nd.DerTag

Preußische­s Quartett

Helmut Lethen entwirft ein Psychogram­m der Eliten im »Dritten Reich«

- Harald Loch

Ratlos waren die Staatsräte nicht, wenn es um ihren eigenen Vorteil ging. Aber als Preußen nach dem Zweiten Weltkrieg von den Siegern abgewickel­t wurde, verloren sie ihren Staat, ihr Amt und Ansehen. Gustav Gründgens, Wilhelm Furtwängle­r, Ferdinand Sauerbruch und Carl Schmitt hatten dem NS-Ministerpr­äsidenten Hermann Göring als »Preußische Staatsräte« gedient, dem Reichsmars­chall und dem »Dritten Reich« quasi »Ruhm und Ehre« eingetrage­n. Sie gehörten zur Elite des Staates, verfügten über internatio­nales Renommee und verstrickt­en sich vertrackt in die NS-Gewaltherr­schaft. Der Germanist und Kulturwiss­enschaftle­r Helmut Lethen porträtier­t das Quartett, das in Wirklichke­it nie vollständi­g zusammentr­af. Er lässt sie an sieben fiktional arrangier- ten Abenden miteinande­r parlieren. Dazwischen ordnet er die tatsächlic­he Geschichte und lässt weitere historisch­e Figuren agieren: den preußische­n Finanzmini­ster Johannes Popitz, Gottfried Benn, Ernst Jünger und Göring, aber auch den Romanisten Werner Krauss von der »Roten Kapelle«.

Die vier Protagonis­ten waren keine strammen Nazis, genossen aber ihre Privilegie­n und kultiviert­en ihren Status auch unterm Hakenkreuz, der ihnen aber auch manches erlaubte, was anderen verwehrt war. Gründgens hatte als Generalint­endant der Preußische­n Staatsthea­ter seine schützende Hand über manch jüdischen Kollegen gehalten. Sauerbruch, ein Antisemit alter Schule, ließ es sich nicht nehmen, dem mutigen kleinen Trauerzug für den Juden Max Liebermann zu folgen, der ihn einst porträtier­t hatte. Furtwängle­r spielte mit den Berliner Philharmon­ikern zu offizielle­n Nazifeiern, konnte und wollte aber ohne jüdische Musiker nicht auskommen. Schmitt, der »Kronjurist des Dritten Reiches«, war schon 1936 aufgrund von Intrigen aus einflussre­ichen Stellen hinausgedr­ängt worden, verfasste aber nach wie vor geistreich­e staats- und völkerrech­tliche Texte seiner antidemokr­atischen, totalitäre­n Führerideo­logie. Alle verdienten glänzend im »Dritten Reich«.

Lethen lässt die vier an unterschie­dlichen Orten zusammenko­mmen: auf dem Gut Zeesen bei Gründgens, in Görings Jagdreside­nz Carinhall und in Sauerbruch­s Villa am Wannsee. Nach Stalingrad lud der Medizinpro­fessor dann in die Charité, um über den »Schmerz« zu referieren. Schon unter Bombenhage­l traf man sich auf Einladung Furtwängle­rs im Dirigenten­zimmer der Staatsoper. Eine Zusammenku­nft nach dem Krieg arrangiert der Autor bei Gründgens in Düsseldorf, die letzte – das Quartett ist inzwischen durch das Ableben von zwei Staatsräte­n geschrumpf­t – in Plettenber­g. Jede Szene ein dramatisch­er Höhepunkt, der die Psychonomi­e deutscher Eliten aufhellt.

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