Notstand in Sri Lanka
Buddhistische Extremisten greifen Häuser und Geschäfte von Muslimen an
Erstmals seit dem Bürgerkrieg wurde auf dem Inselstaat der Ausnahmezustand verhängt. In der zweitgrößten Stadt des Landes bleiben Schulen geschlossen, in betroffenen Gebieten herrscht Ausgangssperre. Nach Angriffen von singhalesischen Buddhisten auf muslimische Minderheiten ist auf dem Inselstaat erstmals seit dem Bürgerkrieg der Ausnahmezustand verhängt worden. Zehn Tage lang patrouillierten Soldaten in einigen Gebieten, eine Ausgangssperre und Zensur sollten eine Ausbreitung der Unruhen verhindern. Die Lage hat sich inzwischen beruhigt, doch kurz vor Ablauf des Notrechts gibt die Regierung keine Anzeichen, dass der Ausnahmezustand aufgehoben wird, der den Sicherheitskräften zusätzliche Befugnisse zur Festnahmen und Inhaftierungen gibt.
Ausgelöst hatte die jüngste Gewaltwelle ein isolierter Vorfall am 4. März in der Stadt Kandy im Herzen der Insel, als ein Taxi mit vier muslimischen Männern mit einem Lieferwagen kollidierte, in dem ein junger Buddhist am Steuer saß. Dieser wurde mit einem Eisenstab angegriffen und erlag seinen Verletzungen im Krankenhaus. Die vier muslimischen Männer sind inzwischen in Haft und bleiben in Polizeigewahrsam.
Die seit Monaten angespannte Lage eskalierte, seit langem angestauter Hass schlug in offene Feindseligkeit um. Eine von Mönchen geführte buddhistische nationalistische Bewegung rief zu Mobgewalt in Kandy gegen die religiöse Minderheit auf. Hunderte Muslime, die rund 10 Prozent der Gesamtbevölkerung ausmachen, verbarrikadierten sich in einer Moschee. Buddhistische Mobs griffen ihre Häuser und Geschäfte an und beschuldigten sie, Buddhisten zum Islam zwangszubekehren und die Spendenkiste eines nahe gelegenen Tempels gestohlen zu haben. Vier Moscheen sowie Dutzende Häuser, Geschäfte und Autos wurden abgebrannt, ein muslimischer Jugendlicher kam ums Leben. Später gaben Muslime in Kandy zu Protokoll, die Polizei habe sie daran gehindert, ihr Eigentum zu retten, und habe nichts getan, um die Angreifer aufzuhalten.
Mit der Ausrufung des Notrechts ergriff die Regierung Maßnahmen, dass sich die »kommunale Gewalt nicht über ganz Sri Lanka ausbreitet«, sagte ein Regierungssprecher. Unter dem Notrecht bleiben alle Schulen in Kandy geschlossen, der zweitgrößten Stadt des Landes mit rund 125 000 Einwohnern, die auch wichtiges religiöses Zentrum für Buddhisten ist und zahlreiche Klöster und Tempelanlagen beherbergt. In den gefährdeten Gebieten der Stadt herrscht eine Ausgangssperre. Internet- und Telefonzugang wurden eingeschränkt, um die Verbreitung von Fotos und böswilligen Fehlinformationen zu verhindern.
Sri Lankas Premierminister Ranil Wickremesinghe verurteilte die »rassistischen und gewalttätigen Handlungen« und versprach weitere Maßnahmen, um politische Stabilität, Frieden zwischen den Gemeinschaften und Versöhnung im Land herzustellen.
Dennoch wird militanten buddhistischen Extremisten kaum Einhalt geboten. Diese beschuldigen Muslime vermehrt, buddhistische Glaubenseinrichtungen zu entweihen und die Anhänger Buddhas gewaltsam zum Islam zu bekehren. Die Verschärfung der Spannungen ist Beobachtern zufolge auch auf den Zustrom musli- mischer Flüchtlinge aus Myanmar zurückzuführen, wo der religiöse Nationalismus ebenfalls auf dem Vormarsch ist. Von dort sind im vergangenen Jahr über 600 000 der muslimische Minderheit der Rohingya geflüchtet.
Die Unruhen machen die Verwundbarkeit Sri Lankas noch Jahre nach dem Ende des langwierigen Bürgerkriegs gegen seine tamilische Minderheit deutlich. Jahrzehntelange Aggressionen und Menschenrechtsverletzungen gegen ethnische und religiöse Minderheiten sind in dieser stark polarisierten Gesellschaft reichlich dokumentiert und gehen unvermindert weiter.