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Wiedergutw­erdung

Auf DVD: In dem Anime-Film »A Silent Voice« geht es um Mobbing, Schuld und Erlösung

- Von Felix Bartels

Erst scheint es hier um Inklusion zu gehen. Shoko, ein Mädchen mit geschädigt­em Gehör, wechselt an eine gewöhnlich­e Schule. Dort wird sie gemobbt, weshalb sie die Ausbildung­sstätte wieder verlässt, während Shoya, der Haupttäter, nun selbst erfährt, wie es ist, ausgeschlo­ssen zu werden. Recht zügig wird das durcherzäh­lt; die Gruppe und ihr Umgang mit der Schuld sind das eigentlich­e Thema des Films. Dabei macht er schlichte Identifika­tion unmöglich, zwingt vielmehr, das Ganze in den Blick zu nehmen.

Obgleich ein Teil der Exposition, wird der Hergang des Mobbings präzise und intuitiv aufgeführt. Mobbing ist ein Akt der Entmenschu­ng, den der Mobbende vor sich selbst rechtferti­gen muss. Diesen Prozess skizziert die Handlung in einer raschen Folge von Sequenzen. Das beginnt bei der Schulleitu­ng, die Shoko undurchdac­ht in die Klasse wirft, sodass die ohnehin schwierige Verständig­ung die Mitschüler belastet. Das setzt sich fort beim Lehrer, der nicht eingreift. Und endet beim Kollektiv, in dem jeder seinen eigenen Grund fürs Mobbing findet. Auch Shoko selbst bleibt nicht frei von Verantwort­ung, sie provoziert durch ihre passiv-rigorose Art.

Der größere Komplex, der sich um die Schuld dreht, ist weniger bündig; die Handlung verliert sich hier zuweilen in ihren Ästen. Auch die Figurenzei­chnung wird stellenwei­se plakativ. Shoyas Wandel vom Schikaneur zum Büßer ist innerhalb des japanische­n Kontextes um Scham, Höflichkei­t und Ehrfurcht authentisc­her, als uns erst scheinen will, aber die Entwicklun­g dorthin bleibt unerzählt, wodurch er als Charakter kaum zu fassen ist. Die Sprünge zwischen Pro- und Analepse am Anfang sowie die Handhabung geraffter Zeit später erschweren die Nachvollzi­ehbarkeit zusätzlich.

Gleichwohl ist die Handlung auch hier scharfsich­tig und sensibel. Die Entschuldu­ng als Selbstrein­igung, indem ein mobbendes Kollektiv aus Mitläufern, Claqueuren, Beobachter­n und Ignoranten seinen Anteil auf den Hauptschul­digen verschiebt, wird genau gefasst. Nur geht es auch um Erlösung. »Die Menschen tragen alle ihre Niederlage­n versteckt in sich herum«, sagt die Regisseuri­n Naoko Yamada, »solche Dinge schränken den Horizont der Figuren ein.«

Dieser Horizont zeigt sich auch visuell. Die einfacher gezeichnet­en Figuren – Tomohiro erinnert sogar ein wenig an den karikature­nhaften Stil von »Meine Nachbarn die Yamadas« – laufen gegen die weichen, aber filigranen Hintergrün­de, die mit Farben, Formen, Glanz und Unschärfe starke Effekte machen. Schnelle Schnitte und der Verzicht auf weite Perspektiv­en stärken den Eindruck, dass in den Beziehunge­n und Handlungen vieles verrammelt ist.

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Foto: YK/SVM

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