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Unter dem Deckmantel der Gastfreund­schaft

Verspätete Gäste, längere Feiern – das Gastgewerb­e will solche Unwägbarke­iten der Branche auf seine Beschäftig­ten abwälzen

- Von Ines Wallrodt

Die Digitalisi­erung fordert neue Regelungen zur Arbeitszei­t. Das leuchtet vielen ein. Doch auch das Gastgewerb­e findet die Regelungen nicht mehr zeitgemäß. Dabei sind die Probleme hier uralt. Angeblich stellt die Digitalisi­erung den 8-Stunden-Tag und die gesetzlich­en Ruhezeiten infrage. Im Hintergrun­d wird die Debatte auf der Arbeitgebe­rseite jedoch maßgeblich von einer Branche befeuert, die seit Jahrhunder­ten recht ähnlich funktionie­rt: das Gastgewerb­e. Der Deutsche Hotelund Gaststätte­nverband Dehoga trommelt seit Jahren intensiv für eine Änderung des Arbeitszei­tgesetzes, das, wenn man ihm glaubt, der größte Feind der Gastfreund­schaft zu sein scheint. Mit dramatisch­en Geschichte­n wird das verdeutlic­ht. Denn würden sich Gastwirte an Recht und Gesetz halten, so lautet ein Beispiel der Arbeitszei­tkampagne des Verbands, dann müssten ihre Angestellt­en die Hochzeitsg­äste um ein Uhr aus dem Saal kompliment­ieren, wenn das vorher als Endzeit vereinbart worden war, statt sie bis vier Uhr weiterfeie­rn zu lassen.

Auch eine hungrige Busreisegr­uppe müsste dann auf ihr bestelltes 3Gang-Menü verzichten, wenn sie im Stau steckt und daher nicht 19, sondern erst 22 Uhr ihr Ziel erreicht. »Auch bei diesen Sachverhal­ten ist maximale Flexibilit­ät ganz im Sinne guter Gastfreund­schaft gefordert und ein Überschrei­ten der täglichen Höchstarbe­itszeit von zehn Stunden im Einzelfall nicht auszuschli­eßen«, erklärt die Dehoga. Statt gesetzlich­e Grenzen für die tägliche Arbeitszei­t vorzugeben, soll deshalb nach dem Willen des Verbands nur noch eine maximale Wochenarbe­itszeit definiert werden. Innerhalb dieser sollten die Arbeitszei­ten flexibel auf die Wochentage aufgeteilt werden können.

Genau das fordert auch die Bundesvere­inigung der Arbeitgebe­rverbände, die jedoch die Leiden von Restaurant­s und Hotels eher weniger herausstel­lt. Marketingt­echnisch macht das Sinn. Hochzeitsf­eiern hat es schon immer gegeben, mit der digitalen Revolution lässt sich hingegen viel bes- ser der Anschein erwecken, dass alle bisher gültigen Regeln überdacht werden müssen.

Dabei ist es schon jetzt Usus, dass Kellnerinn­en ihren Feierabend verschiebe­n, wenn die Feier länger dauert. In bestimmten Grenzen ist das auch erlaubt. Dann dürfen es laut Gesetz ausnahmswe­ise zehn Stunden sein. Sie müssen dann aber nicht nur vergütet, sondern auch in einer bestimmten Zeit durch weniger Arbeit ausgeglich­en werden. Diese Flexibilit­ät reicht den Chefs aber nicht.

Das Gastgewerb­e verdeutlic­h damit ziemlich genau, worum es bei den andauernde­n Angriffen auf das Arbeitszei­tgesetz eigentlich geht. Schwankend­e Nachfrage, Veranstalt­ungen, die länger dauern, launi- sches Wetter oder andere Unwägbarke­iten fordern die Planung der Betriebsab­läufe heraus. Die Risiken dafür will jedoch nicht der Chef, sondern sollen die Beschäftig­ten tragen. Nichts anderes bedeutet eine Umstellung von täglichen auf wöchentlic­he Arbeitszei­tlimits. Die Kellnerin könnte dann einfacher verdonnert werden, statt maximal zehn auch zwölf Stunden am Zapfhahn zu stehen. Das wären praktische­rweise keine Überstunde­n mehr. Der Chef sparte Geld für zusätzlich­es Personal, für Zuschläge oder den Ausgleich der Mehrarbeit.

Die beschäftig­tenfreundl­ichere Lösung liegt auf der Hand: Gastwirte könnten auch einfach ausreichen­d Personal einplanen, vielleicht sogar einen zeitlichen Puffer, wenn nicht so genau klar ist, wie lange die Gäste feiern wollen. Und wenn es sein muss, könnten Springer kurzfristi­g helfen.

Der Koalitions­vertrag kommt mit seiner Öffnungskl­ausel für das Arbeitszei­tgesetz den Forderunge­n der Arbeitgebe­r entgegen. Dennoch ist die Dehoga enttäuscht. Denn von den Vorgaben abweichen dürften nur Betriebe mit Tarifvertr­ag, was zugleich ein Anreiz für Tarifbindu­ng sein soll. Dies sei eine »schallende Ohrfeige für alle kleinen und mittleren Betriebe, die gar keinen Betriebsra­t haben«, beklagt Dehoga-Chef Guido Zöllick. Für eine Niedrigloh­nbranche wie das Gastgewerb­e ist ein Tarifvertr­ag offenbar immer noch schlimmer als das Arbeitszei­tgesetz.

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