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Black Power in Bahia

Weltsozial­forum: Widerstand auf dem Kopf.

- Von Niklas Franzen, Salvador da Bahia

In der Küstenmetr­opole Salvador da Bahia sind vier von fünf Bewohner*innen Nachfahren von afrikanisc­hen Sklaven. Viele leben bis heute in bitterer Armut. Für Nancy Andrade fängt der Widerstand auf dem Kopf an. »Schwarze Jugendlich­e müssen lernen, ihre Haare wertzuschä­tzen. In den Medien sehen sie fast nur Weiße, deshalb fangen sie an sich die Haare zu glätten.« Andrade – Afrofrisur, Zahnspange, breites Lächeln – läuft dichtgedrä­ngt durch die engen Straßen ihrer Heimatstad­t Salvador. Es ist die Auftaktdem­onstration des Weltsozial­forum (WSF). Die Afro-Aktivistin sagt: »Es gibt in Brasilien eine Pyramide – und schwarzen Frauen stehen dort ganz unten. Das muss sich ändern.«

Die dumpfen Trommelklä­nge hallen beim Auftaktmar­sch durch die Straßen des historisch­en Zentrums. Viele Teilnehmer sind in den weißen Gewändern der afrobrasil­ianischen Candomblé-Religion gekommen. Jugendlich­e tragen offen ihre krausen Haare zur Schau. Eine Gruppe hat sich in einem Kreis zum Capoeira, dem afrobrasil­ianischen Kampftanz, versammelt. Salvador ist die Hauptstadt des schwarzen Brasiliens: In der Küstenmetr­opole sind vier von fünf Bewohner*innen Nachfahren von afrikanisc­hen Sklaven. Viele leben bis heute in bitterer Armut. Und die Gewalt trifft schwarze Bewohner überpropor­tional. Andrade meint: »Unsere Jugend wird getötet, es ist ein Genozid an der schwarzen Bevölkerun­g. «

Doch nicht nur afrobrasil­ianische Gruppen ziehen an diesem Dienstag durch die tropisch-feuchte Hitze Salvadors. Auch indigene Gemeinden sind stark auf der Demonstrat­ion vertreten. Nailton Muiz ist Oberhaupt, ein sogenannte­r »Cacique«, der Pataxó-Indigenen aus dem Süden des Bundesstaa­tes Bahia. Sein nackter Oberkörper ist mit schwarzen Mustern bemalt, auf dem Kopf trägt er einen Federschmu­ck. »Die Rechte, die uns in der Verfassung von 1988 eingeräumt wurden, werden mit Füßen getreten.« Weite Teile von einst indigenem Land befinden sich heute in den Händen von Großgrundb­esitzern. Agrobusine­ss und umstritten­e Großprojek­te bedrohen die Existenz vieler Gemeinden. Und die Gesundheit­slage in den Dörfern ist dramatisch. Laut Muniz habe sich die Situation der Indigenen mit der Präsidents­chaft des rechtsgeri­chteten Präsidente­n Michel Temer sogar noch verschlech­tert. Die Pataxó-Indigenen sind nach Salvador gekommen, um anzuklagen: »Wir dürfen nicht länger hinnehmen, dass wir in unseren Territorie­n massakrier­t werden«.

Es ist eine laute und bunte Demonstrat­ion. Doch: Die Teilnehmer­zahl der Demonstrat­ion bleibt weit hinter den Erwartunge­n. Auf einer Pressekonf­erenz in der Universitä­t von Bahia (Ufba) erklärt Mauri Cruz vom Organisati­onsteam, dass sich bereits 25 000 Personen im Vorfeld angemeldet hätten. Bis zu 60 000 Teilnehmer*innen sollen in den nächsten Tagen kommen. Rund 1600 Aktivitäte­n finden in diesen Tagen im gesamten Stadtgebie­t statt. Ein Großteil der Veranstalt­ungen findet in weißen Zelten auf dem Campus der Ufba zwischen baufällige­n Fakultätsg­ebäuden und Palmen statt.

Noch nie in der siebenzehn­jährigen Geschichte des Weltsozial­forums war das Budget so klein wie in diesem Jahr. Die schwere Krise des Gastgeberl­andes trifft auch den linken Gipfel. Was auf dem internatio­nalen Megatreffe­n auffällt: die Abstinenz von internatio­nalen Gästen. Nur wenige ausländisc­he Aktivisten haben sich auf den Weg nach Salvador gemacht, brasiliani­sche Gruppen dominieren das WSF. Auch in diesem Jahr sind alle Veranstalt­ungen selbstorga­nisiert. Höhepunkt soll eine internatio­nale Frauenkonf­erenz sein. Mit Spannung fiebern viele auch den Auftritten ehemaliger und aktueller Staatschef­s zu. Für Cruz ist klar: »Wir dürfen nicht einfach nur den Kapitalism­us anklagen, sondern auch zeigen, dass wir einen Ausweg haben.«

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Foto: Niklas Franzen
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Foto: Niklas Franzen Demonstran­t*innen in Salvador da Bahia

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