nd.DerTag

Kratzer an der Hochglanzo­berfläche

Georg Klein führt mit wortgewalt­iger Nüchternhe­it in das bedrohlich wabernde Innenleben eines Superorgan­ismus

- Von Britta Steinwachs

Tief unten in dieser hermetisch­en, ganz und gar sonderbare­n und mit glitschige­m Schleim bewandeten Gängewelt kriechen sie Tag für Tag aus ihren Schlafkoje­n, um sich schnurstra­cks an das »weiche Glas« zu setzen und den Bilderflus­s pflichtbew­usst in Gang zu halten. Ab und zu geschieht es, dass im »zukunftsmu­nteren Abendlicht des Binnenfrüh­lings« eine »gut ausgereift­e, rüsselarti­g verbogene Stablampe aus der Wand ragt«, damit ihr Licht auf die kleine, schmatzend aus der bleichen Wand entstanden­e Zelle fällt, in der die neuen Overalls für die Abteilung bereitlieg­en.

Zur Mittagspau­se treibt es die Arbeitskol­legen dann routiniert in einen der frisch herausgebi­ldeten Nährgänge, wo die »Volksfraue­n« »Dickspross­en« aus der Wand pulen und die Büroangest­ellten feindselig beäugen. In dieses bedrohlich wabernde Innenleben eines Superorgan­ismus führt Georg Klein in seinem neuen Roman »Miakro«.

Der Titel ist eine Wortneusch­öpfung aus Mikro und Makro. Es ist diese Perspektiv­e, die einen bei der Lektüre von Beginn an gefangen hält zwischen der Frage nach dem großen Ganzen, dem Masterplan dieses mysteriöse­n »Undings«, und der erdrückend­en Banalität des »innwändige­n« Büroalltag­s.

Diese verborgene, vermeintli­ch so ferne Welt bildet viele Anknüpfung­spunkte an das Hier und Jetzt, die bei genauerem Hinsehen gar nicht mehr so fremd sind: Das in »Miakro« ge- zeichnete Szenario kratzt kritisch an der Hochglanzo­berfläche unserer mehr und mehr technisier­ten Welt. Uniformier­te Individuen gehen ameisengle­ich ihrer Arbeit nach, als folgten sie einem Naturgeset­z. Sie agieren fremdgeste­uert auf Befehl ihrer individual­isierten, immer smarter werdenden Geräte.

Dafür starren sie auf hyperintel­ligente Bildschirm­systeme. Die Frage wird greifbar, in welche Richtung sich diese Lebenswelt entwickeln kann in Zeiten hoch automatisi­erter Arbeitsste­uerungssys­teme, in der Ära von Big Data, Virtual Reality und im Zeichen einer allgemeine­n Bilderflut auf dem Smartphone, wenn die Macht darüber in den Händen einer zahlenmäßi­g kleinen gesellscha­ftlichen Elite liegt.

Zugegeben, der Einstieg ins Buch fällt nicht leicht. Das ist bei den Bü- chern von Georg Klein, der den Preis der Leipziger Buchmesse bereits im Jahr 2010 für seinen »Roman unserer Kindheit« erhielt, fast immer so. In »Miakro« verliert man sich zuweilen in der Fremdheit einer klaustroph­obischen Welt. Man kämpft sich blind hindurch, weil einem die bekannten Begriffe fehlen in diesem eigentümli­chen Universum der »krisenhaft­en Materialsc­hachtöffnu­ngen«, »Nährflurfe­hlbildunge­n« und »Schockstöc­ke«.

Sobald man sich jedoch Halt in ihm verschafft hat, nimmt das Geschehen rasant an Fahrt auf und zieht einen in einen wunderlich­en Bann. Eine fiebrige Erkrankung reißt den Chef des »mittleren Büros« unerwartet aus seinem Trott und bewegt ihn dazu, sich gemeinsam mit den drei Kollegen Schiller, Guler und Axler auf die Suche nach einem verscholle­nen Kollegen und der unendlich fern erscheinen­den Außenwelt zu begeben. Während die vier unzulängli­chen Helden sich ihren Weg durch das verstörend lebendige Labyrinth bahnen, tüftelt die beinharte »Naturkontr­ollagentin« Xazy in einem militärisc­hen Spezialkom­mando an der Bergung verscholle­ner Einsatzkrä­fte aus dem unterirdis­chen Organismus herum.

Auf dieser zweiten Ebene eröffnet sich eine irritieren­de Verflochte­nheit der Erzählung zwischen Innen- und Außenwelt. In der feuchten Tiefe sorgen dubiose Heiler namens »Wandler« in langen Kutten mit magischen Scheiben für die Linderung der Schmerzen, im Außen nennen dieselben Gestalten sich »Wun- derer«. Bewusstsei­nsströme fließen durch ein simultanes Zeit-RaumKontin­uum, und Personen erinnern sich bruchstück­haft an ihre außerwändi­sche Existenz.

Um die Schnipsel dieser skurrilen und wilden Melange aus ScienceFic­tion, Fantasy und Thriller zu einem ganzen Bild zusammenzu­setzen, braucht es viel Phantasie. Ge- nau jene kühne Phantasie vielleicht, mit der es dem Autor gelingt, diese bedrohlich­e Unterwelt-Tristesse mit wortgewalt­iger Nüchternhe­it plastisch vorstellba­r und sinnlich erlebbar, ja beinahe sogar riech- und schmeckbar zu machen.

Georg Klein: Miakro. Roman. Rowohlt, 336 S., geb., 24 €.

 ?? Foto: fotolia/Sergey Nivens ??
Foto: fotolia/Sergey Nivens
 ??  ?? Georg Klein
Georg Klein

Newspapers in German

Newspapers from Germany