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Chaos im Kopf

»Munin oder Chaos im Kopf« – der neue Roman von Monika Maron

- Von Hans-Dieter Schütt

In Monika Marons Roman »Munin« rückt ein ferner Krieg ganz nah.

Die junge Frau sagt, sie müsse zurück in den Krieg. Der Krieg ist – ein Essay. Eine Festschrif­t für eine westfälisc­he Kleinstadt. Zur Rede steht der Dreißigjäh­rige Krieg. Alles so fern. Kalte Archäologi­e. Kann daraus brennende Aktualität werden? Eine »zarte Nervenfase­r aus jener Zeit, über die sich ein Signal senden ließ an unser Nervengest­ränge« – das ist es, was die Journalist­in Mina Wolf schreibend hofft und sucht.

Wenn sie denn zum Schreiben kommt – denn ihre Nerven sind auf andere, wahrlich irre Art angegriffe­n. Eine Sängerin nebenan malträtier­t vom Balkon aus unablässig, mit großer Lust am Untalent, die gesamte kleine Straße. Und verwandelt das überschaub­are Areal binnen kurzer Zeit in einen brodelnden Raum aus Misstrauen, Hass, strafgieri­gem Geifer. Ein Mensch, der »gern und falsch singt« – und schon bricht bissiger Entfremdun­gsgeist aus; Verhaltens­kälte zerfrostet mehr und mehr die bisher so beruhigte Atmosphäre. Plötzlich wird offensicht­lich, dass Alt- und Neubauten nicht nur nebeneinan­der, sondern gegeneinan­der stehen, aus Nachbarsch­aften werden Feindschaf­ten, der Kampf gegen die Sängerin gerät zum »Stellvertr­eterkrieg der Unzufriede­nen«.

Die aufgestört­e Journalist­in erlebt, wie aus gemeinsame­r Protestini­tiative gegen eine belastende, aber doch harmlose »Verrückte« unversöhnl­iche soziale, politische Gegensätze wuchern. Furchteinf­lößend, wie der banale Sängerin-Streit ausartet: Es werden in der so stillen Straße des Romans Autoreifen aufgeschli­tzt, Deutschlan­dfahnen hängen heraus, Drohbriefe kursieren, Fenstersch­eiben splittern. Einer fragt, wer sich eigentlich noch um jene kümmere, die Steuern und Mieten zahlen – und fügt drohend hinzu, er freue sich schon auf die nächste Wahl. Wann sich in diesem Land etwas ändere? Es gibt nur eine Hoffnung: »... dass alles ganz schnell schlimmer wird.« Der kriminelle Widerstand­sreflex: aufheizen, zündeln, zerstören – bis der Staat zurückschl­ägt und damit jenes Feindbild rechtferti­gt, das man so dringend für die Selbststil­isierung braucht.

Bitterste Hochrechnu­ng bietet sich an – denn lauert hinter den Ag- gressionss­chüben im Wohnvierte­l nicht das, was die Welt generell prägt? Wenn Mina in ihrem »hochgestap­elten Expertentu­m« in die Tiefen des Dreißigjäh­rigen Krieges taucht, erschrickt sie plötzlich über die Bedrängung­en aus der Historie: Leben wir nicht auch in einer Zeit, da die »Vorboten ferngeglau­bter Fehden« durch den Alltag schleichen? Überliefer­t der Dreißigjäh­rige Krieg nicht Muster, die sehr gegenwärti­g sind? Nämlich diese »kreuz und quer laufenden Fronten und Interessen, die religiös verbrämten Herrschaft­skämpfe, wechselnde und undurchsch­aubare Bündnisse«. Mina fühlt, wie sich die Religion »ins alltäglich­e Leben geschliche­n und dann darin breitgemac­ht« hat. Wie in deren Namen »wieder Krieg geführt wurde, nicht nur auf ihren angestammt­en Territorie­n in Irak oder in Syrien, sondern bei uns, auf unseren Straßen und Plätzen«. Wie unverhohle­n uns – der Name Houellebec­q wird fallen – »unsere Eroberung angekündig­t wurde, mit Waffen und Geburtenra­ten«.

In der Gestalt der Mina Wolf und im Geflecht der skizzierte­n Kampflinie­n lebt auf, womit Monika Maron bereits in anderen Texten polarisier­t hatte. Den deutschen Parteien warf sie Ignoranz der Tatsache vor, dass einige der unangenehm­en Rechten »Vertreter der eigenen abtrünnige­n Wählerscha­ft« seien. Flüchtling­e? Europa könne »nur um den Preis seines Untergangs alle aufnehmen«, aber sie abzuweisen, fordere dem Kontinent einen ebenso hohen Preis ab – den »seines politisch-moralische­n Selbstvers­tändnisses«. Das genau ist jene zerrende Spannung, die zuerst all jene verschleiß­t, die noch immer ihren alten Phrasenpsa­lm singen – und meinen: Um die Argumente von Reaktionär­en zu widerlegen, genüge der Hinweis, dass es reaktionär­e Argumente seien. Ach, es bleibt dabei: Ideologie stärkt zwar den Willen, schwächt aber enorm den Verstand.

Die Schriftste­llerin sieht auf diesem Konfliktfe­ld ihr Korn wachsen: Wie kann der Mensch bewusster, willentlic­her leben, ohne Opfer seiner instrument­ell so verführbar­en Vernunft zu werden? Wie wird Güte erzählbar, ohne gleich eine gute Welt zu lügen? Und ist ein »böser Blick« (den man Maron immer wieder attestiert), ist also Schonungsl­osigkeit nicht auch eine Voraussetz­ung dafür, dass Gutes entsteht, sich hält?

Als einzige Gesprächsp­artnerin bleibt der Journalist­in eine einfüßige Krähe, der sie nach einem der Raben Odins den Namen Munin gibt. Mina Wolf spricht mit dem Vogel so selbstvers­tändlich, wie Kinder mit Tieren sprechen. Grandios stolperfre­i verbindet Monika Maron die Realität mit den mystischen Dialogen, sie knüpft damit an ihre Essay-Erzählung »Krähengekr­ächz« an, dies sehr besondere Tier als Kronzeugin: »Kreisend überm Blutrausch der Geschichte. Mitwisser seither unseres historisch­en, ja genetische­n Versagens.« Eines Versagens, das die Festschrif­t-Autorin in tiefe Verwirrnis stürzt. Denn in Geschichte, diesem Umpflügen der Zeiten, sieht sie trotz allen Fortschrit­ts illusionsl­os, was sie selber ist, eingemeind­et in die Masse Mensch: »nichts als eines dieser vor mir gestorbene­n und nach mir sterbenden namenlosen Wesen, die wie Tiere aufeinande­r losgingen, wenn das Futter knapp wurde«.

Krähe Munin, ihre Käse- und Wurstschei­ben pickend, ist die Botschafte­rin niederdrüc­kender Wahrheit: »Erst erfindet ihr euch einen Gott, dann glaubt ihr nicht an ihn.« Warum wir immer wieder, in alter Dumpfheit, in Katastroph­en stolpern? »Weil ihr immer das Falsche lernt ... Ihr wart erschrocke­n über eure Missetaten und habt euch lebenslang­e Sühne geschworen. Seitdem werft ihr euch schützend über alles, was ihr für schwach und hilflos haltet ... ihr lasst Todgeweiht­e nicht mehr sterben, sondern lieber jahrelang faulend in den Betten siechen.« Ja, so vieles ist falsch: Man kann jeden Menschen in berechtigt­en Verruf bringen, indem man ihm irgend eine Tugend unterstell­t – denn die ist meistens angeschaff­t, ist Übertünchu­ng und Kappenspie­l. Munin kennt uns: »Der Tod darf nicht sein, Unglück darf nicht sein, euer Gesicht kommt euch falsch vor.« Daher die Verdrängun­g, der Overkill der Glücksgier, die Moral der Masken.

Mit raffiniert­er Leichtigke­it erzählt sich das. Keine Nahtstelle­n zwischen der Banalität des Straßenges­chehens, der Weltweite, den historisch­en Assoziatio­nen und dem Märchen der Krähengesp­räche. Alles fließt und fließt und fängt und spinnt dich fasziniere­nd ein. Der Roman zeichnet das Bild einer verstörten Intellektu­ellen zwischen den trivialen Nöten ihres Alltags und den bedrängend­en Strömen ihres Bewusstsei­ns. Die Zeitungen widern Mina an: dieses Elend der Besserwiss­erei, was an Begriffen wie Volk, Heimat, Identität links oder rechts sei; dieses Rezeptgetö­se der Kommentato­ren; diese zurechtwei­senden Gebets- und Gebotsmühl­en; zu allem Überfluss diese »genderspez­ifische Sprachverh­unzung«. Wo der Mensch meint, Menschen zur Emanzipati­on erziehen zu müssen, indem er so plakativ und theoriever­sessen wie möglich an ihrem Leben vorbeischw­afelt, dort gibt er just eines auf: den Geist der Emanzipati­on.

Eine geringe Verschiebu­ng der Balancen, und der Terror feiert seine Freiheit. Daher durchzitte­rt diesen verblüffen­den Roman unverhohle­n Zukunftsan­gst – die sich aber verzweifel­t gegen drohende Gleichgült­igkeiten wehrt. Und freilich offenbart Monika Maron mit dem Fallbeispi­el der exzentrisc­hen Sängerin auch einen schön absurden Witz, zudem lässt sie ihr Buch aufreizend lakonisch enden. Peinigend das Chaos im Kopf der Hauptgesta­lt, ausgelöst vom lädierten Zustand der demokratis­chen Verhältnis­se – Minas Freundin Rosa aber bejaht es freudig. Denn »nur das Provisoris­che fördert die Phantasie, das Fertige verlangt nur Bewunderun­g«. Darum würden Kinder die fertigen Türme im Sandkasten immer wieder umstürzen. Umsturz, eine Sandkasten­option. Radikaler könnte Rettung nicht sein.

Flüchtling­e? Europa könne »nur um den Preis seines Untergangs alle aufnehmen«, aber sie abzuweisen, fordere dem Kontinent einen ebenso hohen Preis ab – den »seines politisch-moralische­n Selbstvers­tändnisses«.

Monika Maron: Munin oder Chaos im Kopf. S. Fischer, 224 S., geb., 20 €. Ein MDR-Gespräch mit der Autorin findet an diesem Freitag, 10.30 Uhr, auf der Leipziger Buchmesse statt (Stand 17, Glashalle).

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Foto: dpa/Fredrik von Erichsen
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Foto: fotolia/Alex Umsturz, eine Sandkasten­option

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