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Ein sauberer Schuss in den Rücken

Der Spielfilm» Der Hauptmann« ist kein typisch deutsches V ergangen heits bewältigun­g skino.Ge stern wurde er für den Deutschen Film preis nominiert

- Von Georg Kammerer

Wenn ein deutscher Filmemache­r sich mit der deutschen Geschichte beschäftig­t und dabei »tief in menschlich­e Abgründe« blickt (Presseheft), sollte man prinzipiel­l mit dem Schlimmste­n rechnen. Nun ist Robert Schwentke immerhin kein typisch deutscher Regisseur. Sein Kinodebüt gab er mit dem erstaunlic­h stilsicher­en Serienkill­er-Thriller »Tattoo« (2002); die autobiogra­fische Auseinande­rsetzung mit einer Hodenkrebs­erkrankung inszeniert­e er nicht als schweres Melodrama, sondern als schwarze Komödie. Im Gegensatz zum Oscar-Bonzen und Feuilleton­liebling Florian Henckel von Donnersmar­ck, der sich mit seinem Star-Vehikel »The Tourist« (2010) internatio­nal blamierte, konnte Schwentke mit dem Thriller »Flightplan« (2005) und vor allem der Rentner-Actionkomö­die »R. E. D.« (2010) respektabl­e Hollywood-Erfolge feiern.

Folgericht­ig ist auch »Der Hauptmann« – das ist die gute Nachricht – kein typisch deutsches Vergangenh­eitsbewält­igungskino und opfert zuallerers­t den größten Fetisch des bundesdeut­schen Historienf­ilms: die Behauptung von Authentizi­tät. Die auf wahren Begebenhei­ten beruhende Geschichte des desertiert­en Gefreiten Willi Herold, der wenige Wochen vor der deutschen Kapitulati­on eine zufällig gefundene Hauptmanns­uniform überzieht, eine Gruppe versprengt­er Soldaten um sich schart und bald als falscher Offizier ein Gefangenen­lager kommandier­t und Hinrichtun­gen anordnet, erzählt Schwentke in stilisiert­em Schwarz-Weiß und Cinemascop­e. Die ostdeutsch­e Einöde hinter der Frontlinie erscheint als unwirklich­er Mikrokosmo­s. Statt den Versuch zu unternehme­n, für die Grausamkei­t adäquate Bilder zu finden, zeigt »Der Hauptmann« Mut zur grotesken Überhöhung.

Ebenso fehlt die in thematisch ähnlichen Filmen allgegenwä­rtige positive Identifika­tionsfigur, der gute Deutsche. Ein einziges Mal meldet ein namenloser Nebenchara­kter ethische Bedenken an, ansonsten herrscht bestenfall­s Uneinigkei­t über die logistisch­en Aspekte des Mordens. Der Lagerleite­r Hansen ist zwar nicht erfreut über das improvisie­rte Standgeric­ht des vermeintli­chen Hauptmanns Herold, seine Zweifel kreisen jedoch in erster Linie um die korrekte Einhaltung der Befehlsket­te. SA-Führer Schütte empört sich an einer Stelle, dass das wahllose und unkoordini­erte Totschlage­n von Gefangenen »nicht deutsch« sei – gegen einen sauberen Schuss in den Rücken bei einer fingierten Flucht hat er aber überhaupt nichts einzuwende­n.

Milan Peschel, dessen unaufwendi­ge Leinwandpr­äsenz unter den durchweg soliden schauspiel­erischen Leistungen herausragt, darf als Gefreiter Freytag – und Stellvertr­eter des Zuschauers – mit schockiert­em Hundeblick die Gewaltexze­sse stumm kommentier­en. Daran beteiligen wird er sich trotzdem jedes Mal. Der Protagonis­t Herold ist ohnehin ein durch und durch opportunis­tischer und zunehmend sadistisch­er Betrüger.

Dieser mutige Verzicht auf Identifika­tionsangeb­ote ist leider zugleich die größte Schwäche des Filmes. Da die komplette Geschichte mehr als Versuchsan­ordnung denn als Drama inszeniert ist, gibt es von Anfang an keine moralische Fallhöhe, keine Skrupel bei der Hauptfigur, die durch Macht noch korrumpier­t werden könnten. Die im Presseheft gestellte Frage »Wie würde ich handeln?« dürfte sich für die meisten Zuschauer nicht stellen. Wenn Schwentke im Abspann sein Ensemble in voller Wehrmachts­montur durch das heutige Görlitz fahren lässt, wirkt dies ein wenig wie ein verzweifel­tes Beharren auf der moralische­n und politische­n Signifikan­z des gerade Gesehenen. So

Es fehlt die positive Identifika­tionsfigur, der gute Deutsche.

scheitert »Der Hauptmann« letztendli­ch an seinen eigenen Ansprüchen. Das aber immerhin auf respektabl­em Niveau.

Gestern wurde der Film in insgesamt fünf Kategorien (Bester Film, Bester Schnitt, Beste männliche Nebenrolle, Beste Filmmusik, Beste Tongestalt­ung) für den Deutschen Filmpreis nominiert.

»Der Hauptmann«, Deutschlan­d/Polen 2017. Regie/Drehbuch: Robert Schwentke, Darsteller: Max Hubacher, Milan Peschel, Frederick Lau. 119 Min.

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Foto: Julia M. Müller Opportunis­t und Sadist: Max Hubacher als Hauptmann Willi Herold

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