nd.DerTag

Mord in Brasilien an linker Politikeri­n

Weltsozial­forum unterbroch­en

- Von Niklas Franzen, Salvador da Bahia

Salvador da Bahia. Unbekannte habe die brasiliani­sche Politikeri­n und Kritikerin von Polizeigew­alt, Marielle Franco, im Zentrum von Rio de Janeiro in ihrem Auto erschossen. Auch ihr Fahrer sei am Mittwochab­end im Kugelhagel der Täter gestorben, eine Mitarbeite­rin sei verletzt worden, berichtete das Nachrichte­nportal G1 am Donnerstag. Die 38-Jährige hatte die Polizei mehrerer Morde bezichtigt, zuletzt am Tag vor ihrer Ermordung, nachdem ein junger Mann mutmaßlich von der Militärpol­izei erschossen worden war.

Die aus einem Armenviert­el Rio de Janeiros stammende Franco war eine der prominente­sten Menschenre­chts- und Afroaktivi­stinnen des Landes und saß für die linke Partei Sozialismu­s und Freiheit (PSOL) im Stadtparla­ment. Dort leitete sie eine Kommission zur Überwachun­g des Militär- und Polizeiein­satzes gegen die ausufernde Gewaltkrim­inalität in der Stadt. Die Nachricht vom Tod Francos sorgte beim Weltsozial­forum im brasiliani­schen Salvador da Bahia für Entsetzen. Viele Veranstalt­ungen wurden abgesagt und Demonstrat­ionen angekündig­t.

Im vergangene­n Monat übernahm das Militär die Kontrolle über die Sicherheit von Rio de Janeiro. Franco war Vorsitzend­e einer Kommission, die die Militärakt­ionen in den Favelas überwachen soll. Der Schock sitzt tief. Am Mittwochab­end wurde die prominente Menschenre­chtlerin und Politikeri­n der linken Partei für Sozialismu­s und Freiheit (PSOL), Marielle Franco, in der Innenstadt von Rio de Janeiro ermordet. Franco befand sich auf dem Rückweg von einer Veranstalt­ung über schwarze Jugendlich­e, die im Auswegvier­tel Lapa stattfand, als Unbekannte auf ihr Auto feuerten. Mindestens vier Schüsse trafen die Abgeordnet­e des Stadtparla­ments im Kopf, sie starb vor Ort. Auch Francos Fahrer wurde ermordet, eine Mitarbeite­rin wurde schwer verletzt. Die Mordkommis­sion spricht von einer Hinrichtun­g.

Die Hintergrün­de des Mordes sind bislang noch unklar. Aktivist*innen vermuten jedoch einen Racheakt der Polizei. Die 38-Jährige schwarze Politikeri­n war eine der lautesten Stimmen gegen Polizeigew­alt und Rassismus in Rio de Janeiro. Einen Tag vor ihrer Hinrichtun­g postete Franco auf Facebook: »Wie viele von uns müssen in diesem Krieg noch sterben?« Am Samstag kritisiert­e sie in sozialen Medien die Militärpol­izei in der Favela Acari und nannte die Polizeiein­heit ein »Bataillon des Todes«. Auch die Militärint­ervention in der »Wunderbare­n Stadt« kritisiert­e Franco scharf. Im vergangene­n Monat übernahm das Militär die Kontrolle über die Sicherheit von Rio de Janeiro. Franco wurde zur Vorsitzend­en einer Kommission ernannt, die die Militärakt­ionen in den Favelas überwachen soll.

Franco stammte selbst aus einem Armenviert­el, dem Favela-Complex Maré im Norden von Rio de Janeiro. In dem Viertel liefern sich Polizei und Drogengang­s fast täglich schwere Auseinande­rsetzungen. Regelmäßig kommt es zu Menschenre­chtsverlet­zungen von Sicherheit­skräften gegen Bewohner*innen. Im Vorfeld der Fußballwel­tmeistersc­haft besetzte das Militär den Favela-Complex.

Rio de Janeiro durchlebt einen dramatisch­en Anstieg der Gewalt. Nirgendwo sonst in Brasilien tötet die Polizei so häufig wie in der Stadt am Zu- ckerhut. Die meisten Opfer: jung, arm und schwarz. Aktivist*innen sprechen von einem »Genozid an der schwarzen Bevölkerun­g«. Für viele Brasiliane­r*innen steht der Mord an Franco sinnbildli­ch für die strukturel­le Gewalt gegen die arme, schwarze Bevölkerun­g in Brasilien. Dass eine bekannte Politikeri­n auf offener Straße ermordet wird, ist aber selbst für Rio de Janeiro neu.

Franco war Politikeri­n für die Partei PSOL, eine Linksabspa­ltung der Arbeiterpa­rtei PT. Bei den Kommunalwa­hlen im Jahr 2016 erhielt die 38Jährige die fünftmeist­en Stimmen und saß seitdem im Stadtparla­ment. Franco war Vorkämpfer­in für Menschenre­chte und gegen Rassismus. Auch feministis­che Themen standen auf ihrer Agenda.

Mit Trauer und Wut reagierten viele Brasiliane­r*innen auf die Nachricht des Mordes an Franco. In mehreren brasiliani­schen Städten kam es am Mittwoch zu Demonstrat­ionen. Das Motto: »Wir sind alle Marielle Franco.« Auch die Teilnehmer*innen des diesjährig­en Weltsozial­forums (WSF) in Salvador da Bahia, das von schwarzen Frauen dominiert wird, reagierten schockiert. »Mit dem Mord haben sie uns alle getroffen«, sagte die Aktivistin Silvana Serra von der »Bewegung der schwarzen Frauen Mãe Andresa« dem »nd«. Die für Mittwoch geplanten Veranstalt­ungen wurden zum Teil abgesagt. Serra meint: »Ich finde richtig, dass heute in Gedenken an Marielle keine Veranstalt­ungen stattfinde­n. Heute müssen wir auf die Straße gehen.« Am Vormittag zog eine, von schwarzen Frauen angeführte, Demonstrat­ion über den Campus der staatliche­n Universitä­t von Bahia (Ufba), wo ein Großteil der Veranstalt­ungen des WSF stattfinde­t.

Auch Politiker*innen der PSOL zeigten sich bestürzt über den Tod von Franco. »Der Mord an Marielle zeigt wie tief die Wunde in der brasiliani­schen Demokratie sitzt«, sagte der Präsidents­chaftskand­idat der PSOL, Guilherme Boulos, dem »nd«. Der sonst so eloquente Boulos stockt und sucht nach Worten. Auch bei ihm sitzt der Schmerz spürbar tief. »Das ist ganz klar eine Nachricht von der anderen Seite: sie sind bereits alles zu tun.« Boulos fordert: »Wir werden keine Ruhe geben bis wir wissen, wer Marielle ermordet hat«.

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Foto: AFP/Mauro Pimentel Trauer nach dem Mord an Marielle Franco, die Mittwochab­end auf offener Straße erschossen wurde.

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