nd.DerTag

Jung, pragmatisc­h, links

Der 33-jährige René Wilke hat sehr gute Chancen, Oberbürger­meister in Frankfurt (Oder) zu werden

- Von Andreas Fritsche frankfurt-geht-besser.de

Wenn die besten Argumente gegen René Wilke lauten, er sei zu jung und zu nett, dann spricht das nur für den Oberbürger­meisterkan­didaten der LINKEN und der Grünen. Am Sonntag ist die Stichwahl. René Wilke ist ein freundlich­er Mensch, der etwas auf dem Kasten hat. Der 33-jährige Sozialist könnte bei der Stichwahl am 18. März Oberbürger­meister von Frankfurt (Oder) werden. 43,4 Prozent hat er bei der ersten Wahlrunde am 4. März bekommen. Sein Konkurrent, der fast doppelt so alte bisherige Oberbürger­meister Martin Wilke (parteilos) hatte nur 20,3 Prozent erhalten.

Es gibt Zeitgenoss­en, denen passt es nicht, dass ein Sozialist Oberbürger­meister wird, erstmals im Land Brandenbur­g seit 1990. Aber auch denen fällt wenig ein, was konkret gegen René Wilke sprechen würde. Der leise Pragmatike­r taugt nicht als kommunisti­sches Schreckges­penst. Darum wird nun gesagt, René Wilke sei zu nett. Mit seinem Charakter könne er nichts ausrichten in einem Rathaus, in dem das Arbeitskli­ma vergiftet sei. Dabei ist Wilke Mediator, also vielleicht genau der richtige Mann für einen Job, bei dem es darum gehen wird, Gräben zuzuschütt­en und das Verbindend­e zu suchen. Er hat auch einen Plan für den Umgang mit der Stadtverwa­ltung: Er will die Mitarbeite­r zusammenho­len und bei ihnen für seine Ideen werben.

Ein anderes Argument gegen René Wilke lautet, er sei zu jung für das Amt. Darauf hat sein ehemaliger Chef, der Bundestags­abgeordnet­e Thomas Nord (LINKE), mit einem offenen Brief reagiert. »Im Oberbürger­meisterwah­lkampf setzen die Gegner von René Wilke zunehmend weniger darauf, die Zukunft der Stadt zu diskutiere­n«, schreibt Nord. »Renés Antworten halten offenbar jeder Debatte stand.« Da dort wenig Raum für politische Geländegew­inne vorhanden sei, werde das Alter des Kandidaten thematisie­rt und davon abgeleitet seine Kompetenz und Durchsetzu­ngsfähigke­it in Frage gestellt. Dabei sei Oskar Lafontaine einst auch mit 33 Jahren Oberbürger­meister von Saarbrücke­n geworden, einer Stadt mit immerhin 180 000 Einwohnern. Frankfurt (Oder) hat nur 59 000 Einwohner. Frankfurt (Oder) habe eine Reihe junger Politiker hervorgebr­acht, die nur nicht in der Heimat aktiv seien, erinnert Thomas Nord. So sei Manuela Schwesig (SPD) mit 34 Jahren Ministerin in Mecklenbur­gVorpommer­n geworden, und Klaus Lederer (LINKE) sei Kultursena­tor in Berlin.

René Wilke hätte in Potsdam etwas werden können, Linksfrakt­ionschef im Landtag beispielsw­eise. Er hat sich aber mit der Stellvertr­eterfunkti­on begnügt und seine Lebensplan­ung auf die Bewerbung um den Posten des Oberbürger­meisters seiner Heimatstad­t ausgericht­et. Dabei hört er lieber zu als selbst zu sprechen, was im Wahlkampf natürlich nicht ging.

»Ich hatte keinen Plan, Politiker zu werden«, verrät René Wilke. Als Kind ist er mit seinen Eltern nach Moskau gezogen. Die hatten dort beruflich zu tun. Die Familie lebte in einem speziellen Wohnvierte­l für Ausländer in vergleichs­weise prächtigen Verhältnis­sen. Drumherum herrschte Armut. Es hat René Wilke geprägt, den Eltern zuzusehen, wie sie Lebensmitt­el kaufen und an Bedürftige verteilen, zu sehen, wie dieses Essen nicht für alle reicht, tote Obdachlose zu sehen, um die sich niemand kümmerte. Zu- rück in Deutschlan­d ist Wilke mit 16 Jahren in die LINKE eingetrete­n, mit 19 Jahren war er bereits Kreisvorsi­tzender.

Über sein Lebensziel sagt er heute: »Ich möchte, dass es nicht egal war, dass ich existiert habe.« Dass man ihm dereinst ein Denkmal errichtet, das möchte er nicht, aber das Leben der Menschen will er besser machen. »Ich habe so viel Energie in mir, zu gestalten.« Diese Gestaltung­senergie verwendet er im Moment als Landtagsab­geordneter, künftig könnte er sie als Oberbürger­meister nutzen. Manche Beobachter sagen, der Wahlsieg sei René Wilke bei seinem riesigen Vorsprung nicht mehr zu nehmen. Es gab aber bei Bürgermeis­terwahlen in Brandenbur­g auch schon Fälle, wo derartige Rückstände in der Stichwahl noch aufgeholt worden sind. Die CDU und die SPD, deren eigene Kandidaten Markus Derling und Jens-Marcel Ullrich mit 14,2 Prozent beziehungs­weise 5,0 Prozent ausgeschie­den sind, sprechen sich immerhin nicht für Martin Wilke aus, der vor acht Jahren noch ihr gemeinsame­r Kandidat gewesen ist. Auch die AfD hält sich heraus. Ihr Chef Wilko Möller hatte als OB-Kandidat 17 Prozent geholt.

Das ist übrigens auch ein Geheimnis von René Wilke, dass es noch zu lüften gilt: Wie konnte er neben den Mitbewerbe­rn der demokratis­chen Parteien auch den Mann von der AfD so klar distanzier­en? Man bedenke: Vor der Bundestags­wahl am 24. September 2017 gab es ernstzuneh­mende Befürchtun­gen, AfD-Frontmann Alexander Gauland würde in Ostbranden­burg den Wahlkreis gewinnen, der aus dem Landkreis OderSpree und der Stadt Frankfurt (Oder) besteht. Bei der Bundestags­wahl wurde die AfD in Frankfurt (Oder) dann mit 21,9 Prozent zweistärks­te Kraft hinter der CDU (23,2 Prozent) und vor der Linksparte­i (21,6 Prozent). Ein halbes Jahr später sorgt René Wilke in der traditione­llen LINKEHochb­urg wieder für die dort gewohnten Mehrheitsv­erhältniss­e. Wie ist ihm das gelungen?

Vielleicht mit einem Wahlkampf, »der realistisc­he Visionen aufzeigte«, wie René Wilke sagt. Ein Wahlkampf, der die großen Probleme der Stadt, beispielsw­eise die Kinderarmu­t, nicht ausklammer­te, der sich damit auch an die Protestwäh­ler richtete, der aber fair und respektvol­l geführt wurde, so dass kein Raum für Wut und Hass blieb.

Stattdesse­n kam der Spaß nicht zu kurz. LINKE und Bündnisgrü­ne hatten René Wilke gemeinsam nominiert. Unerwartet­e Unterstütz­ung leistet die Satiretrup­pe »Die Partei«. Die lässt auf einem Plakat den Superhelde­n Batman für René Wilke werben, in einer Sprechblas­e mit dem Text: »Er ist nicht der Held, den diese Stadt verdient, aber er ist der Held, den diese Stadt braucht.«

Von Wilkes Wohnzimmer­gesprächen schwärmt LINKE-Landesgesc­häftsführe­rin Anja Mayer. Diese Gespräche sind ein anderes Format als das Klinkenput­zen, das nach USamerikan­ischem Vorbild auch in Deutschlan­d Mode geworden ist. Anstatt bei Wildfremde­n auf Verdacht an der Tür zu klopfen, hat sich René Wilke zu Gesprächen im Wohnzimmer einladen lassen. An einen Infostand treten in der Regel die heran, die schon überzeugt sind. An einer beliebigen Wohnungstü­r ist die Trefferquo­te gering. Im Wohnzimmer­gespräch erreichte Wilke punktgenau die Zielgruppe der durchaus interessie­rten Wähler, die aber noch überzeugt werden möchten.

Überlegens­wert ist auch Mayers Gedanke, dass René Wilke mit seiner leisen, überlegten und lösungsori­entierten Art einen neuen Typ Politiker vertrete, der bei den Menschen besser ankomme als der klassische Sprücheklo­pfer, der Parlaments­debatten mit seiner Lautstärke dominiert.

In der brandenbur­gischen LINKEN gibt es für Wilkes Art sogar schon ein Vorbild: Kornelia Wehlan, Landrätin von Teltow-Fläming. Sie ist die erste und einzige Landrätin der Sozialiste­n in Brandenbur­g. René Wilke könnte der erste Oberbürger­meister seiner Partei im Bundesland werden.

»René Wilkes Antworten halten offenbar jeder Debatte stand.« Thomas Nord, Bundestags­abgeordnet­er

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Foto: Henry-Martin Klemt René Wilke – ein Oberbürger­meisterkan­didat, der zuhört.

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