nd.DerTag

Kims Sieg schien nach drei Tagen greifbar

Shen Zhihua über Mao, Stalin und den Koreakrieg

- Klara Weiß

Es ist etwas ungewöhnli­ch, dass im Vorwort eines Buches auf dessen »problemati­sche Seiten« aufmerksam gemacht wird. Für gewöhnlich wird in der Einleitung das Werk gepriesen. In diesem Fall hielt es der Herausgebe­r Anton Stengl jedoch für angebracht, auf Widersprüc­he und gewagte Thesen aufmerksam zu machen und anzumerken, dass der Autor entweder keine Quellenang­aben macht respektive die Quellen nicht durchgehen­d überzeugen.

Dennoch, Shen Zhihua, dessen Name im Buch korrekterw­eise auch in chinesisch­en Schriftsze­ichen vermerkt wird, ist Respekt zu zollen. Der 1950 in Bejing geborene ehemalige Unternehme­r in Export und Import gilt nicht nur in China als Pionier auf dem Gebiet der wissenscha­ftlichen Aufarbeitu­ng des Koreakrieg­es und der chinesisch-sowjetisch­en Beziehunge­n in den 1950er-Jahren. 1995 hat er 1,4 Millionen Yuan, rund 200 000 Euro, aus eigener Tasche für den Einkauf russischer Dokumente aufgebrach­t und sie in Koffern und Kisten aus Moskau in seine Heimat transporti­ert. Innerhalb von knapp sechs Jahren veröffentl­ichte er diese in 34 Bänden.

Nicht diese, aber eine Studie aus seiner Feder über die Beziehunge­n zwischen der UdSSR und China vor und während des Koreakonfl­iktes hat nun der Zambon-Verlag in deutscher Übersetzun­g veröffentl­icht. Und dafür ist dem Editionsha­us zu danken, erhält doch derart der interessie­rte deutsche Leser einen originelle­n, erfrischen­d anderen Blick auf den Krieg, der auf der koreanisch­en Halbinsel 1950 bis 1953 tobte, abseits der Mainstream-Sicht hierzuland­e. Des Autors These: Sowohl Maos als auch Stalins Interventi­on im Koreakrieg erfolgte nicht euphorisch, sondern aus pragma- tischen Gründen. Für China ging es nicht nur um Hilfe für ein sozialisti­sches Nachbarlan­d, der Blick war eher auf die Einverleib­ung Taiwans gerichtet. Stalin wiederum unterstütz­te die Kim Il-sungs Invasion – ja, um eine solche handelte es sich, auch wenn dies in realsozial­istischen Zeiten verschwieg­en wurde – wegen des kurz zuvor abgeschlos­senen chinesisch­sowjetisch­en Bündnisabk­ommens, das Militärbas­en in Ostasien versprach. »Es ging also allen nur um nationalen Egoismus.« Nach Shen Zhihua sei es unmöglich, definitiv zu sagen, wer den ersten Schuss abgab, die Nord- oder Südkoreane­r. Ganz gleich, ob es ein aktiver Angriff Kim Il-sungs war oder ein passiver Gegenangri­ff, dieser dreijährig­e Krieg wurde zu einem weltbewege­nden Ereignis des 20. Jahrhunder­ts.

Nordkoreas Führer sah die Chance, die Wiedervere­inigung des Landes durch eine kurze militärisc­he Aktion zu erreichen. Das schien durchaus realistisc­h. Drei Tage nach Kriegsbegi­nn, am 28. Juni 1950, eroberten Kims Truppen die Hauptstadt Seoul, nach fünf Tagen war die südkoreani­sche Armee um die Hälfte dezimiert, überwiegen­d durch Desertion. Das Regime von Rhee war in arger Bredouille. Erst mit dem Eingreifen der USA und der UNO sollte sich das Blatt wenden.

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