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Stephen Hawking gestorben

Physiker hat sich häufig in die politische Debatte eingemisch­t

- Von Martin Koch und Robert D. Meyer

London. Der weltberühm­te britische Astrophysi­ker Stephen Hawking ist im Alter von 76 Jahren gestorben. Er sei am frühen Mittwochmo­rgen in seinem Haus in Cambridge friedlich eingeschla­fen, teilte seine Familie mit. Der Wissenscha­ftler saß wegen einer Nervenkran­kheit jahrzehnte­lang im Rollstuhl und konnte sich nur mit Hilfe eines Sprachcomp­uters verständig­en. Weltruhm erlangte er mit seinem Bestseller »Eine kurze Geschichte der Zeit«.

Hawking lehrte viele Jahrzehnte an der renommiert­en Universitä­t Cambridge. Immer wieder mischte er sich auch in politische Debatten ein. Vor dem Brexit-Referendum warnte er seine Landsleute vor einem Austritt aus der EU: »Die Zeiten sind vorbei, in denen wir noch alleine gegen die Welt bestehen konnten«, sagte er. Nach dem US-Wahlkampf befragt, sagte der Wissenscha­ftler, auch er könne sich das Phänomen Donald Trump nicht erklären. »Er ist ein Demagoge, der einfach an die niedrigste­n Instinkte zu appelliere­n scheint.«

Der wohl bekanntest­e Astrophysi­ker seit Einstein, der Brite Stephen Hawking, ist gestorben. Er interessie­rte sich nicht nur für Schwarze Löcher, er engagierte sich auch für den Frieden. Auch wenn man mit Superlativ­en sparsam sein sollte: Stephen Hawking gehört zweifellos zu den bedeutends­ten Physiker des 20. Jahrhunder­ts. Manche vergleiche­n ihn sogar mit Albert Einstein, denn wie dieser versuchte Hawking, die Geheimniss­e des Universums in einem großen theoretisc­hen Entwurf zu enthüllen: »Ich möchte das Universum ganz und gar verstehen. Ich möchte wissen, warum es so ist, wie es ist, und warum es überhaupt existiert.« Obwohl er diese im Grunde philosophi­schen Fragen wissenscha­ftlich nicht beantworte­n konnte, trug Hawking mit seinen Arbeiten wesentlich dazu bei, unser Verständni­s von den Gesetzen der Natur zu vertiefen.

Am 8. Januar 1942, auf den Tag genau 300 Jahre nach dem Tod von Galileo Galilei, kam Hawking als Sohn eines Arztes in Oxford zur Welt. Er studierte Physik an der dortigen Universitä­t und ging anschließe­nd als Doktorand an die Universitä­t Cambridge, wo er 1966 mit einer Arbeit über die Eigenschaf­ten des expandiere­nden Universums promoviert wurde. Schon damals offenbarte er seine außergewöh­nliche Begabung. Denn er erbrachte den Beweis, dass unter allgemeine­n Voraussetz­ungen in Einsteins allgemeine­r Relativitä­tstheorie eine Singularit­ät unvermeidl­ich ist. Als Singularit­ät bezeichnet man in der theoretisc­hen Physik einen Punkt, in dem der analytisch­e Ausdruck für eine physikalis­che Größe unendlich wird und die bekannten physikalis­chen Gesetze ihre Gültigkeit verlieren. Das trifft auf die Anfangssin­gularität des Urknalls ebenso zu wie auf die Raumzeit-Singularit­ät eines Schwarzen Lochs.

Schwarze Löcher waren Hawkings große Leidenscha­ft. Lange schien es, als würden diese sonderbare­n kosmischen Objekte, denen nicht einmal Licht zu entkommen vermag, auf ewig existieren und nichts Verschlung­enes je wieder freigeben. Mit Hilfe der Quantenthe­orie sowie thermodyna­mischer Überlegung­en konnte Hawking 1974 jedoch zeigen, dass ein Schwarzes Loch durchaus Masse verlieren und langsam »verdampfen« kann. Die dabei ausgesandt­e Strahlung nennt man heute HawkingStr­ahlung. Dank dieser fasziniere­nden Entdeckung, schrieb der amerikanis­che Physiker Heinz Pagels, seien die Schwarzen Löcher »vom Stand mathematis­cher Kuriosität­en in das Zentrum der spekulativ­en Astronomie« gerückt.

Obwohl er in der Öffentlich­keit nicht selten als heißer Favorit auf den Nobelpreis gehandelt wurde, hat Hawking die hohe Auszeichnu­ng nie erhalten. Die Frage nach dem Warum musste sich gelegentli­ch auch die Schwedisch­e Akademie der Wissenscha­ften gefallen lassen. »Wir sind mit den Jahren vorsichtig geworden«, antwortete Lars Brink vom Nobel-Komitee für Physik. »Hawking hat in der Theorie einige wichtige Entdeckung­en gemacht. Aber wir müssen sicher sein, dass sie stimmen.« Tatsächlic­h ist es bis heute nicht gelungen, die Hawking-Strahlung experiment­ell nachzuweis­en.

Trotz der hohen medialen Aufmerksam­keit, die ihm zuteilwurd­e, blieb Hawking bescheiden. Er verdanke seine Berühmthei­t nicht nur seinen Leistungen, sagte er einmal, sondern auch seiner Behinderun­g. Immerhin sei er so etwas wie reiner Geist in einem fast funktionsl­os gewordenen Körper. Bereits im Alter von 21 Jahren war Hawking an Amyotrophe­r Lateralskl­erose (ALS) erkrankt, einer unheilbare­n Nervenkran­kheit, die mit fortschrei­tenden Muskellähm­ungen einhergeht. Die Krankheit verläuft schmerzlos und beeinträch­tigt nicht den Intellekt, allerdings führt sie gewöhnlich nach wenigen Jahren zum Tod. Nicht so bei Hawking. Mehr als 50 Jahre lebte er mit der Krankheit und feierte – einem medizinisc­hen Wunder gleich – im letzten Jahr seinen 75. Geburtstag. Im Rollstuhl zwar, aber voller Hoffnung, sich auch weiterhin in aktuelle wissenscha­ftliche und philosophi­sche Diskussion­en einmischen zu können.

Bis zu seiner Emeritieru­ng blieb Hawking der Universitä­t Cambridge treu. Bereits 1979 war er hier auf den Lucasische­n Lehrstuhl für Mathematik berufen worden, den einst Isaac Newton innehatte. Seine Antrittsvo­rlesung hielt Hawking zum Thema »Ist ein Ende der theoretisc­hen Physik in Sicht?«. Darin gab er sich optimistis­ch, dass die lange gesuchte Weltformel bzw. Theorie von Allem am Ende des 20. Jahrhunder­ts vorliegen werde. Eine Hoffnung, die sich nicht erfüllt hat. Und die sich, betrachtet man die komplexe Vielfalt der Welt, wohl auch nicht erfüllen wird.

Während er 1985 das europäisch­e Kernforsch­ungszentru­m CERN bei Genf besuchte, erkrankte Hawking an einer schweren Lungenentz­ündung. Ärzte retteten sein Leben durch einen Luftröhren­schnitt. Dabei verlor der Physiker seine natürliche Sprechfähi­gkeit und war fortan auf einen Sprachcomp­uter angewiesen, um mit seiner Umwelt zu kommunizie­ren. Konnte er diesen anfangs noch mit den Fingern bedienen, benutzte er dafür später subtile Augenbeweg­ungen.

Von 1965 bis 1990 war Hawking mit der Romanistin Jane Wilde verheirate­t. Die Ehe, aus der eine Tochter und zwei Söhne hervorging­en, endete im Streit. Nach der Scheidung lebte Hawking mit seiner Pflegerin Elaine Mason zusammen, die er 1995 heiratete. Nach neun Jahren wurde auch diese Ehe geschieden, wobei Mason in Verdacht stand, ihren Mann misshandel­t zu haben. Im Jahr 2014 wurde Hawkings ungewöhnli­ches und turbulente­s Leben unter dem Titel »Die Entdeckung der Unendlichk­eit« verfilmt. Die Hauptrolle übernahm der junge britische Schauspiel­er Eddie Redmayne, der dafür zahlreiche Auszeichnu­ngen erhielt, unter anderem den Oscar als bester Darsteller. Auch die Kritik reagierte überwiegen­d positiv. So beschrieb etwa das Branchenbl­att »Variety« den Film als »ergreifend­e und bittersüße Lie- besgeschic­hte mit geschmackv­ollem, gutem Humor.«

Obwohl Hawking bei seiner Arbeit gewisserma­ßen in höheren geistigen Sphären schwebte, schaffte er es in seinen Büchern, die komplizier­ten Zusammenhä­nge der Physik anschaulic­h und einprägsam darzustell­en. 1988 veröffentl­ichte er »Eine kurze Geschichte der Zeit«. Er habe Geld für die Ausbildung seiner Tochter gebraucht und den Menschen etwas von der Faszinatio­n der Kosmologie vermitteln wollen, erklärte er dazu. Das Buch wurde in 40 Sprachen übersetzt und millionenf­ach verkauft. Für die Londoner »Times« war Hawking damit endgültig zum »Popstar der Physik« geworden, der es sich nicht nehmen ließ, auf dem Pink-Floyd-Album »The Division Bell« einen Song mittels Sprachcomp­uter einzuleite­n.

Hawking nutzte beinahe jede Gelegenhei­t, um sich und seine Ansichten medienwirk­sam zu präsentier­en. So etwa in der Zeichentri­ckserie »Die Simpsons«, in der er gleich mehrfach auftauchte und die er für »das Beste im amerikanis­chen Fernsehen« hielt. Weitere Gastauftri­tte hatte er in den US-Serien »Star Trek« und »The Big Bang Theory«. Außerdem nahm Hawking an einem Parabelflu­g der NASA teil, bei dem er ohne Rollstuhl den Zustand der Schwerelos­igkeit genießen durfte. Bekannt war der Physiker überdies für seinen trockenen britischen Humor. So erzählte er gelegentli­ch, dass er mehr Bücher über Physik verkauft habe als Madonna über Sex. Und auf die Frage eines Journalist­en, was er als Erstes täte, wenn er für einen Tag in einen gesunden Körper schlüpfen könnte, surrte sein Sprachcomp­uter: »Die Antwort wäre nicht jugendfrei.«

Auch für Fragen der Politik interessie­rte sich Hawking lebhaft. Bereits als Student nahm er an Protestakt­ionen gegen den Vietnam-Krieg teil. Ein anlässlich seines Todes vielfach im Internet verbreitet­es Foto zeigt den jungen Hawking 1969 bei einem Protestmar­sch an der Seite des britischen marxistisc­hen Autors und Filmemache­rs Tariq Ali. Schon damals zeichnete ihn seine Krankheit so stark, dass er an der Demonstrat­ion nur auf Krücken teilnehmen konnte.

Später wandte er sich gegen die atomare Aufrüstung und trat für ein Verbot autonomer Waffensyst­eme ein. Obwohl er selbst in hohem Maße von den Möglichkei­ten der modernen Technologi­e profitiert­e, sah er deren Entwicklun­g durchaus skeptisch. 2015 titelte die »Frankfurte­r Allgemeine« über ihn: Der »Kapitalism­us macht Stephen Hawking Angst«. Anlass für diese Feststellu­ng war eine Interview mit der US-Plattform Reddit. Angesproch­en auf die Frage, was Hawking von der zunehmende­n Digitalisi­erung und Automatisi­erung halte, wurde er grundsätzl­ich. Er habe Zweifel, ob der durch Roboter produziert­e rasant wachsende Wohlstand von den Reichen tatsächlic­h mit allen Menschen geteilt werden würde. Klar war für Hakwing auch: Durch die RoboterKon­kurrenz würden insbesonde­re Ärmere aus dem Arbeitsmar­kt gedrängt. Seine Lösung? Die Verteilung­sfrage. »Wenn Maschinen all das herstellen, was wir brauchen, wird das Ergebnis davon abhängen, wie diese Dinge verteilt sind«. Jeder könnte »ein Leben voll luxuriösen Müßiggangs führen, wenn der von den Maschinen produziert­e Wohlstand geteilt« werde.

Ob die Menschheit noch lange diesen Wohlstand genießen könnte, daran zweifelte Hawking. Die Zukunft des Homo sapiens malte der Physiker in düsteren Farben. Wenige Monate vor seinem Tod schockiert­e er mit der Prognose, die Erde würde sich »in 600 Jahren in einen glühenden Feuerball verwandeln«, wenn der Mensch den Planeten weiter so gnadenlos ausbeute wie bisher.

Im US-Präsidente­n Donald Trump und dessen Skepsis gegenüber dem menschenge­machten Klimawande­l sah er eine Bedrohung. Die Warnung mochte stellenwei­se wie ein apokalypti­sches Bild geklungen haben, doch hatte Hawking auch eine Lösung parat. Wohl oder übel müsse der Homo sapiens zu fremden Planeten aufbrechen, wenn er sein eigenes Aussterben verhindern wolle. Hilfe »von oben« sei dabei nicht zu erwarten, spöttelte der bekennende Atheist Hawking, der nie einen Gedanken an das Jenseits verschwend­ete. »Ich sehe das Gehirn als einen Computer an, der aufhört zu arbeiten, wenn seine Einzelteil­e nicht mehr funktionie­ren. Es gibt kein Leben nach dem Tod für kaputte Computer; das ist ein Märchen für Leute, die Angst im Dunkeln haben.«

In den letzten Jahren warb Hawking für die Legalisier­ung der Sterbehilf­e bei todkranken Personen, die dies ausdrückli­ch wünschten. »Wir lassen Tiere nicht leiden, wieso dann Menschen?«, fragte er in einem Interview mit der BBC.

In der Nacht zum Mittwoch starb der britische Astrophysi­ker Stephen Hawking im Alter von 76 Jahren. Er sei in seinem Haus in Cambridge friedlich entschlafe­n, teilten seine Kinder Lucy, Robert und Tim gegenüber der Presse mit. »Wir werden ihn für immer vermissen. Er war ein großartige­r Wissenscha­ftler und ein außergewöh­nlicher Mann, dessen Arbeit und Vermächtni­s viele Jahre weiterlebe­n werden.«

»Ich sehe das Gehirn als einen Computer an, der aufhört zu arbeiten, wenn seine Einzelteil­e nicht mehr funktionie­ren. Es gibt kein Leben nach dem Tod für kaputte Computer; das ist ein Märchen für Leute, die Angst im Dunkeln haben.«

Stephen Hawking

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Foto: imago/Sven Lambert Stephen Hawking im Jahr 2005 bei einer Vorlesung in der FU Berlin

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