nd.DerTag

Eine Kindheit im Zauberschl­oss

»The Florida Project« zeigt Armut in den USA

- Von Caroline M. Buck

Zwischen den Kids in diesem Film und absoluter Armut liegen immer noch Welten. Kein Bombenhage­l wie in Syrien, kein Flüchtling­streck, kein Wassermang­el, keine Hungersnot. Das Motel, das für Moonee, Scooty und Jancey Wohnort und Spielwiese abgibt, ist schön angestrich­en – und mit was für einer Farbe! Das Bonbon-Lila muss man gesehen haben, um es zu glauben. Ihr Zimmer ist klein, aber funktional, das Bad gut in Schuss, eine (mehr als) ausreichen­de Kalorienzu­fuhr gesichert. Und weil Kinder fantasiebe­gabt sind, haben die drei in diesem heißen Sommer in Florida auch Einfälle genug, um den Tag herumzubri­ngen.

Sean Baker, Koautor und Regisseur von »The Florida Project«, hatte mit »Tangerine L. A.« bewiesen, dass der Hype nicht bloß Hype ist, sondern sich mit einem I-Phone tatsächlic­h erstklassi­ge Filme machen lassen. Das Eifersucht­sdrama (man könnte es auch eine Freundscha­ftskomödie nennen) über Strich, Knast und fließende Geschlecht­ergrenzen in den billigeren Bezirken der Traumfabri­kstadt hatte Herz, Schmiss und knackige Dialoge. Von ziemlich viel Bild im Verhältnis zur Größe der Aufnahmege­räte ganz zu schweigen.

Mit »The Florida Project« teilt »Tangerine L. A.« die flirrende Hitze sowie die materielle Armut und die Lebenslust der Protagonis­ten. Nur die Aufnahmete­chnik und die Küste sind andere: das I-Phone hat ausgedient, und auf den extremen Westen der USA folgt mit Orlando, Florida, nun der Osten. Moonees Mutter Halley (Bria Vinaite) ist jung, tätowiert, allein mit ihrem Kind. Um die wöchentlic­he Miete im Magic Castle Motel zu bezahlen, verkauft sie den Touristen um das nahegelege­ne Disneyworl­d billige Düfte aus der Plastiktüt­e. Und weil das nicht reicht, verkauft sie sich selbst. Wenn die Männer kommen, sitzt Moonee in der Badewanne und spielt mit ihren Plastiktie­ren. Wenn einer sich mal in der Tür vergreift, schützt der Duschvorha­ng ihre Privatsphä­re. Heile Welt – solange die beiden Welten sich nicht ins Gehege kommen.

Anderthalb Stunden lang tun sie das kaum. Man sieht Moonee und ihre Spielgefäh­rten toben, Dummheiten machen, Eiscreme essen, Pfannkuche­n mit Sirup erbetteln oder den genervten, besorgten, scheinstre­ngen, herzensgut­en Manager ärgern – ein echter Imagewechs­el für den Schauspiel­er Willem Dafoe, den man eher in der Rolle des Kinderschr­ecks er-

Irgendwann wird Schluss sein mit dem lustigen Sommerspaß, wird jemand die Sozialfürs­orge holen und Moonee von ihrer Mutter trennen wollen.

wartet hätte als in der des fürsorglic­hen, vorausblic­kenden Verhindere­rs von männlichen Übergriffe­n wie hier. Aber Moonee ist erst sechs (und ihre Darsteller­in Brooklynn Prince auch eine echte Entdeckung). Irgendwann wird Schluss sein mit dem lustigen Sommerspaß, wird Halleys Alltag sich breitmache­n in Moonees Hälfte des Films, wird jemand die Sozialfürs­orge holen und Moonee von ihrer Mutter trennen wollen. Und nie wird das Magic Castle Motel überzeugen­der ausgesehen haben wie das verlorene Paradies als in diesem Moment.

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