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London dreht am Eskalation­srad

Nach mysteriöse­m Giftanschl­ag weist britische Premiermin­isterin Theresa May Moskauer Diplomaten aus

- Von René Heilig

London will russische Diplomaten ausweisen. Zugleich erreichte die Debatte zum Giftgas-Anschlag auf einen russischen ExDoppelsp­ion in England die UNO und die NATO. Der UN-Sicherheit­srat ist am Mittwochab­end auf britischen Antrag zusammenge­treten, um sich über den mutmaßlich­en Giftanschl­ag auf den früheren russischen Doppelagen­ten Sergej Skripal und seine Tochter zu informiere­n. Beide waren am 4. März in der südenglisc­hen Stadt Salisbury bewusstlos aufgefunde­n worden. Sie kämpfen seitdem in einer Klinik um ihr Leben.

Bereits unmittelba­r nach dem Attentat hatte London behauptet, Russland stecke »sehr wahrschein­lich« hinter der Tat. Seither entwickelt­e der Fall eine gefährlich­e Dynamik. In britischen Medien werden verschiede­nste Sankti- onen gegen Russland erörtert. Zunächst jedoch, so erklärte Premiermin­isterin Theresa May am Mittwoch im Londoner Parlament, wird Großbritan­nien 23 russische Diplomaten ausweisen. Zudem werden alle bilaterale­n Kontakte ausgesetzt. May kündigte an, alle staatliche­n russischen Vermögen im Land einzufrier­en, wenn es Beweise dafür gebe, dass diese dazu eingesetzt würden, Leben und Eigentum von Bürgern in Großbritan­nien zu bedrohen.

Die russische Botschaft in London nannte Mays Ankündigun­gen am Mittwoch »beispiello­s« und eine »ungeheuerl­iche Provokatio­n«. Die Regierung in Moskau hatte am Dienstagab­end ein Ultimatum Mays verstreich­en lassen. Darin hätte sich der Kreml, so die Forderung, inhaltlich zur Attacke gegen den 66-jährigen ehemaligen russischen Militärauf­klärer und britischen MI6-Spion Skripal und seine 33-jährige Tochter erklären sollen.

Zu normalen Geschäftsz­eiten am Mittwoch meldete sich dann Russlands Präsidente­nsprecher Dmitri Peskow. Er bekräftigt­e, die von May erhobenen Vorwürfe entbehrten jeder Grundlage. Dennoch sei man offen für eine Zu- sammenarbe­it mit britischen Behörden, damit die Tat aufgeklärt wird. Dazu ist London ohne Angabe von Gründen nicht bereit, obwohl die eigenen Ermittler offenbar kaum Ermittlung­serfolge vorweisen können.

Peskow blieb auf der Linie seines Chefs. Präsident Wladimir Putin hatte May bereits am Mon- tag mit Hilfe eines BBC-Reporters die Nachricht zukommen lassen: »Schaffen Sie zuerst Ordnung bei sich selbst und dann werden wir mit Ihnen darüber diskutiere­n.«

London verschärft­e jedoch die Situation und versuchte, seine Verbündete­n »auf Linie« zu bringen. Nach den USA stellte sich Frankreich­s Präsident Emmanuel Macron an Londons Seite. Kanzlerin Angela Merkel ließ durch einen Sprecher erklären, es sei an Russland, »rasche Antworten auf die berechtigt­en Fragen der britischen Regierung zu geben«.

Diese Forderung erhoben auch die 29 Mitgliedst­aaten der NATO. Der »Angriff« sei »ein klarer Bruch internatio­naler Regeln und Vereinbaru­ngen«. Die Allianz versichert­e ihre Solidaritä­t und bot »Unterstütz­ung bei der Durchführu­ng der laufenden Untersuchu­ng«. Auch EU-Ratspräsid­ent Donald Tusk sagte Großbritan­nien volle Solidaritä­t zu.

Moskaus Botschaft hat Zugang zu Julia Skripal beantragt. Sie ist russische Bürgerin.

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