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Putins Vierte

Nach der Wahl am Sonntag in Russland wird der alte wohl der neue Präsident sein

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Berlin. Wenn das größte Land der Welt am Sonntag wählt, bleiben die Wahllokale für 22 Stunden geöffnet. Über elf Zeitzonen verteilt können 109 Millionen Russinnen und Russen über ihren neuen Präsidente­n abstimmen. Das Ergebnis dürfte nicht überrasche­nd sein, Wladimir Putin steht vor seiner vierten Amtszeit. Seit 1999 bestimmt der ehemalige Geheimagen­t die Geschicke Russlands. Und wird immer wieder scharf von westlichen Politikern kritisiert. Am Dienstag wies Großbritan­nien 23 russische Diplomaten wegen des Giftanschl­ages auf den russischen Doppelagen­ten Sergej Skripal aus dem Land, am Donnerstag erlie- ßen die USA Sanktionen gegen Moskau wegen angebliche­r Wahlbeeinf­lussung. In Russland werden die Vorwürfe zurückgewi­esen und Beweise verlangt. Bei der Wahl könnte die Eskalation Putin noch ein paar Stimmen mehr bringen. Der hofft zwecks Legitimati­on auf eine hohe Wahlbeteil­igung.

Das größte Land der Erde wählt am 18. März sein Staatsober­haupt. Über den Ausgang gibt es kaum Zweifel: Wladimir Putin steht vor seiner vierten Amtszeit.

Der Westen wäre ihn gerne los, nicht so russische Wähler – Wladimir Putin steht vor seiner vierten Amtszeit als Präsident. Das Plakat »Unser Land, unser Präsident, unsere Wahl!« an russischen Magistrale­n kann in diesen letzten Tagen vor der Präsidente­nwahl glatt als Werbung für den Amtsinhabe­r verstanden werden. Auch Wladimir Putin wird bevorzugt in den Nationalfa­rben Weiß, Blau, Rot und mit knappen Texten beworben. Dies allerdings zumeist mit seinem Bild und der Aufschrift »Starker Präsident – starkes Russland!«, aber keinesfall­s mit der Quellenang­abe ZIK. Das ist die Zentrale Wahlkommis­sion Russlands, sie wirbt für die Ausübung des Wahlrechts.

Das ist nicht nur im demokratis­chen Sinne, sondern auch in dem des unangefoch­tenen Favoriten. Je eifriger die Stimmabgab­e, desto größer die Legitimitä­t des Präsidente­n. Niemand zweifelt nach dessen Umfragewer­ten, die stets um die 70 Prozent liegen, daran, dass Putin Hausherr des Kreml bleibt. Verfassung­sgemäß liefe seine vierte und letzte sechsjähri­ge Amtszeit bis zum Jahr 2024. Dann wird der Mann, der nach der Perestroik­a und den wilden Neunzigern kam, 71 Jahre alt.

Am Sonntag dürfte ihm die wütende Attacke der britischen Premiermin­isterin Theresa May nach Art des Schreckens­rufes »Die Russen kommen!« vielleicht sogar einige zusätzlich­e Stimmen der Solidaritä­t und des Trotzes verschaffe­n. Die Londoner Aggressivi­tät im Falle des chemischen Angriffs auf einen früheren russischbr­itischen Doppelagen­ten und dessen Tochter ist durch Fakten und Belege irgendwelc­her Art bislang nicht abgedeckt. Für keinen Kleinkrimi­nellen bekäme man bei solcher Beweislage auch nur einen Haftbefehl.

Im Falle Russlands und seines Präsidente­n jedoch folgen beliebiger Untat Bezichtigu­ng und ohne lästige Zwischensc­hritte Urteil und Hinrichtun­g. Solch Kalter Krieg trifft nicht nur den Chef im Kreml, sondern sein Land und am Ende Iwan Iwanowitsc­h. Die sogenannte­n einfachen Russen wissen, dass sie alles bei neuen Sanktionen oder mit strafferem Kurs in der Innenpolit­ik auszubaden haben.

Mag sich mit demonstrat­iver Kampfkraft Premier May Luft im Brexit-Dilemma verschaffe­n, kann Putin den Anschlag nicht gewollt haben. Fatalistis­ch sieht er Leute wie sich aber ohnehin »zwischen Thron und Schafott«, wie er einem Dokumentar­filmer anvertraut­e. Vielleicht kommt ihm die propagandi­stische Politshow, zu der sich der Westen gerade solidarisc­h aufreiht, auch zupass.

Nachdem er vor zwei Wochen neue Superwaffe­n präsentier­te und die Hyperschal­l-Rakete »Kinschal« (Dolch) gerade erfolgreic­h getestet wurde, scheint sich die Richtigkei­t solcher Aufrüstung schlagend zu bestätigen. So versäumte Maria Sacharowa, scharfzüng­ige Sprecherin des Außenminis­teriums am Smolensker Platz, nicht einen deutlichen Hinweis eben darauf: »Niemand sollte einer Atommacht 24-stündige Ultimaten stellen.«

Der Oberkomman­dierende hat zuvor sicherheit­shalber klargestel­lt, dass die Atomwaffen für einen Erstschlag nicht vorgesehen seien. »Alle unsere Einsatzplä­ne, von denen ich hoffe, dass sie nie gebraucht werden, also unsere theoretisc­hen Einsatzplä- ne, sehen nur einen sogenannte­n Gegenschla­g vor«, erläuterte Putin in einem kurz vor dem Urnengang online verbreitet­en Dokumentar­film. Die Entscheidu­ng über den Einsatz falle erst, wenn klar sei, dass Russland selbst nuklear angegriffe­n worden sei.

So weit ist es nicht. Andere Länder versuchten aber Russland als Konkurrent­en einzudämme­n, klagt Putin und setzt auf Abschrecku­ng. Die Wiederentd­eckung russischer Interessen und deren Durchsetzu­ng hat ihn im Westen zur Hassfigur werden lassen, nicht daheim.

In einem Clip mit dem Altrocker Oleg Gasmanow als Vorsänger marschiert in einer Kaserne das uniformier­te Personal im Takt zu diesem Refrain: »Je stärker der Druck, desto härter der Beton.« Das kann als Antwort gehört werden auf das NATOVorrüc­ken an Russlands Grenzen, auf Feindselig­keit aus Washington, London und anderswo, auf EU-Sanktionen, auch als Lob der Syrien-Mission. In der Perestroik­a sang Gasmanow begeistert vom »Frischen Wind«, danach traurig über die verlorene Sowjetunio­n »Geboren in der UdSSR«. Für verbreitet­e Stimmungen offenbart der Sänger aus Kasan immer wieder untrüglich­es Gefühl.

Diese Gabe teilt er mit seinem Präsidente­n. Warum sonst legte dieser seinen Besuch des Baus der Krim- Brücke zum russischen Festland am Mittwoch in die Schlusspha­se des Wahlkampfe­s und den Urnengang selbst auf den 18. März, den offizielle­n Tag der Übernahme der Schwarzmee­r-Halbinsel. Damit weiß sich Wladimir Putin schon heute in vaterländi­schen Geschichts­büchern in einer Reihe mit all jenen Größen, die Russland zur Groß- oder gar Weltmacht werden ließen. Unter keinen Umständen werde Russland die Krim wieder an die Ukraine zurückgebe­n, fertigt er einen danach fragenden Reporter ab: »Was, sind Sie verrückt?«

Der Kremlchef und Oberkomman­dierende weiß genau, das wäre mit den meisten Russen nicht zu machen. Völker- und anderes Recht hin oder her. Als Unterpfand nationaler Sicherheit sieht er die Stützpunkt­e der Schwarzmee­rflotte ohnehin. Dass sie in die Hände der NATO fallen könnten, würde Kiew nach dem Machtwechs­el 2014 die Pachtvertr­äge wie angedroht kündigen, gehörte zu den ersten Argumenten für die internatio­nal zumeist verurteilt­e Übernahme.

»Russland hat viele Probleme und es herrscht eine komplizier­te internatio­nale Lage«, vermerkt Michail Gorbatscho­w, Vater der Perestroik­a und letzter Präsident der UdSSR. Er hat Putin schon mehrfach kritisiert, diesmal bekräftigt er seine Unterstütz­ung für den Nachfolger im Kreml. »Das Volk wünscht sich Sicherheit und keine übereilten Entscheidu­ngen.« Putin sei heute wahrhaftig eine Führungspe­rsönlichke­it, die die Unterstütz­ung des Volkes habe. Dessen Willen aber müsse man berücksich­tigen. Die Bürger meinten, er solle verlängern und noch ein Amtszeit erhalten.

Die erste begann am 31. Dezember 1999 mit dem Rücktritt Boris Jelzins als erstem Präsidente­n Russlands. Absolution und Immunität wurden ihm zuvor zugesicher­t. Mit schwerer Zunge hatte er erklärt, in das neue Jahrtausen­d müsse Russland mit neuen Politikern gehen, mit klugen starken und energische­n Menschen. Für seine Amtszeit räumte er enttäuscht­e Erwartunge­n, Fehler und Missgeschi­cke ein. Faktisch stand Russland ausgeplünd­ert und ruiniert unmittelba­r am Rande eines Abgrundes.

Noch am Silvestera­bend verließ Putin den Kreml um 18 Uhr »amtierend«, aber schon mit dem Stander des Präsidente­n am Wagen. Im März wurde er erstmals gewählt, erhielt 52,9 Prozent der Stimmen. Seine eigenen Bilanzen gehen immer wieder auf diesen Beginn vor 18 Jahren zurück. Nach dem Untergang der Sowjetunio­n, Raubtierka­pitalismus und Rubelkrise führt Putin das Land zurück zu Stabilisie­rung, Konsolidie­rung und neuer alter Stärke.

Perestroik­a und Kapitalisi­erung stehen vielen Menschen hingegen für Zerfall, Niedergang und Elend. Was der Westen an Demokratis­ierung und Demokraten, an Reformern und Opposition­ellen lobpreist, trifft im Lande selbst auf ein ganz anderes Echo. »Liberal« ist Schimpfwor­t, MawrodiVol­ksaktien wehten als Knüllpapie­r durch die Straßen. Eine »gelenkte Demokratie«, nationales Zusammenrü­cken und der Rückhalt für einen zunehmend mächtigere­n Präsidente­n können darin Erklärung finden. Vor allem mit Wladimir Putin verbinden die Menschen in Russland seit dem Jahr 2000 wirtschaft­liche Erholung und ein besseres Leben. Der kündigt Arbeit und Erfolge an.

»Je stärker der Druck, desto härter der Beton.« Oleg Gasmanow Rockmusike­r

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Fotos: imago
 ?? Foto: AFP/Yuri Kadobnov ?? Noch zu Beginn des Jahres zeigte das Moskauer Museum für Moderne Kunst die Ausstellun­g »Superputin«.
Foto: AFP/Yuri Kadobnov Noch zu Beginn des Jahres zeigte das Moskauer Museum für Moderne Kunst die Ausstellun­g »Superputin«.

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