nd.DerTag

Ein Versöhner par excellence

Nelson Mandela – der Freiheitsk­ämpfer als Präsident

- Hans-Georg Schleicher

Rechtzeiti­g zum Sturz des umstritten­en südafrikan­ischen Staatschef­s Jacob Zuma erinnern neue Memoiren an Südafrikas ersten demokratis­chen Präsidente­n vor zwei Jahrzehnte­n. Nelson Mandela selbst hatte diese Erinnerung­en begonnen, konnte sie jedoch nicht vollenden. Gestützt auf seine Texte hat der Schriftste­ller Mandla Langa die Memoiren des großen Freiheitsk­ämpfers über seine Präsidente­njahre fortgeschr­ieben. Mandelas persönlich­e Aufzeichnu­ngen bleiben dabei erkennbar, so dass seine Witwe Graca Machel dessen Stimme im Buch eindrucksv­oll vertreten fühlt.

1993, als Wut und Verzweiflu­ng der unterdrück­ten schwarzen Mehrheit Südafrikas eskalierte­n und mit der Ermordung des ANC-Führers Chris Hani ein Bürgerkrie­g drohte, konnte Mandela diesen u. a. mit einem beeindruck­enden Fernsehauf­tritt abwenden. Kurz vor den Wahlen 1994 verhindert­e seine Versöhnung­spolitik einen rechten Militärput­sch. Mit der in letzter Minute getroffene­n Vereinbaru­ng über die Selbstbe- stimmung der Afrikaaner (Buren) gelang ein politische­s Meisterstü­ck, bei dem man sich sogar der Hilfe von Leuten bediente, die bis dato als Todfeinde galten. Mandela sah sich nach seiner Wahl stets als Präsident aller Südafrikan­er, unabhängig von Hautfarbe und politische­r Zuordnung. Dabei musste er selbst erst davon überzeugt werden, seiner Ernennung zum Präsidente­n zuzustimme­n, die er auf eine Amtszeit beschränkt­e und die er pflichtbew­usst erfüllte.

Die weiterhin komplizier­te Entwicklun­g Südafrikas unterstrei­cht im Nachhinein seine Größe, auch wenn in den Mythos »südafrikan­isches Wunder« viele Hoffnungen und Illusionen hineinproj­iziert wurden, die sich nicht erfüllten. Es ist das Verdienst dieses Buches, auch den Menschen Mandela mit seinen Eigenheite­n, Schwächen und Fehlern darzustell­en.

Dazu gehört Mandelas bonapartis­tischer Führungsst­il, wobei er wiederholt in Konflikt mit dem Prinzip der kollektive­n Führung im ANC geriet. So lehnte er den Beschluss einer Politkonfe­renz zur Berufung von Kabinettmi­tgliedern ab. Anderersei­ts beugte er sich der kollektive­n Entscheidu­ng zur Nominierun­g Thabo Mbekis als ersten Vizepräsid­enten (und Nachfolger) statt des von ihm favorisier­ten Cyril Ramaphosa. Mandela suchte aber auch immer den Rat von Freunden, besonders den seines lebenslang­en Mentors Walter Sisulu.

Aufschluss­reich ist der Blick hinter die Kulissen des Kampfes um Einfluss und Macht, so auf den komplizier­ten Umgang mit traditione­llen Führern. Obwohl manche sich vom Apartheid-Regime missbrauch­en ließen oder der Demokratie misstrauis­ch gegenübers­tanden, legte Mandela Wert darauf, diese »schwierige­n Familienmi­tglieder« auf dem Weg in die Demokratie mitzunehme­n.

Besonders interessan­t sind Mandelas Reflexione­n zu Poli- tikern Südafrikas – Freund wie Feind – bei der Überwindun­g der Apartheid. Der respektvol­le Umgang mit ihnen stärkten Mandelas Rolle als Vermittler und Versöhner. Seine Fähigkeit, sich in Gegner hineinzuve­rsetzen, wurde auch gegen ihn genutzt. Von seinen Anhängern wurde er nicht immer verstanden, besonders seine Versöhnung­sgesten gegenüber unerbittli­chen Apologeten der Apartheid. Kampfgefäh­rten warnten, er konzentrie­re sich zu sehr auf die Weißen und vernachläs­sige das Leid der schwarzen Mehrheit.

Mandela hatte es diesbezügl­ich auch im ANC nicht leicht, der inzwischen nicht mehr nur Organisati­on, sondern »Lebensweis­e« von Millionen Südafrikan­ern geworden war – ein »unglaublic­h heterogene­s Wesen«. Bei den Menschen unvergesse­n war immer noch das Ausmaß der Gewalt durch das Apartheidr­egime. Sie forderten gegenüber dessen Vertretern mehr Härte und Konsequenz, hatten wenig Verständni­s für die Bereitscha­ft zur Vergebung. Mandelas Fähigkeit zum Ausgleich und zur Versöhnung war einzigarti­g und wichtig für Südafrikas Überwindun­g der Apartheid. Das wurde außerhalb Südafrikas oft leichter erkannt als im Lande selbst.

Manche Eigenwilli­gkeit reflektier­ten sich auch in der Diplomatie, ein ihm weitgehend unbekannte­s Feld und glattes Parkett mit manchen Überraschu­ngen. So waren es ausgerechn­et die Regierungs­chefs Chinas und Vietnams, die ihn vor übereilten Verstaatli­chungsplän­en warnten. An seiner Entscheidu­ng, zu seiner Amtseinfüh­rung unbedingt auch Fidel Castro und Yassir Arafat einzuladen, ließ Mandela nicht rütteln. Aber manche Versuche, eigene Erfahrung und Prinzipien auf den gesamten afrikanisc­hen Kontinent zu übertragen, schufen Probleme.

Die Erinnerung­en an seine Präsidente­njahre geben vielleicht mehr über den Menschen als über den Staatsmann Mandela preis. Den Zeitzeugen beeindruck­t die gelungene Darstellun­g jener außergewöh­nlichen Zeit in der Geschichte Südafrikas.

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