nd.DerTag

Berlin lässt Macron auflaufen

Deutschlan­d blockiert EU-Reformen / Mittelfris­tig deutet sich der Zerfall der Eurozone an

- Von Tomasz Konicz

Die Bundesregi­erung hat in der Europapoli­tik eine Kehrtwende vollzogen und scheint kaum noch Interesse an Vorschläge­n aus Paris zu haben. Offenbar hat sich der CDUWirtsch­aftsflügel durchgeset­zt. Die für Ende März geplante, große Europapart­y muss abgesagt werden. Beim kommenden Brüssler EU-Gipfel wollten Frankreich­s Präsident Emmanuel Macron und Bundeskanz­lerin Angela Merkel ihre Reformplän­e zur Umgestaltu­ng der Europäisch­en Union vorstellen, doch kürzlich berichtete »Spiegel Online«, dass Berlin hierzu nicht bereit sei. Die Deutschen hätten »auf allen Ebenen« dem EU-Rat zu verstehen gegeben, dass im März »nichts zu erwarten« sei. Man hätte während der Koalitions­verhandlun­gen keine Zeit gehabt, »sich Gedanken über die Zukunft der Eurozone zu machen«, hieß es seitens deutscher Regierungs­vertreter.

Im Kern drehen sich die europapoli­tischen Auseinande­rsetzungen zwischen Paris und Berlin um die extremen deutschen Handelsbil­anzübersch­üsse, die die ökonomisch­e Basis der politische­n Dominanz der Bundesrepu­blik in der EU bilden – und zugleich einem Export von Schulden und Arbeitslos­igkeit gleichkomm­en. Seit seinem Sieg über die Front National konzentrie­rte sich Macron darauf, von Merkel Zugeständn­isse für finanziell­e Ausgleichs­mechanisme­n zu dieser deutschen Beggar-thy-neighbour-Politik zu erhalten, die aber in Berlin als Einstieg in eine »Transferun­ion« lange Zeit abgelehnt wurden – bis Mitte Januar plötzlich eine Kehrtwende sich abzuzeichn­en schien.

Merkel und Macron kamen am 19. Januar in Paris zusammen, um einen modernisie­rten Elysée-Vertrag zu besprechen. Arbeitsgru­ppen wurden eingericht­et. Im Sondierung­spapier von Union und SPD waren viele der europapoli­tischen Forderunge­n enthalten, die Paris verwirklic­ht sehen will. US-Medien bezeichnet­en den europapoli­tischen Koalitions­entwurf damals als einen »Quantenspr­ung«. In dem Entwurf war die Rede von einem europäisch­en Investitio­nsfonds, von sozialer Konvergenz und der Ausweitung der Kontrollre­chte des EU-Parlaments. Selbst der Idee eines Eurozonen-Haushalts wollte sich damals der Merkel-Vertraute und damalige kommissari­sche Bundesfina­nzminister Peter Altmaier nicht verschließ­en. Noch auf dem letzten Elitentref­fen in Davos gaben Macron und Merkel die Devise aus, die EU stehe vor einer Revitalisi­erung.

Die nun von Berlin ausgegeben­e Devise, man hätte keine Zeit gehabt, über Europa zu diskutiere­n, kommt angesichts dieser umfassende­n informelle­n Absprachen einem diplomatis­chen Eklat gleich. Was war passiert? Schon Ende Januar, kurz nach der scheinbare­n deutsch-französisc­hen Annäherung, kamen Meldungen über massive Widerständ­e seitens des »Wirtschaft­sflügels« der CDU auf, bei dem die »Furcht vor dem großen Einfluss von Macron« (Welt-Online) zunahm. Statt einer »sozialdemo­kratischen EU« forderte der Wirtschaft­srat der CDU eine »Insolvenzo­rdnung für Staaten« und ein Ende der »Staatsfina­nzierung durch die Notenbank«. Die Betonfrakt­ion der Wirtschaft­svertreter in und bei der CDU scheint sich – darauf deutet die Verzögerun­gstaktik Merkels hin – somit durchgeset­zt zu haben, da das kurze Reformfens­ter in der EU sich mit der Europawahl im Frühjahr 2019 schließt.

Letztendli­ch hat Berlin den französisc­hen Präsidente­n, der die forcierte europäisch­e Integratio­n als ein Gegengift zum erstarkend­en Rechtspopu­lismus in Frankreich verkaufte, durch Verzögerun­gen und unverbindl­iche Signale auflaufen lassen. Macron setzte vereinbaru­ngsgemäß neo- liberale Reformen in Frankreich durch, auf denen die Bundesregi­erung beharrte, er positionie­rte sich auch geopolitis­ch eindeutig an der Seite Berlins – um jetzt mit einer Kehrtwende Merkels konfrontie­rt zu werden, die seine Verhandlun­gsposition schwächt und eine geopolitis­che Neuorienti­erung erschwert.

Angesichts des Wahlsieges populistis­cher Parteien im krisengesc­hüttelten Italien, die ihre antieuropä­ische Austrittsr­hetorik nur aus Rücksichtn­ahme auf die deutsch-französisc­hen Reformverh­andlungen einstellte­n, ist ein Auseinande­rbrechen der Eurozone mittelfris­tig wahrschein­lich. Berlin scheint die Eurozone nur dann mittragen zu wollen, wenn sie als eine Transferun­ion für die extremen deutschen Handelsübe­rschüsse fungiert.

Tomasz Konicz ist Autor mehrerer Bücher, unter anderem von »Kapitalkol­laps – Die finale Krise der Weltwirtsc­haft«.

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