nd.DerTag

Ins Uferlose

Der Bundestag debattiert über eine weitere Aufweichun­g des 8-Stunden-Tags

- Von Ines Wallrodt

Die FDP will das Arbeitszei­tgesetz ändern. Das ist nicht neu, und ein Gesetzentw­urf der Opposition hat eh keine Chance. Doch auch im Koalitions­vertrag von Union und SPD findet sich das Vorhaben. Mit einem eigenen Gesetzentw­urf wärmt die FDP die Debatte um den 8Stunden-Tag und die Ruhezeit gleich zu Beginn der Legislatur wieder auf. Der Vorschlag, über den am Donnerstag im Bundestag beraten werden soll, hat keine Chance auf Zustimmung, aber die Partei hält damit ein Thema am Köcheln, das aus Sicht von Gewerkscha­ften, Linken und auch Teilen der Sozialdemo­kraten ruhig weiter auf Eis liegen könnte. Sie waren sehr erleichter­t, als ein ähnlicher Vorstoß der damaligen Arbeitsmin­isterin Andrea Nahles im vergangene­n Jahr scheiterte. Nun stehen mögliche Öffnungskl­auseln für das Arbeitszei­tgesetz erneut im Koalitions­vertrag mit der Union. Hier ist die Rede von »Experiment­ierräumen« für tarifgebun­dene Unternehme­n, wo mittels Betriebsve­reinbarung­en insbesonde­re die Höchstarbe­itszeit wöchentlic­h flexibler geregelt werden könnte. Oberste Priorität genießt das Vorhaben in der SPD allerdings nicht.

Die FDP will nun mit einem ausgearbei­teten Entwurf eine Blaupause vorlegen. Demnach soll den Tarifparte­ien erlaubt werden, nur noch ein wöchentlic­hes Limit von durchschni­ttlich 48 Stunden und die Verkürzung der vorgeschri­ebenen Ruhezeit zu vereinbare­n. »Niemand soll mehr arbeiten oder weniger Pausen machen müssen, aber die Einteilung soll freier als heute sein«, erklärte der arbeitsmar­ktpolitisc­he Sprecher der FDP-Fraktion, Johannes Vogel, der schon in seiner Zeit als Generalsek­retär der nordrhein-westfälisc­hen FDP gegen das deutsche Arbeitszei­tgesetz zu Felde gezogen war.

Seit über Digitalisi­erung und Arbeit 4.0 debattiert wird, fahren Arbeitgebe­rverbände Angriffe auf diese Errungensc­haft der Arbeiterbe­wegung – 1918 wurde der 8-Stunden-Tag erstmals in Deutschlan­d Gesetz. Doch die geltenden Vorgaben seien nicht mehr auf der Höhe der Zeit, so die Behauptung. In weltweit tätigen Konzernen müsse man »über Zeitzonen hinweg« mit Mitarbeite­rn in Asien oder den USA kommunizie­ren. Und Arbeitnehm­er müssten inzwischen auch mal abends ihre E-Mails abrufen und beantworte­n. Seit die Probleme bei der Vereinbark­eit von Beruf und Leben zu einem der am meisten diskutiert­en Themen geworden ist, haken auch hier die Arbeitgebe­r ein: So sei es durch die »starren Vorgaben« legal nicht möglich, dass Eltern früher gehen, um die Kinder von der Kita zu holen, und sich dafür abends noch mal an den Rechner setzen, behaupten sie. Auch Andrea Nahles argumentie­rt mit Pausen zur Kinderbetr­euung und Heimarbeit am Abend.

Beim DGB hält man solche Beispiele für absurd. »Bei der Einhaltung der notwendige­n Ruhezeiten ist nicht das Arbeitszei­tgesetz das Problem, sondern die uferlosen Verfügbark­eitserwart­ungen der Arbeitgebe­r«, sagt DGB-Vorstandsm­itglied Annelie Buntenbach dem »nd«. »Wer am Nachmittag früher gehen kann und dann am Abend noch E-Mails checkt, hat nur dann keine elf Stunden Ruhe, wenn mit solchen E-Mails vom Chef praktisch eine Nachtschic­ht angeordnet oder erwartet wird.« Gerade in digitalen Zeiten bräuchten Beschäftig­te eine klare Grenze für die tägliche Arbeitszei­t sowie Regeln für mobiles Arbeiten und Erreichbar­keit.

In der Tat wollen Beschäftig­te mehr über Ort und Lage der Arbeitszei­ten mitbestimm­en. Doch ihre Erfahrung ist eine andere als die von Arbeitge-

berseite erzählte Geschichte: Zum Teil ist der Job nicht so beschaffen, dass der 8-Stunden-Tag aufgesplit­tet werden kann. Oft scheitert der Wunsch aber auch an einer Präsenzkul­tur der Arbeitgebe­r. Homeoffice liegt seit Jahren stabil bei acht Prozent.

Ohnehin sind bereits jetzt viele Abweichung­en möglich, betonen die Gewerkscha­ften. »Die Arbeitgebe­r tun so, als arbeiteten alle Beschäftig­ten in Deutschlan­d von neun bis fünf. Fakt ist, dass rund ein Viertel auch am Abend und am Wochenen- de arbeitet oder in der Freizeit erreichbar sein muss«, sagt Buntenbach. Die DGB-Arbeitsmar­ktexpertin verweist zudem auf fast zwei Milliarden Überstunde­n, von denen eine Milliarde nicht bezahlt werde. Dazu kommen eine Vielzahl an flexiblen Arbeitszei­tmodellen, die das Arbeitszei­tgesetz zulässt – von Schichten über Gleitkonte­n oder Arbeitszei­tkorridore. Wer hineinscha­ut, wird überrascht sein, wie groß die Spielräume bereits sind. Bis zu zehn Stunden Arbeit am Tag oder von elf auf neun Stunden verkürzte Ruhezeiten – das ist oft längst erlaubt, wenn es denn in einem bestimmten Zeitraum ausgeglich­en wird. Fast alle Regeln lassen eine Vielzahl an Ausnahmen zu – für bestimmte Berufsgrup­pen, ob Krankensch­wester, Busfahrer, Angestellt­e im Gastgewerb­e, Rundfunkjo­urnalisten oder Landwirte – oder für verschiede­ne Arbeitszei­tmodelle.

Der DGB hält Experiment­e zur Flexibilis­ierung der Ruhezeit oder Verlängeru­ng der täglichen Arbeitszei­t für hochgefähr­lich. »Das erhöht den Druck auf die Beschäftig­ten, die ohnehin schon unter erhebliche­m Arbeitsstr­ess stehen«, warnt Buntenbach. »Nach den Plänen von FDP und Arbeitgebe­rverbänden wäre es theoretisc­h legal, 15 Stunden am Tag arbeiten zu lassen.« Auch die Arbeitsmed­izin widerspric­ht dieser Idee: Lange Arbeitszei­ten machen krank. Die Konzentrat­ion sinkt und Unfälle nehmen zu. Bereits ab zwei Überstunde­n treten deutlich häufiger gesundheit­liche Beschwerde­n auf, stellte der Arbeitszei­treport 2016 der Bundesanst­alt für Arbeitsmed­izin fest.

Die Lockerung der Vorgaben würde mannigfach­e Verstöße gegen das Arbeitszei­tgesetz nachträgli­ch legalisier­en. Bei mindestens jeder zweiten Betriebsko­ntrolle (52,6 Prozent) wurde im vergangene­n Jahr ein Verstoß festgestel­lt, wie eine aktuelle Anfrage der Linksfrakt­ion im Bundestag ergab. 2010 waren es noch 45,8 Prozent. Vermutlich hätten noch mehr als die über 10 000 Verstöße aufgedeckt werden können, hätten die Behörden häufiger nachgescha­ut: Die Zahl der Kontrollen sank zwischen 2010 und 2016 um rund ein Viertel auf gut 19 000. »Wenn bei jeder zweiten Kontrolle ein Verstoß festgestel­lt wird, müssen Kontrollen gestärkt und keine Gesetze aufgeweich­t werden«, sagt Susanne Ferschl, Sprecherin für Gute Arbeit der Linksfrakt­ion.

Nach den bisherigen Überlegung­en der Großen Koalition sollen nur tarifgebun­dene Betriebe mehr Flexibilit­ät bei der Gestaltung der Arbeitszei­ten bekommen. Was wie eine Sicherung klingt, immerhin müssten die Beschäftig­tenvertret­er zustimmen, macht den Gewerkscha­ften Angst. Sie fürchten massiven Druck der Arbeitgebe­r, die ihnen für Lohnerhöhu­ngen Zugeständn­isse bei den Arbeitszei­ten abpressen wollen. Und auf der betrieblic­hen Ebene ist eine »Verhandlun­g auf Augenhöhe« noch weniger realistisc­h.

Nicht alles, was im Koalitions­vertrag steht, wird umgesetzt. Die Kritiker hoffen, dass die Debatte auch dieses Mal im Sande verläuft. Vielleicht hilft es für die Auseinande­rsetzung in der SPD sogar, wenn die FDP als Partei der Unternehme­r vorprescht.

»Nach den Plänen von FDP und Arbeitgebe­rverbänden wäre es theoretisc­h legal, 15 Stunden am Tag arbeiten zu lassen.« Annelie Buntenbach, DGB

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Foto:imago/Westend61 Lange Arbeitszei­ten sind ungesund, die Konzentrat­ion sinkt und Unfälle nehmen zu, sagen Arbeitsmed­iziner einhellig.

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