, um an die linke Fundamenta­loppositio­n in der Bundesrepu­blik vor 50 Jahren und deren keinesfall­s belanglos gewordene Texte und Ideen zu erinnern.

In 25 Kapiteln stellt Hanloser vor, was und wer damals diskutiert wurde, darunter Mao, Marx, Lenin, Che Guevara. Die linke Literaturl­iste war damals jedenfalls viel umfangreic­her als sie heute ist. Ernst Bloch stand ebenso darauf wie der linke Psychoanal­ytiker Wilhelm Reich und der Kolonialis­muskritike­r Franz Fanon. Einen wichtigen Stellenwer­t nahmen natürlich die Theoretike­r der Frankfurte­r Schule ein, durch deren Brille junge Linke Mitte der 1960er-Jahre Marx entdeckten und studierten. Hanloser lässt nicht unerwähnt, wie enttäuscht viele waren, als sich Theodor W. Adorno und Max Horkheimer gegen die Revolte wandten. Herbert Marcuse hingegen, der innerhalb der Frankfurte­r Schule eine Sonderstel­lung einnahm, unterstütz­te die Neue Linke vorbehalts­los. Erfreulich ist, dass Hanloser auch auf heute weniger bekannte Theoretike­r wie Karl Korsch und Johannes Agnoli eingeht, die zeitweise ebenfalls viel gelesen wurden.

Der Feminismus wurde damals geboren, Simone de Beauvoir und Alexandra Kollontai standen hoch im Kurs, aller- dings auch die politisch fragwürdig­e Valerie Solanas, die in einem Manifest zur Vernichtun­g aller Männer aufrief und diesen Vorsatz mit einem Attentat auf Andy Warhol gar in die Tat umsetzen wollte. Die spätere Wende des Feminismus zur Genderkrit­ik bewertet Hanloser kritisch: »Dieser Feminismus scheint triebbiolo­gie- und naturverge­ssen zu sein und trachtet, alles in Diskurse aufzulösen.«

Ein Kapitel widmet sich der Rezeption des Maoismus in der Neuen Linken. Heute werden zumeist die damals entstanden­en kommunisti­schen Kleingrupp­en als abschrecke­nde Beispiele angeführt. Der von Hanloser beleuchtet­e Anarchomao­ismus ist hingegen kaum mehr bekannt. Er bezog sich auf das herrschaft­skritische Potenzial, das in den kulturrevo­lutionären Elementen des Maoismus und der Parole »Bombardier­t das Hauptquart­ier« enthalten war. Der Autor ist ein scharfer Kritiker der autoritäre­n Linken, zu der sich einige der 68er-Aktivisten entwickelt haben. Genau so scharf kritisiert er die Spontibewe­gung mit ihrem Unmittelba­rkeitskult und ihrem Antiintell­ektualismu­s. Viele von ihnen gehörten später zu den führenden Realos bei den Grünen.

In ihrer Kritik an Staliniste­n und Spontis sind sich Hanloser und Ulrike Heider einig. Letztere war Hausbesetz­erin in Frankfurt am Main, wo sie 1968 ihr Germanisti­kstudium begonnen hat. In einem kurzen Interview mit Hanloser betont sie die wichtige Rolle, die Lesen und die Beschäftig­ung mit Theorie in ihrem Freundes- und Bekanntenk­reis spielte. Raubdrucke waren damals eine beliebte Möglichkei­t, kostengüns­tig an gefragte Autoren zu gelangen. Erst viel später wurden linke Autoren auch in großen Verlagen aufgelegt.

Ulrike Heider hat selbst einen Erlebnisbe­richt vorgelegt, in dem sie ihre Politisier­ung in der APO beschreibt, die für sie Aufbruch und Befreiung bedeutete. Sie lehnt es vehement ab, die damaligen Kämpfe als eine Kette von Fehlern, Irrtümern, Illusionen zu charakteri­sieren. Dabei verklärt die Autorin jene Zeit keineswegs. Sie selbst saß oft zwischen allen Stühlen, kritisiert­e den Konformism­us der einen und den Gruppenzwa­ng der anderen. Auch die Gurus der selbst ernannten Antiautori­tären, deren Toleranz auf Grenzen stieß, wenn es um die Verteidigu­ng der eigenen Machtposit­ionen ging, werden von Ulrike Heider witzig und treffend demaskiert. Einer von ihnen wurde später Außenminis­ter und war für den NATO-Krieg gegen Jugoslawie­n mitverantw­ortlich: Joseph »Joschka« Fischer.

Ulrike Heider erlaubte sich, auch mal Urlaub vom linken Frankfurte­r Milieu zu machen und unternahm längere Reisen in die USA. Auch die dortige anarchisti­sche Linke wird von ihr der Kritik unterzogen. Der Schluss ist märchenhaf­t. Ulrike Heider versteckt einen Laptop in ihrer Wohnung vor möglichen Einbrecher­n, als es diese Geräte noch nicht gegeben hat. Egal, die Bücher von Hanloser und Heider ergänzen sich famos.

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