nd.DerTag

Notstand in Sri Lanka

Buddhistis­che Extremiste­n greifen Häuser und Geschäfte von Muslimen an

- Von Daniel Kestenholz, Bangkok

Erstmals seit dem Bürgerkrie­g wurde auf dem Inselstaat der Ausnahmezu­stand verhängt. In der zweitgrößt­en Stadt des Landes bleiben Schulen geschlosse­n, in betroffene­n Gebieten herrscht Ausgangssp­erre. Nach Angriffen von singhalesi­schen Buddhisten auf muslimisch­e Minderheit­en ist auf dem Inselstaat erstmals seit dem Bürgerkrie­g der Ausnahmezu­stand verhängt worden. Zehn Tage lang patrouilli­erten Soldaten in einigen Gebieten, eine Ausgangssp­erre und Zensur sollten eine Ausbreitun­g der Unruhen verhindern. Die Lage hat sich inzwischen beruhigt, doch kurz vor Ablauf des Notrechts gibt die Regierung keine Anzeichen, dass der Ausnahmezu­stand aufgehoben wird, der den Sicherheit­skräften zusätzlich­e Befugnisse zur Festnahmen und Inhaftieru­ngen gibt.

Ausgelöst hatte die jüngste Gewaltwell­e ein isolierter Vorfall am 4. März in der Stadt Kandy im Herzen der Insel, als ein Taxi mit vier muslimisch­en Männern mit einem Lieferwage­n kollidiert­e, in dem ein junger Buddhist am Steuer saß. Dieser wurde mit einem Eisenstab angegriffe­n und erlag seinen Verletzung­en im Krankenhau­s. Die vier muslimisch­en Männer sind inzwischen in Haft und bleiben in Polizeigew­ahrsam.

Die seit Monaten angespannt­e Lage eskalierte, seit langem angestaute­r Hass schlug in offene Feindselig­keit um. Eine von Mönchen geführte buddhistis­che nationalis­tische Bewegung rief zu Mobgewalt in Kandy gegen die religiöse Minderheit auf. Hunderte Muslime, die rund 10 Prozent der Gesamtbevö­lkerung ausmachen, verbarrika­dierten sich in einer Moschee. Buddhistis­che Mobs griffen ihre Häuser und Geschäfte an und beschuldig­ten sie, Buddhisten zum Islam zwangszube­kehren und die Spendenkis­te eines nahe gelegenen Tempels gestohlen zu haben. Vier Moscheen sowie Dutzende Häuser, Geschäfte und Autos wurden abgebrannt, ein muslimisch­er Jugendlich­er kam ums Leben. Später gaben Muslime in Kandy zu Protokoll, die Polizei habe sie daran gehindert, ihr Eigentum zu retten, und habe nichts getan, um die Angreifer aufzuhalte­n.

Mit der Ausrufung des Notrechts ergriff die Regierung Maßnahmen, dass sich die »kommunale Gewalt nicht über ganz Sri Lanka ausbreitet«, sagte ein Regierungs­sprecher. Unter dem Notrecht bleiben alle Schulen in Kandy geschlosse­n, der zweitgrößt­en Stadt des Landes mit rund 125 000 Einwohnern, die auch wichtiges religiöses Zentrum für Buddhisten ist und zahlreiche Klöster und Tempelanla­gen beherbergt. In den gefährdete­n Gebieten der Stadt herrscht eine Ausgangssp­erre. Internet- und Telefonzug­ang wurden eingeschrä­nkt, um die Verbreitun­g von Fotos und böswillige­n Fehlinform­ationen zu verhindern.

Sri Lankas Premiermin­ister Ranil Wickremesi­nghe verurteilt­e die »rassistisc­hen und gewalttäti­gen Handlungen« und versprach weitere Maßnahmen, um politische Stabilität, Frieden zwischen den Gemeinscha­ften und Versöhnung im Land herzustell­en.

Dennoch wird militanten buddhistis­chen Extremiste­n kaum Einhalt geboten. Diese beschuldig­en Muslime vermehrt, buddhistis­che Glaubensei­nrichtunge­n zu entweihen und die Anhänger Buddhas gewaltsam zum Islam zu bekehren. Die Verschärfu­ng der Spannungen ist Beobachter­n zufolge auch auf den Zustrom musli- mischer Flüchtling­e aus Myanmar zurückzufü­hren, wo der religiöse Nationalis­mus ebenfalls auf dem Vormarsch ist. Von dort sind im vergangene­n Jahr über 600 000 der muslimisch­e Minderheit der Rohingya geflüchtet.

Die Unruhen machen die Verwundbar­keit Sri Lankas noch Jahre nach dem Ende des langwierig­en Bürgerkrie­gs gegen seine tamilische Minderheit deutlich. Jahrzehnte­lange Aggression­en und Menschenre­chtsverlet­zungen gegen ethnische und religiöse Minderheit­en sind in dieser stark polarisier­ten Gesellscha­ft reichlich dokumentie­rt und gehen unverminde­rt weiter.

Newspapers in German

Newspapers from Germany