Geheimdienst unterliegt vor Gericht
Oberverwaltungsgericht: Bespitzelung des Anwalts Rolf Gössner war rechtswidrig
Kritische Linke wie Rolf Gössner können schnell ins Visier des Verfassungsschutzes geraten. An Recht und Gesetz fühlt sich der Geheimdienst bei den Überwachungsmaßnahmen offenbar nicht gebunden. Der Bremer Rechtsanwalt und Publizist Rolf Gössner hat gegen das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) erneut einen juristischen Erfolg erzielt. Das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen urteilte am Dienstagabend in Münster, dass die fast 40 Jahre andauernde Bespitzelung von Gössner durch den Inlandsgeheimdienst rechtswidrig war (AZ: 16 A 906/11). Die Richter wiesen darauf hin, dass die damaligen Erkenntnisse des Verfassungsschutzes keine konkreten Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen geboten hätten. Zudem sei die Beobachtung angesichts der Eingriffe in das Grundrecht des Betroffenen unverhältnismäßig gewesen.
Damit bestätigte das Oberverwaltungsgericht eine Entscheidung des Verwaltungsgerichts Köln von 2011. Gössner war zwischen 1970 und 2008 durch Sammlung und Auswertung von Informationen in einer Personalakte beobachtet worden. Der Inlandsgeheimdienst hatte Gössner bereits während seiner Studentenzeit ins Visier genommen. Anlass hierfür war nach Angaben des BfV die Tätigkeit des jungen Mannes für den Sozialdemokratischen Hochschulbund (SHB), der sich ab 1972 Sozi- alistischer Hochschulbund nannte und bis dahin der SPD nahegestanden hatte. Verdächtig erschien dem Geheimdienst auch Gössners Redaktionsmitgliedschaft in der geheimdienst- und polizeikritischen Zeitschrift »Geheim« von 1986 bis 1999. Zudem wurden dem Juristen Kontakte zu als »linksextrem« beeinflusst eingestuften Organisationen wie der DKP zum Vorwurf gemacht.
Das Oberverwaltungsgericht erklärte dagegen, es habe weder beim SHB noch bei »Geheim« in den fraglichen Jahren Anhaltspunkte für Verfassungsfeindlichkeit gegeben. Auch könne nicht festgestellt werden, dass Gössner die DKP und DKP-nahe Or- Rolf Gössner
ganisationen selbst oder ihre »verfassungsfeindlichen Ziele« ausdrücklich unterstützt habe.
Gössner hatte am Dienstag in einer persönlichen Erklärung vor dem Oberverwaltungsgericht darauf hingewiesen, dass er sich bei der Lektüre der Berufungsbegründung »an inquisitorische Verfahren, an finstere Zeiten der McCarthy-Ära, an den Kalten Krieg oder den Deutschen Herbst erinnert« fühle. Den Richtern des Verwaltungsgerichts Köln hatte das BfV vorgeworfen, in ihrem für Gössner positiven Urteil aus dem Jahr 2011 durchgängig bemüht gewesen zu sein, »die Äußerungen des Klägers in einem diesem günstigen Sinne zu interpretieren, und, wo das nicht möglich ist, zu verharmlosen«.
Vor zwölf Jahren hatte Gössner gegen die Bundesrepublik Deutschland Klage eingereicht. Wenige Tage vor der ersten Verhandlung hatte ihm der Verfassungsschutz mitgeteilt, dass die Beobachtung eingestellt wurde. Gössner ist ein renommierter Jurist und Teil des Vorstands der Internationalen Liga für Menschenrechte in Berlin. Zudem ist er Mitherausgeber des Grundrechte-Reports und Jurymitglied des Negativpreises »Big-Brother-Award«, mit dem Datenschützer problematische Datenerhebungen anprangern. Im Jahr 2007 wurde Gössner von der Bremer Bürgerschaft zum stellvertretenden Mitglied des Bremischen Staatsgerichtshofes gewählt. Dieser ist das Verfassungsgericht des Bundeslandes.
Gössner nannte das Urteil nun einen »gerichtlichen Sieg über geheimdienstliche Verleumdungen und Willkür, eine Entscheidung zugunsten der Meinungs-, Presse- und Berufsfreiheit«. Der Rechtsstreit könnte aber in die nächste Instanz gehen. Wegen der »grundsätzlichen Bedeutung« der Rechtssache ließ der Senat des Oberverwaltungsgerichts die Revision zum Bundesverwaltungsgericht zu. Es bleibt abzuwarten, ob das BfV diesen Weg beschreiten will.
»Man fühlt sich an Zeiten der McCarthyÄra, an den Kalten Krieg oder den Deutschen Herbst erinnert.«