Ultraorthodoxe können jubeln
Israels Regierung wendet Regierungskrise durch Abstimmungskompromiss ab
In Israel ist ein Streit über die Wehrpflicht für ultraorthodoxe Juden beigelegt worden; fast wäre es deshalb zu Neuwahlen gekommen. Von diesen hatte sich vor allem Premier Netanjahu viel versprochen. Premierminister Benjamin Netanjahu gab sich selbstbewusst und kämpferisch, als er am Dienstag vor das Plenum der Knesseth trat. »Ich habe versprochen, dass wir Neuwahlen abwenden werden, und ich habe Wort gehalten,« sagte er, während die Polizei einige Kilometer weiter auf einer Autobahn eine Straßenblockade auflöste.
Hunderte ultraorthodoxe Juden hatten gegen die Wehrpflicht für ihresgleichen protestiert. Wochenlang war das schon so gegangen, und weil die beiden ultraorthodoxen Parteien im Parlament Teil der Koalition sind, war darüber auch die Regierung ins Wanken geraten: Schas und Vereinte Torah-Union machten ihre Zustimmung zum Staatshaushalt für das laufende Jahr davon abhängig, dass die Koalition einer Befreiung für ultraorthodoxe Juden von der dreijährigen Wehrpflicht zustimmt. Doch vor allem die Partei Jisrael Beitenu von Verteidigungsminister Avigdor Lieberman ist strikt gegen eine derartige Sonderregelung. Beide Seiten drohten mit dem Koalitionsbruch, beide hätten damit die Regierung zu Fall gebracht.
In Israel waren ultraorthodoxe Juden seit den 50er Jahren von der Wehrpflicht ausgenommen. Erst seit den 90er Jahren hatte es immer wieder Versuche gegeben, diese Regelung abzuschaffen. Denn während 1950 gerade einmal 1200 Männer von der Sonderregelung erfasst wurden, sind heute zehn Prozent der Bevölkerung ultraorthodox. Zuletzt hatte die zentristische, streng säkular ausgerichtete Zukunftspartei 2013 eine weitgehende Aufhebung der Regelung durchgesetzt; nachdem die Partei aus der Koalition ausschied, und sich die religiösen Parteien an der Regierung beteiligten, wurden die Reformen nach und nach wieder aufgehoben. Benjamin Netanjahu
Nun haben die Regierungsparteien nach tagelangen Verhandlungen auch den jüngsten Streit beigelegt: Die Koalitionsabgeordneten dürfen selbst entscheiden, wie sie abstimmen, im Gegenzug werden die ultraorthodoxen Parteien den Staatsetat abnicken – eine Vereinbarung, die der eigenen Existenzangst geschuldet ist.
Denn während man stritt, wurden auch die Umfragewerte sehr genau beobachtet: Vor allem Netanjahu und sein Likud hätten profitiert; 30 der 120 Mandate sagten die Demoskopen ihnen voraus. Gleichzeitig hoffte man in seinem Team, dass es vorgezogene Wahlen und ein dabei siegreicher Netanjahu Generalstaatsanwalt Avichai Mandelblit schwerer machen würden, Anklage gegen den unter Korruptionsverdacht stehenden Premier zu erheben. Nur: Netanjahu konnte partout keine Mehrheit für eine Selbstauflösung des Parlaments finden.
Für die meisten Koalitionsparteien sind die Aussichten sehr düster: Schas muss befürchten, an der 3,25-Prozent-Hürde zu scheitern, auch Jisrael Beitenu wackelt. Zum Problem werden könnte vor allem die Abgeordnete Orly Levy-Abekassis, die der Lieberman-Partei vor einiger Zeit den Rücken kehrte, und bei den nächsten Wahlen mit einer eigenen Partei antreten will; ihr werden bis zu fünf Mandate vorhergesagt. Die Mehrheitsverhältnisse würden sich dadurch verschieben.
Netanjahu muss also derzeit befürchten, dass sein Likud zwar stärkste Kraft sein, aber ohne Mehrheit dastehen könnte. Schon jetzt meldet Jair Lapid, Vorsitzender der zentristischen Zukunftspartei, Ansprüche auf das Amt des Regierungschefs an, und die Umfragen nähren diese Hoffnung. »Der Regierungschef hat heute seinen eigenen Machterhalt vor das Wohl Israels gestellt«, kritisierte Lapid am Dienstag: Es sei unmöglich, einem jungen Israeli zu erklären, warum er drei Jahre seines Lebens für den Staat opfern soll und ein Religiöser nicht. Auch die Meretz-Abgeordnete Tamar Zandberg kritisierte, dass man den Fortbestand der Regierung mit Geschenken an die eigenen Wählergruppen finanziere.
Allerdings: Selbst wenn das Wehrdienstgesetz eine Mehrheit findet, ist dies nicht das letzte Wort. Vor einigen Wochen hatte das Oberste Gericht entschieden, dass eine Wehrdienstbefreiung gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz verstößt.
»Ich habe mein Versprechen gehalten, alles für den Fortbestand der Regierung zu tun.«