nd.DerTag

Wo Dunkel den NSU umgibt

Noch immer befasst sich im Nordosten kein Parlamenta­rischer Untersuchu­ngsausschu­ss mit der Terrorgrup­pe

- Von Hagen Jung

Haben Sicherheit­sbehörden im Nordosten bei der Abwehr des NSU versagt? Die Einsetzung eines Parlamenta­rischen Untersuchu­ngsausschu­sses ist überrasche­nd verschoben worden. Gut 14 Jahre sind vergangen, seit der 25-jährige Imbissverk­äufer Mehmet Turgut in Rostock erschossen wurde, vermutlich von Mitglieder­n des »Nationalso­zialistisc­hen Untergrund­s«, kurz NSU. Jener Terrorform­ation, deren Kern Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe gebildet hatten. Beide Männer hatten sich laut Polizei 2011 selbst getötet, ihre Komplizin muss sich seit 2013 vor Gericht verantwort­en. Sie sei an mehreren Morden beteiligt gewesen, wirft ihr die Staatsanwa­ltschaft vor, auch an dem Verbrechen, dem Turgut zum Opfer fiel.

Im Zusammenha­ng mit diesem Mord stellt sich nach wie vor die Frage, inwieweit die NSU-Terroriste­n in Mecklenbur­g-Vorpommern Unterstütz­er hatten. Und offen ist, ob es Versäumnis­se der Behörden beim Beobachten der mörderisch­en Clique und bei den Ermittlung­en zu ihren Taten gab, zu denen auch zwei Banküberfä­lle in Stralsund gehören sollen.

Licht ins Dunkel könnte ein Parlamenta­rischer Untersuchu­ngsausschu­ss (PUA) bringen, meinen Politiker und Terror-Experten. In der laufenden Woche, so war erwartet worden, werde der Landtag jenes Gremium einsetzen. Doch überrasche­nd steht dieser Schritt nicht auf der Tagesordnu­ng. Die Gründung des PUA ist verschoben worden. Grund dafür seien Zwistigkei­ten der Koalitions­parteien SPD und CDU, heißt es.

Die Union ist verärgert, weil die SPD das Einsetzen des Ausschusse­s mit einem maßgeblich von den opposition­ellen LINKEN erarbeitet­en Papier begründet habe. Ehe der Hickhack zwischen den Regierungs­partnern nicht ausgeräumt ist, dürfte der PUA kein Thema im Plenum sein und womöglich nach wie vor auf die lange Bank geschoben werden.

Befürworte­r eines solchen Gremiums fragen sich, weshalb es noch immer nicht zustande gekommen ist und wer dem PUA einen Hemmschuh in den Weg stellt. Ist es Innenminis­ter Lorenz Caffier (CDU), vielleicht fürchtend, es könnten unangenehm­e Wahrheiten über eine womöglich mangelhaft­e Arbeit der ihm unterstell­ten Behörden ans Licht kommen? Mehrfach war der Ausschuss – vor allem von der Linksfrakt­ion – gefordert worden, doch Caffier hatte sich stets gegen ihn ausgesproc­hen. Warum? Missfällt es dem Minister, dass ein PUA weitaus mehr Rechte hat, als der sogenannte Unteraussc­huss, der sich bereits seit März 2017 mit der NSU-Thematik befasst, aber in seinem Handeln sehr eingeschrä­nkt ist?

Dieses Gremium, es gehört zum Innenaussc­huss, kann zum Beispiel keine Zeugen vernehmen, und es darf keine Akten von Behörden anfordern, auch nicht zu NSU-Erkenntnis­sen anderer Bundesländ­er. Ein PUA dagegen hat diese Befugnisse.

Allerdings ist es dem Unteraussc­huss gestattet, Fachleute anzuhören, so wie es in Schwerin geschah. Dort zog der Politikwis­senschaftl­er Gideon Botsch das Resümee, das Vorgehen der Sicherheit­sbehörden in puncto NSU sei im Nordosten »nicht gut gelaufen«, und die Aufarbeitu­ng des Mordes an dem 25-Jährigen sei »besonders schlecht« gewesen.

Ebenfalls im Unteraussc­huss kam der NSU-Experte Dirk Laabs zu Wort, konstatier­te unter anderem, auch der Verfassung­sschutz solle zu seiner Arbeit von einem PUA befragt werden. So beispielsw­eise zu den Verbindung­en des NSU-Trios Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe zu einer Frau in Rostock, bei der sie auch übernachte­ten und die später als Sekretärin der NPD-Landtagsfr­aktion gearbeitet habe. Das Parlament, so Laabs, dürfe den Sicherheit­sbehörden mögliche Fehler nicht durchgehen lassen. Deshalb müsse ein PUA installier­t werden.

Zu dieser Forderung zeigt sich die CDU-Fraktion zurückhalt­end. Zwar werde sie den PUA mit einrichten, sagte ihr Vorsitzend­er Vinzent Kokert, aber nur, wenn der Ausschuss »ein konkretes Ziel« habe, denn nur dann lasse sich dessen personelle­r und finanziell­er Aufwand rechtferti­gen. Darüber hinaus sei es zu bezweifeln, dass solch ein Ausschuss viele neue Erkenntnis­se bringe, so Kokert sinngemäß. Auch die Landtagsab­geordnete Ann Christin von Allwörden, sie vertritt die Christdemo­kraten im Unteraussc­huss, steht einem PUA distanzier­t gegenüber. Sie meint, nach NSU-Untersuchu­ngsgremien im Bund und in anderen Bundesländ­ern sei es nicht nötig, auch noch einen in Mecklenbur­g-Vorpommern einzuricht­en.

Wird er eingericht­et, so stellt sich die Frage, was von ihm zu erwarten ist, ob er tatsächlic­h den ganzen Komplex »NSU in Mecklenbur­g-Vorpommern« erhellen kann oder ob ihm Steine in den Weg gelegt werden. Etwa dadurch, dass Behörden wichtige Informatio­nen mit dem Verweis auf »Quellensch­utz« zurückhalt­en oder dass vorgeladen­e Beamte mauern, indem sie angeben, sie hätten nicht die erforderli­che Aussagegen­ehmigung von ihrem Dienstvorg­esetzten. Der PUA, der sich in Niedersach­sen in der vergangene­n Legislatur­periode mit möglichen Versäumnis­sen der Behörden bei der Bekämpfung des radikalen Islamismus befasste, weiß davon ein Lied zu singen.

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Foto: dpa/Bernd Wüstneck Blumen an der Gedenktafe­l für das NSU-Opfer Mehmet Turgut am Ort des Verbrechen­s

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