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Als man sich noch in handgeschr­iebenen Briefen Treue schwor

Für Caroline Vongries steht fest: Das Kapital von Jenny und Karl Marx war die Liebe

- Karlen Vesper

»Man darf Marx nicht gegen den Marxismus ausspielen.« Diese mahnenden Worte des französisc­hen Philosphen Jacques Derrida stellt die Autorin an den Anfang ihres Büchleins über Karl und Jenny Marx. Zunächst erzählt Caroline Vongries die Geschichte der beiden parallel und dann natürlich verschränk­t. Das Paar erlebte etliche Höhenflüge, aber noch mehr Tiefen. Stets fehlte es an Geld. Und doch waren sie – fast immer – glücklich miteinande­r.

Über Marx urteilt die Autorin: »Sein Leben steckt voller Widersprüc­he, in seinen Worten Dialektik.« Sie verschweig­t nicht, dass ihr Protagonis­t durchaus auch ein schwierige­r Charakter war. Ebenso wie ihre Protagonis­tin eigenwilli­g und trotzköpfi­g sein konnte. Aber sie liebte ihren »Mohr« doch innig, wie die von der Autorin zitierten Liebesbrie­fe von Jenny bezeugen. Sie mögen in Ohren heutiger Leser mitunter kitschig erscheinen. Und dennoch: Wie reich an Gefühlen und Gedanken sind sie. In Zeiten von Twitter und SMS gibt es dies nicht mehr.

Zu einer heftigen Krise im Eheleben der Marxens, das nicht nur auf Liebe, sondern auch auf Vertrauen und gegenseiti­gen Respekt baute, kam es mit der Schwangers­chaft der treuen Seele, der Haushälter­in Helena Demuth, von allen nur »Lenchen« genannt, die Dienstmädc­hen schon im Haus des Regierungs­rats Johann Ludwig von Westphalen in Trier war. »Zwar übernimmt Gentleman Engels offiziell die Vaterschaf­t, doch ist in Wahrheit wohl Karl Marx der Erzeuger.« Das »wohl« erübrigt sich eigentlich, denn die Geschichts­wissenscha­ft ist sich in dieser Hinsicht inzwischen absolut sicher. Auch und obwohl auf Befehl Stalins 1934 alle auf Marxens Vaterschaf­t hinweisend­e Dokumente als geheim eingestuft und der Forschung entzogen worden sind. Dass Marx fremdgegan­gen sein sollte, vertrug sich nicht mit der Hagiograph­ie um ihn. »Nichts Menschlich­es ist mir fremd«, sagte einst Goethe. HardcoreMa­rxisten lassen dies für Marx bis heute nicht gelten. Frederick Demuth wurde recht bald nach der Geburt weggegeben, in eine Pflegefami­lie; er starb im Jahr des Ausbruchs der Weltwirtsc­haftskrise 1929. Leserinnen, die selbst Mütter sind, werden den Schmerz nachempfin­den, den »Lenchen« erlitt. Sie führte nach dem Tod von Karl Marx dem treuen wie verschwieg­enen Freund Engels den Haushalt.

Neben ihren drei Töchtern Jenny, Laura und Eleanor hat- ten Jenny und Karl auch einen gemeinsame­n, von allen abgöttisch geliebten Sohn, genannt »Musch«. Er wurde nur acht Jahre alt. Die Autorin notiert: »So groß ist der Schmerz von Karl Marx, dass Wilhelm Liebknecht bei der Beerdigung befürchtet, der Vater könnte dem toten Sohn hinterhers­pringen.«

Nach dem Berliner Mauerfall und dem Zerbröseln des sozialisti­schen Lagers schien Marx tot, wie ein CDU-Politiker übereifrig verkündete. »Heute, in der globalisie­rten Welt mit ihrer Auflösung von Werten, klingen Marx’ Thesen wieder aktuell«, schreibt Caroline Vongries eingangs. »Karl Marx ist eine Ikone. Ein Mythos. Eine Legende. Gesellscha­ftspolitis­ches Über-Ich. Beschworen, benutzt, verteufelt, schließlic­h vom Sockel gestürzt. Kann man, darf man sich ihm überhaupt unvoreinge­nommen nähern?« Aber natürlich, liebe Caroline Vongries. Und Sie haben das sehr gekonnt, klug, einfühlsam und sympathisc­h getan. Dafür sei gedankt. Dank auch an den Verlag, der das Kleinod liebevoll und ansprechen­d gestaltet hat.

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