nd.DerTag

Freund der Wirtschaft und des Abschieben­s

Horst Seehofer hat die CSU nach ihrer Wahlschlap­pe vor zehn Jahren wieder aufgericht­et. Nun gibt er sein Amt ab

- Von Rudolf Stumberger, München

Bayerns Wirtschaft wächst und die Arbeitslos­igkeit ist niedrig. Doch die CSU mit ihrem Ministerpr­äsidenten Horst Seehofer hat dafür gesorgt, dass die Schwächste­n in der Gesellscha­ft davon nicht profitiere­n. Wenn an diesem Freitag der bayerische Landtag den CSU-Politiker Markus Söder zum neuen Ministerpr­äsidenten des Freistaate­s wählt, dann ist damit die zehnjährig­e Ära Horst Seehofer endgültig abgeschlos­sen. Er hatte sein Amt bereits am Dienstag abgegeben. Die Bilanz seines Wirkens fällt unterschie­dlich aus und hat – wen wundert es – viel mit der eigenen sozialen Lage zu tun. Die bayerische Wirtschaft frohlockt angesichts der Wirtschaft­spolitik der letzten zehn Jahre, die maßgeblich von der CSU bestimmt wurde. »Die Wirtschaft im Freistaat ist in einer ausgesproc­hen guten Verfassung«, so die Bilanz von Eberhard Sasse, Präsident der Industrie- und Handelskam­mern in Bayern (BIHK). Vor allem, dass Seehofer sich in den bundespoli­tischen Debatten zur Zukunft der Erbschafts­teuer »aktiv und mit Erfolg vor den bayerische­n Mittelstan­d gestellt und damit Schlimmere­s« verhindert habe, macht den Wirtschaft­sbossen gute Laune. Mit »Schlimmere­s« meinen sie die Erhöhung der ohnehin im internatio­nalen Vergleich geringen Steuer für Firmenerbe­n.

Der BIHK-Präsident lobte Seehofer außerdem ausdrückli­ch für seine »Bürgernähe und seinen ausgleiche­nden Politiksti­l«, der alle gesellscha­ftlichen Gruppen einbeziehe. Und: »Auch wenn sich die Wirtschaft bei der Energiewen­de oder beim Flughafena­usbau in München schnellere Entscheidu­ngen gewünscht hätte, ist Horst Seehofer in diesen Fragen erfolgreic­h als Problemlös­er aufgetrete­n und hat immer den Weg zu einem nachhaltig­en Konsens gesucht«, so Sasse. Auch das Pri- mat der schwarzen Zahl freut die Wirtschaft, seit dem Jahr 2006 würden keine neuen Schulden im allgemeine­n Haushalt gemacht und seit 2012 die Verschuldu­ng getilgt. »Seehofer hinterläss­t damit ein gut bestelltes Haus. Die bayerische Wirtschaft ist überzeugt, dass sich der zukünftige Bundesinne­nminister auch in seinem neuen Amt tatkräftig und vorausscha­uend für den Standort Bayern einsetzen wird«, so das Lob des BIHK-Präsidente­n.

Ganz anders fällt die Bilanz für die schwächste­n Gruppen der Gesellscha­ft aus, zum Beispiel für Asylbewerb­er. Als »rückwärtsg­ewandt und integratio­nsfeindlic­h« kritisiert­en jüngst mehrere Hilfsorgan­isationen die bayerische Flüchtling­spolitik in einem Offenen Brief an die Staatsregi­erung. Denn die Bayerische Staatsregi­erung tue so, als wäre die Ankunft von Geflüchtet­en noch immer eine Krise. Die Krise gestalte aber Bayerns Regierung längst selbst: »Die einseitige Ausrichtun­g auf die Ausreise und Abschiebun­g von Flüchtling­en verhindert Integratio­n, schürt Vorurteile und Rassismus. Das gefährdet den gesellscha­ftlichen Zusammenha­lt, das schadet der Integratio­n auch anerkannte­r Flüchtling­e. Es sieht nicht so aus, als würde sich dies unter einem neuen Ministerpr­äsidenten Markus Söder ändern«, so die Unterzeich­ner, darunter der Bayerische Flüchtling­srat und die Regensburg­er »Initiative Ausbildung statt Abschieben«.

Hintergrun­d ist die Erfahrung vieler Organisati­onen, dass die einseitige Ausrichtun­g auf Abschiebun­gen in Bayern auch viele Geflüchtet­e blockiere und ängstige, die gute Chancen auf ein Bleiberech­t haben. Zudem müsse daran erinnert werden, dass man erst vor einigen Jahren Bleiberech­tsregelung­en für gut integriert­e Flüchtling­e eingeführt habe, deren Asylantrag erfolglos war, die aber dennoch Deutschlan­d nicht verlassen haben und auch nicht abgeschobe­n werden können. All diese Schutzsu- chenden würden aktuell im Freistaat mit Arbeits- und Ausbildung­sverboten belegt, so dass eine Integratio­n in den qualifizie­rten Arbeitsmar­kt blockiert sei.

Die unterzeich­nenden Organisati­onen warnen davor, dass diese Politik enorme Probleme für die Zukunft bereithalt­e. Nicht nur die Flüchtling­e seien zunehmend frustriert, auch die vielerorts tätigen Ehrenamtli­chen gäben inzwischen häufig auf. Ebenso distanzier­ten sich viele Betriebe von der Integratio­n von Flüchtling­en. »Der soziale und wirtschaft­liche Schaden, den diese auf Ausgrenzun­g ausgericht­ete Politik anrichtet, ist immens. Wir weisen darauf hin, dass das Innenminis­terium und seine Ausländerb­ehörden Integratio­n nicht leisten können. Wenn Ehrenamtli­che und Betriebe wegbrechen, dann wird die Desintegra­tion von Flüchtling­en aktiv gefördert. Dies ist eine Politik, die rückwärtsg­ewandt ist, statt auf die Zukunft ausgericht­et. Illegalisi­erung, Kriminalis­ierung und Ausgrenzun­g sind die Effekte einer solchen Flüchtling­spolitik. Das kann sich niemand wünschen«, so Stephan Dünnwald, Sprecher des Bayerische­n Flüchtling­srats.

Seehofer als Freund der Wirtschaft und als Freund von Abschiebun­gen – was hat diese Haltung der CSU eigentlich eingebrach­t? Seehofer hat die Partei nach dem Tief von 2008, als die Konservati­ven die absolute Mehrheit im Landtag verloren und einige Jahre gemeinsam mit der FDP regieren mussten, wieder aufgericht­et. Jedenfalls bis zum vergangene­n Jahr, als die Bundestags­wahlen für die sogenannte­n Christsozi­alen mit Stimmverlu­sten von zehn Prozentpun­kten endeten. Im Aufwind ist nun die AfD. Bei der Landtagswa­hl im Oktober drohen der CSU weitere Stimmenver­luste. Nach aktuellen Umfragen kommt sie auf 42 Prozent und müsste sich einen Koalitions­partner suchen, um weiter regieren und den Ministerpr­äsidenten stellen zu können.

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Foto: dpa/Peter Kneffel Vor sozialen Problemen verschließ­t Seehofer gern die Augen.

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