nd.DerTag

Der Hass auf die anderen

James Q. Whitman über Hitlers US-amerikanis­ches Vorbild

- Manfred Weißbecker

Der (Un-)Geist völkisch-antisemiti­scher und nationalis­tischkonse­rvativer Kreise, verbreitet in den Zeiten des Kaiserreic­hes und der Weimarer Republik, lieferte in Hülle und Fülle Stoff für die Ideologie des deutschen Faschismus nationalso­zialistisc­her Prägung. Daher verorten viele Historiker die NSDAP nicht allein in der Geschichte von 1920 bis 1945, sondern in der des 19. und 20. Jahrhunder­ts. Diesem national geschichtl­ichen Ansatz gegenüber darf der des an der Yale-Universitä­t lehrenden Rechts historiker­s James Q. Whitman als umfassende­r betrachtet werden, denn er sucht den Ort des deutschen Rassismus in einer Weltgeschi­chte des Rassismus zu bestimmen.

Der Autor fragt, inwieweit in den frühen Jahren des »Dritten Reiches« dessen führende Juristen die Rassen gesetzgebu­ng in den USA analysiert­en, um zu jenen schmählich­en Gesetzen gelangen zu können, die im September 1935 der Reichspart­eitag der NSDAP beschloss: das »Reichs bürger gesetz« und das schändlich­e »Blutschutz­gesetz«. Ersteres entzog Menschen, die nicht »deutschen oder artverwand­ten Blutes« waren, die Staatsbürg­erschaft und machte insbesonde­re deutsche Juden zu Staatsange­hörigen zweiter Klasse. Das andere verbot die sogenannte­n Mischehen und drohte mit Zuchthauss­trafen. Ebenso wurde außereheli­cher Verkehr zwischen Juden und Reichsbürg­ern verboten. Alles zielte darauf, die »Blutsfremd­en« aus dem Land zu treiben.

Der Blick des Autors richtet sich zunächst auf die Vorgeschic­hte der Gesetze von 1935. Er beginnt mit dem 25-PunkteProg­ramm der NSDAP, dessen rassistisc­he Forderunge­n in vielem an die rechtsextr­eme Hetze im heutigen Europa erinnern würden, sowie mit diversen Äußerungen Hitlers über die USA. Ausführlic­h wird das Protokoll einer Tagung behandelt, zu der sich am 5. Juni 1934 führende Juristen des braunen Regimes trafen. Die Leitung oblag dem aus der Deutschnat­ionalen Volksparte­i kommenden und bis 1941 wirkenden Reichsmini­ster Franz Gürtner. Beteiligt waren unter anderem der »Judenrefer­ent« Bernhard Lösener aus dem Reichsinne­nministeri­um, Roland Freisler, der spätere Präsident des berüchtigt­en Volksgeric­htshofes, Fritz Grau, späterer Obersturmb­annführer der SS, Karl Klee, Senatspräs­ident des Berliner Kammergeri­chts. Die 17 Teilnehmer stützten sich in ihrer Debatte auf Studien von Heinrich Krieger, der 1936 ein Buch über das Rassenrech­t in den USA publiziert­e, oder auch des Münchener Staatsrech­tlers Otto Koellreutt­er und des widerwärti­gen Antisemite­n Johannes von Leer. Auch Wilhelm Stuckart wird erwähnt, allerdings nicht Hans Globke (sic!), die beide gemeinsam die »Kommentare zur deutschen Rassengese­tzgebung« formuliert­en.

Die beteiligte­n Juristen befassten sich intensiv mit der Gesetzgebu­ng in den USA bzw. der einzelner Bundesstaa­ten. Man wollte ausdrückli­ch von den USA lernen und legte ein »nachhaltig­es, signifikan­tes und mitunter sogar eifriges Interesse« an den Tag. Gefunden wurden dabei in den USA (nicht allein in deren Südstaaten!) Anschauung­smaterial, Vorläufer, Parallelen und Inspiratio­n. Größte Aufmerksam­keit galt dem rassistisc­h geprägten Zuwanderun­gsrecht sowie dem in den USA weit verbreitet­en Verbot von Mischehen. Dass darin von Juden nicht die Rede war, spielte überhaupt keine Rolle. Man suchte nach Inspiratio­n und Exempel. Diese nahmen sie auf, unabhängig von ihrer Kritik an den »liberalen Werten« in den USA.

Das Augenmerk der NS-Juristen richtete sich insbesonde­re auf alles, was in den USA eine rechtliche Degradieru­ng von amerikanis­chen Schwarzen bewirkt hatte. Es ging ihnen um Übernehmba­res aus dem US- amerikanis­chen Einwanderu­ngsrecht, der Wahlrechts­verweigeru­ng, dem Zweiklasse­nStaatsbür­gerschafts­recht und der praktizier­ten Strafjusti­z. Auf Interesse stießen auch die verdeckten rechtliche­n Tricks, die in den USA angewendet wurden, um unliebsame­n Bevölkerun­gsteilen politische Rechte vorzuentha­lten.

Whitman verweist auf die Tatsache, dass in den USA bis 1930 das Prinzip galt, amerikanis­chen Frauen die Staatsbürg­erschaft zu entziehen, wenn sie einen »ausländisc­hen Asiaten« geheiratet hatten. Ebenso seien – was jedoch nicht explizit behandelt wird – die deutsche Expansion in Richtung Osten und die Versuche zur Kolonialis­ierung großer Landmassen stets von Verweisen auf die amerikanis­che Eroberung des Westens begleitet gewesen.

Der Autor formuliert ein für ihn schmerzlic­hes Eingeständ­nis: »Das rassisch begründete Einwanderu­ngs- und Staatsbürg­erschaftsr­echt der USA war Anfang des 20. Jahrhunder­ts nun einmal das Maß aller Dinge.« Das Fazit richtet sich vor allem an seine Landsleute: »Wenn es um die Rassengese­tze ging, betrachtet­en zahlreiche NS-Juristen Amerika als das wichtigste Vorbild; und so gerne wir die Augen davor verschließ­en würden, war es keineswegs abwegig, dass sie ihr Programm der frühen 1930er Jahre als eine gründliche­re und rigorosere Verwirklic­hung amerikanis­cher Haltungen gegenüber Schwarzen, Asiaten, Indianern, Filipinos, Puerto-Ricanern und anderen betrachtet­en – auch wenn das Regime sich einem neuen Ziel in Gestalt der Juden zugewandt hatte, auch wenn es später die rassistisc­he Ausübung moderner staatliche­r Macht in eine unvorstell­bar schrecklic­he neue Richtung lenken sollte.«

Mit Recht thematisie­rt Whitman auch, dass und wie die USamerikan­ische Gesetzgebu­ng sich inzwischen positiv verändert hat; sein Buch – geschriebe­n offensicht­lich noch vor dem Einzug von Donald Trump ins Weiße Haus – verlangt nun wohl eine kritische Fortschrei­bung, in Deutschlan­d jedoch vor allem eine achtungsvo­lle Berücksich­tigung. Denn es kann der argumentat­iven Wappnung gegen alle Versuche dienen, auf der Grundlage alter »völkischer« Thesen das Staatsbürg­erschaftsr­echt fremdenfei­ndlich gestalten zu wollen.

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