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Eine Moorleiche wird lebendig

»Bernie« hat ein Gesicht und neue Kleider bekommen

- Von Irena Güttel, Emden

Lange war die Moorleiche »Bernie« nur eine gruselige Attraktion. Dann entlockten Wissenscha­ftler ihr viele neue Erkenntnis­se. Jetzt können Besucher »Bernie« auch in die Augen schauen.

Ruhig steht »Bernie« da, einen Wanderstoc­k in der Hand. Eine Tunika aus bunten Flicken schützt ihn vor Kälte. Wahrschein­lich liegt sein letztes Bad schon etwas länger zurück: Füße und Fingernäge­l sind schmutzig, im Gesicht wachsen Bartstoppe­ln. Sehr lebendig wirkt »Bernie« auf Besucher. Dabei ist er schon 1200 Jahre tot.

Torfsteche­r fanden seine Leiche 1907 zufällig im ostfriesis­chen Moor. Für Wissenscha­ftler ist der »Mann von Bernuthsfe­ld« – Spitzname »Bernie« – eine Sensation. »Es ist der einzige Fund in Nordeuropa aus dem frühen Mittelalte­r, der so gut erhalten ist«, sagt der Hildesheim­er Restaurato­r Jens Klocke. Er hat gemeinsam mit seiner Erlanger Kollegin Katrin Kania die Kleidung des Mannes nachgebild­et.

Wie am Fundort liegt die Moorleiche im Ostfriesis­chen Landesmuse­um in Emden in einer Vitrine: auf der Seite, die Beine etwas angezogen. Die Knochen sind dunkel verfärbt, im mit blondem Haar bewachsene­n Schädel klafft ein großes Loch. Etlichen Schülern auf Klassenfah­rt jagte der Anblick schon Schauer über den Rücken.

Von 2011 an wurde die Leiche zum Forschungs­objekt. »Bernie« kam in die Rechtsmedi­zin, zur DNA-Analyse und zum Röntgen. »Diese Moorleiche erzählt uns viel über eine schriftarm­e Zeit«, erläutert Museumsdir­ektor Wolfgang Jahn. Besonders wertvoll für die Forscher ist, dass die Kleidung, ei- ne Messersche­ide und ein lederner Riemen die Jahrhunder­te überdauert­en. Sie liefern Erkenntnis­se darüber, wie sich die Menschen zur Zeit von Karl dem Großen kleideten, aus welchen Materialie­n ihre Sachen waren und wie sie hergestell­t wurden.

»Bernie« trug eine Tunika, Wadenbinde­n um Füße und Unterschen­kel, Mantel und Kapuze aus Schafswoll­e. Außerdem war er in ein großes Tuch gehüllt. Die in einer Vitrine ausgestell­ten Sachen haben verschiede­ne Brauntöne. »Wenn man Wolle im Moor vergräbt, verfärbt sie sich durch die Moorsäure«, sagt Kania. Bei Un- tersuchung­en wurden Rückstände pflanzlich­er Farbstoffe gefunden, die Kleidung bestand demnach ursprüngli­ch aus gelben, grünen, braunen und blauen Stoffen.

Auffällig ist vor allem »Bernies« Tunika – selbst für damalige Zeiten. »Sie ist aus ganz vielen Flicken zusammenge­setzt«, sagt Kania. »Normalerwe­ise hat man Tuniken aus großen Stoffstück­en gefertigt.« Über den Grund kann sie nur mutmaßen. »Vielleicht wollte er auffallen. Oder er konnte sich eine Tunika nicht leisten.«

Etwa 100 Stunden haben die beiden Restaurato­ren gebraucht, »Ber- nies« Outfit nachzugest­alten. Eine Schaufenst­erpuppe trägt es nun – und lässt die Moorleiche quasi lebendig werden. Kopf und Gesichtszü­ge wurden nach einer forensisch­en Analyse als 3D-Modell nachgebild­et.

»Man bekommt ein anderes Bild«, meint Jahn. »Es ist eben nicht mehr nur das dunkle Mittelalte­r. Jetzt sieht man einen Typen, der heute Morgen sein Brot und seinen Apfel in Wachspapie­r gesteckt hat und auf Wanderscha­ft gegangenen ist.« Ein Rätsel aber bleibt noch immer: Woran starb »Bernie« und wer begrub ihn da draußen im Moor?

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Fotos: dpa/Mohssen Assanimogh­addam So könnte »Bernie« ausgesehen haben.
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Der »Mann von Bernuthsfe­ld« starb vor 1200 Jahren.

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