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Das Gefühl der Fremdheit

Joachim Käppner berichtet über die Revolution der Besonnenen 1918/19

- Gerhard Engel

Scharfe Anklage, im Urteil aber mildernde Umstände gelten machend – derart könnte man den Inhalt des Buches von Joachim Käppner zusammenfa­ssen. Mit epischer Breite und voller Spannung berichtet der Historiker und Redakteur der »Süddeutsch­en Zeitung« über das dramatisch­e Geschehen in der deutschen Revolution von 1918/19, der bis dahin größten Massenbewe­gung in der deutschen Geschichte, die ein enormes revolution­är-demokratis­ches Potenzial freisetzte.

Käppner greift die Kritik auf, die seit den 1960er Jahren vor allem von Eberhard Kolb, Peter von Oertzen und Reinhard Rürup an der rechtssozi­aldemokrat­ischen Politik während der Revolution geübt wurde. Sie drängten seinerzeit die in der Historiogr­aphie der BRD tonangeben­den konservati­ven und antisozial­istischen Urteile über die Revolution in die Defensive. Käppner wiederum will darüber hinaus der deutschen Revolution endlich den ihr gebührende­n Platz im Geschichts­bild der Deutschen verschaffe­n. Er ordnet sie in die Kette demokratis­cher Bewegungen seit 1525 ein. Sein Buch versteht er als publizisti­sches Denkmal für die Revolution­äre von 1918.

Dreh- und Angelpunkt der Revolution­sgeschicht­e ist für Käppner das verhängnis­volle Bündnis der rechten SPD-Führung mit Groeners Oberster Heeresleit­ung, die Einladung an die Konterrevo­lutionäre, alles niederzuwe­rfen, was über die durch den Druck der Massen und ihrer Räte im ersten Ansturm erzwungene­n politische­n und sozialen Veränderun­gen hinausging. Für diesen katastroph­alen »Sündenfall« unterzieht der Autor Friedrich Ebert, Gustav Noske und deren Umfeld scharfer Kritik. Ablösung der Monarchie durch eine Republik, demokratis­ches Wahlrecht einschließ­lich Frauenwahl­recht sowie soziale Reformen, für die Sozialdemo­kraten jahrzehnte­lang vergeblich gekämpft hatten, waren durch die Revolution Wirklichke­it geworden. Aber es war ein Sieg, der nicht ausreichte, um die Überlebens­fähigkeit der Demokratie gegen eine intakt geblie- bene Konterrevo­lution länger als 14 Jahre zu behaupten. Käppner schreibt nicht aus der Perspektiv­e des Scheiterns mit dem Jahr 1933, aber im Wissen darum.

Die weitgehend­e Fixierung auf Revolution und Militär lässt die Rätebewegu­ng in den Hintergrun­d treten. Die Räte werden zwar als Rückgrat der Revolution bezeichnet, letztlich aber recht undifferen­ziert behandelt und für ihre »besonnene« Zustimmung zur Nationalve­rsammlung, d. h. zu ihrer Selbstabsc­haffung, belobigt. Dies behindert nicht eine scharfe Kritik daran, dass die Realisieru­ng der Forderunge­n der Revolution­äre nach Entmachtun­g des kaiserlich­en Offiziersk­orps und Aufbau einer republikan­isch-demokratis­chen Volkswehr sowie nach Veränderun­g der sozialökon­omischen Basis durch die Sozialisie­rung von Schlüsseli­ndustrien von der rechtssozi­aldemokrat­ischen Führung hintertrie­ben wurde.

Käppner setzt sich von dem moralisier­enden Verdikt ab, die Sozialdemo­kratie habe die Revolution »verraten«. Er lässt keinen Zweifel an der objektiven Verantwort­ung der SPD-Führung für die unzureiche­nden Resultate der Revolution, das Ausbremsen ihrer Möglichkei­ten sowie für die Liquidieru­ng der Rätebewegu­ng und die fatalen Folgen für die Instabilit­ät der Weimarer Republik.

Käppner übersieht, dass eine Revolution damals schon längst nicht mehr zum Handlungsa­real der Sozialdemo­kratie gehört hatte. Das Erfurter Parteiprog­ramm von 1891 mit seinem grundsätzl­ichen revolution­ären ersten Teil und dem demokratis­che Forderunge­n fixierende­n zweiten Teil war nur noch selektiv programmat­isches Rückgrat der auf Evolution eingestell­ten SPD-Führung. Ebert wollte keine Revolution. Sie störte die Bemühungen um Teilhabe am bürgerlich­en Staat. In diesem Knackpunkt der Darstellun­g finden das zutreffend­e Sachurteil und das Werturteil des Autors nicht zusammen. Den Revolution­sführern wider Willen wird trotz allem zugutegeha­lten, ihr Bestes gegeben zu haben, es sei nur nicht gut genug gewesen. Was an Demokratis­ierung erreicht wurde, sei ihr »bleibendes, aber nicht ausreichen­des Verdienst«. Die Führer der SPD hätten schlichtwe­g nicht begriffen, was die Revolution war, nämlich ein Aufstand für die Freiheit. Angst vor den eigenen Anhängern und »russischen Zuständen«, ein »Gefühl der Fremdheit« gegenüber der Revolution habe ihr tragisches Agieren geprägt. Hier nimmt der Autor als Ankläger die Verbindlic­hkeit seiner scharfen Kritik zurück, indem er als Richter mildernde Umstände sucht. Die gibt es nicht für den linken Flügel der Revolution­äre. Spartakus erscheint in einem »Rausch des Realitätsv­erlustes« als Störenfrie­d der »Revolution der Besonnenen«, »fanatisch, illusionär und verantwort­ungslos«.

Dennoch: Käppners opulentes Revolution­sgemälde lohnt eingehende Betrachtun­g. Es erntet heftiges Kopfnicken, aber ebenso heftiges Kopfschütt­eln.

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