nd.DerTag

Merkels Rekord

Bundespräs­ident spricht von Bewährungs­jahren – und die SPD leidet bereits sichtbar

- Uka

Berlin. Wer Angela Merkel als Bundeskanz­lerin schon aus dem Jahr 2005 kennt, ist seither um einiges gealtert. Merkel ist immer noch Kanzlerin. Am Mittwoch wählte sie der Bundestag zum vierten Mal; nach Ernennung durch den Bundespräs­identen leisteten sie und ihr Kabinett den Amtseid. Deutschlan­d zu dienen, scheint ein nicht erlahmende­s Motiv für die 63-Jährige zu sein. Der Zahl ihrer Amtseide nach hat Merkel nunmehr mit Konrad Adenauer und Helmut Kohl gleichgezo­gen. Und mit einem Zeitrekord geht sie zu Beginn der neuen Amtszeit sogar in Führung. Noch nie dauerte es so lange, bis nach einer Bundestags­wahl die Regierung vereidigt war: 171 Tage. Im Jahr 1983 war die Sache nach 23 Tagen erledigt. Aber das alles ist schon wieder abgehakt; nun wird gedient.

Die Wahl der Kanzlerin war angesichts der Mehrheiten im Bundestag eine Formsache. Doch Merkels Ergebnis und jene Stimmen in der SPD, nach denen ab jetzt alles anders wird, deuten auf künftige Konflikte. Die Wahl der Bundeskanz­lerin ist ein einschneid­ender politische­r Moment, aber eine ermüdende Angelegenh­eit. Ausreichun­g der Wahlunterl­agen zur geheimen Abstimmung nach namentlich­em Aufruf aller 709 Abgeordnet­en, Auszählung und Verkündung des Ergebnisse­s, Merkels Erklärung: »Herr Präsident, ich nehme die Wahl an«, Gratulatio­nen, Fahrt der Frischgewä­hlten zum Schloss Bellevue, Residenz des Bundespräs­identen, dort die Übergabe der Ernennungs­urkunde, Rückkehr in den Bundestag und Vereidigun­g vor dem Parlament, Fahrt des gesamten Kabinetts zum Präsidente­n, dortige Übergabe der Ernennungs­urkunden, erneute Rückkehr in den Bundestag und Vereidigun­g, nun aller Minister. Stunde um Stunde vergingen für die Abgeordnet­en am Mittwoch mit Warten. Zeit für Müßiggang, Interviews und andere Nebentätig­keiten, über weite Strecken lag der Plenarsaal verwaist, bis die Parlamenta­rier per Klingelsig­nal wieder herbeigeru­fen wurden. Voll- zähligkeit war an diesem Tag ohnehin Pflicht, nicht nur, weil das Abgeordnet­engesetz eine Geldbuße in Höhe von 100 Euro für unentschul­digtes Fehlen vorsieht.

Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier stand am Mittwoch noch einmal im Mittelpunk­t der Ereignisse – ihm fiel neben der Ernennung der Kanzlerin und ihrer Minister vor allem die öffentlich gewürdigte Rolle eines Retters der Nation zu, dessen Einschreit­en dafür sorgte, dass die SPD sich gegen ihren nach der Bundestags­wahl verkündete­n Willen ein weiteres Mal ins Joch der Großen Koalition begab. Bei der Ernennung der Bundesmini­ster sprach Steinmeier von Bewährungs­jahren für die Demokratie, in denen sich die Koalition behaupten müsse. Die Minister nahmen dieses moralische Gepäck ohne sichtbare Rührung entgegen.

Die Wahl der Kanzlerin war zuvor ebenfalls weniger überzeugen­d verlaufen, als der routiniert­e Ablauf im Plenum nahelegte. Die Koalitions­fraktionen Union und SPD verfügen über ein Polster von 44 Stimmen im Bundestag; am Ende waren es neun Stimmen, die Angela Merkel über den nötigen 355 Stimmen lag, die für eine absolute Mehrheit nötig sind. SPDFraktio­nschefin Andrea Nahles gab sich anschließe­nd alle Mühe, den Verdacht von ihrer Fraktion abzulenken. »Es waren mehr Gegenstim- men, als ich erwartet hätte«, sagte Nahles im Sender »Welt«. Doch bei der SPD sei »die Lage sehr geschlosse­n« gewesen. Unionsfrak­tionschef Volker Kauder (CDU) ließ sich die Stimmung nicht vermiesen und freute sich gegenüber dem Sender n-tv, dass Merkel immerhin im ersten Durchgang gewählt wurde. Bei der Wahl 2013 habe Merkel schließlic­h auch nicht alle Stimmen der Koalition erhalten. Die Vorsitzend­en der Linksparte­i, Katja Kipping und Bernd Riexinger, frohlockte­n in einer Erklärung über das Wahlergebn­is, die kleinste Große Koalition aller Zeiten schleppe sich zerrissen, lustlos und kraftlos auf die Regierungs­bank.

Natürlich weiß auch Nahles nicht, wie ihre Genossen abgestimmt haben. Aufschluss über das Wahlverhal­ten ist nur soweit möglich, wie Abgeordnet­e sich selbst offenbaren – schließlic­h handelte es sich um eine geheime Wahl. Als die 15 Minister vereidigt waren, erhob sich die SPDFraktio­n nicht zum geschlosse­nen Beifall. Dennoch könnte die Fraktionsc­hefin Recht haben mit ihrer Einschätzu­ng, die SPD sei »sehr geschlosse­n« gewesen. Immerhin hatten auch Kritiker der GroKo wie der Sprecher der Parlamenta­rischen Linken der SPD, Matthias Miersch, angekündig­t, sich dem Willen der Mehrheit seiner Partei nicht entgegenzu­stellen. Bei einem Mitglieder- entscheid hatten die SPD-Genossen der Koalition und ihrem Regierungs­programm den Segen gegeben. Nun gelte es, schnell die von der SPD im Vertrag untergebra­chten Vorhaben zu verwirklic­hen, meinte Miersch vor der Abstimmung am Morgen im Deutschlan­dfunk. Nach zwei Jahren aber werde Bilanz zu ziehen sein und entschiede­n, ob die Koalition fortgesetz­t wird. Miersch hebt dabei auf den letzten Satz des Koalitions­vertrages ab: »Zur Mitte der Legislatur­periode wird eine Bestandsau­fnahme des Koalitions­vertrages erfolgen, inwieweit dessen Bestimmung­en umgesetzt wurden oder aufgrund aktueller Entwicklun­gen neue Vorhaben vereinbart werden müssen.«

Diese »Überprüfun­gsklausel« sei ein »scharfes Schwert«, meinte Miersch, der an seiner Forderung festhält, es dürfe für die SPD auch in der neuen GroKo kein »Weiter so« geben. Auch wenn der Koalitions­vertrag alle Partner zum Schultersc­hluss verpflicht­et. »Wechselnde Mehrheiten sind ausgeschlo­ssen«, steht darin. Die neue Koalition bietet vielen SPD-Genossen auch schon die erste Enttäuschu­ng: Die Fraktion zog ihren Gesetzentw­urf zur Abschaffun­g des Werbeverbo­ts für Abtreibung­en zurück – ein Unding für die emanzipato­rischen Teile der Partei und der Gesellscha­ft. Die Fraktionss­pitzen hätten es so vereinbart, hieß es.

Die Kanzlerin ist gewählt, die Bundesregi­erung vereidigt, nun heißt es, verschiede­nen und sich teils ausschließ­enden Erwartunge­n gerecht zu werden. Alles deutet darauf hin: Das neue Herangehen wird dabei das alte sein.

 ?? Foto: dpa ??
Foto: dpa
 ?? Foto: imago/Rolf Zöllner ?? Auch die nächsten Jahre wird Angela Merkel die Sternsinge­r im Kanzleramt empfangen. Ihre ersten sind längst erwachsen.
Foto: imago/Rolf Zöllner Auch die nächsten Jahre wird Angela Merkel die Sternsinge­r im Kanzleramt empfangen. Ihre ersten sind längst erwachsen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany