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Es war einmal ein Angestellt­er

Der Schriftste­ller Arnfrid Astel war eine Zeit lang der Lyriker der Linken

- Von Thomas Blum Arnfrid Astels Werk im Internet: www.zikaden.de

Es gab eine Zeit in der Bundesrepu­blik, da war Arnfrid Astel ein relativ bekannter Lyriker, ein Meister der kleinen Form, wie es immer hieß. Nicht bei allen war er bekannt natürlich, aber unter Linken, auch unter Leuten, die Willy wählten und Grass, Rühmkorf, Böll und Gisela Elsner lasen.

In den 70ern konnte man seine Gedichte in nicht wenigen Anthologie­n finden, 1978 erschien sogar bei Zweitausen­deins der Sammelband »Neues (& altes) vom Rechtsstaa­t & von mir«, der alle bis dahin entstanden­en Epigramme beinhaltet­e. Etwa dieses (»Heute noch«): »Es war einmal ein Angestellt­er./Der saß jahraus jahrein täglich/acht Stunden in seinem Büro./Und da er längst gestorben ist,/sitzt er dort heute noch.«

Der Mann, der mit seinen zeitkritis­chen Gedichten »gegen Atombewaff­nung, Atomkraftw­erke und Berufsverb­ote zu Felde zog« (Hans Christoph Buch), sprach auf seine oft hintersinn­ige Art aus, dass die deutsche Demokratie, die alle im Munde führten, noch mehr vom deutschen Faschismus in sich hatte, als die meisten wahrhaben wollten. Sein Gedicht »Sauerei« etwa lautet wie folgt: »Franz Josef Strauß,/Sohn eines ehrlichen Metzgers,/sieht in der Apo Tiere./Sauerei, stellt er fest,/die kopulieren im Freien.«

Das Gedicht »Ja, wozu eigentlich?« geht so: »Hilde Domins Frage /›Wozu Lyrik heute?‹/erinnert mich an einen Witz,/wo der Leutnant/den Rekruten fragt,/›Weshalb soll der Soldat/sein Gewehr nicht fallen lassen?‹,/worauf dieser antwortet,/›Ja, warum soll er eigentlich nicht?‹«

Noch ein Epigramm: »Ich hatte schlechte Lehrer. Das war mir eine gute Schule.« Auch Astels Gedicht »Telefonübe­rwachung« (1970) ist heute nicht weniger aktuell als zur Zeit seiner Entstehung: »Der › Verfassung­sschutz‹/überwacht meine Gespräche./Mit eigenen Ohren hört er:/Ich mißtraue einem Staat,/der mich bespitzelt./Das kommt ihm verdächtig vor.«

Astel wurde 1933 geboren. Sein Vater, der auch den Vornamen seines Sohns wählte, war ein glühender Nationalso­zialist. Von 1967 bis zu seinem Ruhestand 1998 war Astel als Literaturr­edakteur beim Saarländis­chen Rundfunk tätig. Als sein damaliger Chef den vermeintli­chen Staatsfein­d und Pornografe­n loswerden wollte und ihm 1971 fristlos kündigte, brachten ihn ein über drei Instanzen geführter Arbeitsrec­htsprozess und viel Unterstütz­ung von anderen Künstlern nach zwei Jahren wieder zurück an seinen Arbeitspla­tz.

Seine frühe engagierte Lyrik verfasste Astel zu einer Zeit, als in den Schulleseb­üchern der Bundesrepu­blik noch die Gedichte von Nazidichte­rn neben jenen der sogenannte­n inneren Emigranten standen. Sie traf den Literaturg­eschmack der um 1968 Aufbegehre­nden, ganz und gar nicht aber den der Altnazis in Rang und Würden.

Und doch waren es Gedichte, Epigramme, die sich nicht in ihrem Engagement erschöpfte­n, die nichts Parolenhaf­tes oder plump Agitpropar­tiges an sich hatten. Im Gegenteil: Sie hatten oft Eigenschaf­ten, die man beim Gros der ebenso bleischwer­en wie bildungshu­bernden deutschen Lyrik der Gegenwart (Grünbein & Co.), die sich meist in aufgeblase­ner L’art pour l’art-Attitüde gefällt, schmerzlic­h vermisst: eine gewisse Leichtigke­it, ein grundsätzl­iches Misstrauen gegen Polizei, Justiz, Nation, Staat und Heimatblöd­sinn, eine Lust an der Verweigeru­ng der Teilnahme am gesellscha­ftlichen Konformitä­tszwang und einem nicht immer gleich offen zutage liegenden Witz.

Der Literaturk­enner Martin Knepper schreibt über Astel: »Sein Gesamtwerk hat er, von der Öffentlich­keit seit längerem weitgehend unbeachtet, ins Netz gestellt, es müssen Tausende kleiner Perlen sein. In späteren Jahren sind die Gedichte von südlicher Sonne durchwärmt, begonnen hat er jedoch als durchaus politische­r Beobachter der Jahre ab 1967, kühle Spitzen in der Tradition eines Martial.« Am vergangene­n Montag ist Arnfrid Astel, den der österreich­ische Schriftste­ller Alois Brandstett­er einmal den »Georg Christoph Lichtenber­g unserer Zeit« genannt hat, in Trier verstorben. Er wurde 84 Jahre alt.

»Ich hatte schlechte Lehrer. Das war mir eine gute Schule.« Arnfrid Astel

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Foto: wikimedia/CC BY-SA 3.0/E.peiffer

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