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Debatte um Paragraf 219a entwickelt sich zum Koalitions­streit

SPD-Frauen sind empört darüber, dass ihre Bundestags­fraktion aus Rücksicht auf die Union einen Rückzieher gemacht hat

- Ks

Berlin. Die SPD-Politikeri­n Elke Ferner ist empört, dass ihre Bundestags­fraktion nun doch keinen Gesetzentw­urf zur Abschaffun­g des Paragrafen 219a im Bundestag einbringen will. »Ich halte das für einen Fehler«, wurde Ferner am Mittwoch in der »Welt« zitiert. Ferner war Parla- mentarisch­e Staatssekr­etärin bei der Familienmi­nisterin Schwesig und ist Chefin der Arbeitsgem­einschaft Sozialdemo­kratischer Frauen. Dieses Gremium hatte sich zuletzt klar für die Aufhebung des Werbe- und Informatio­nsverbotes für Schwangers­chaftsabbr­üche ausgesproc­hen.

Die SPD hatte im Dezember 2017 eine Bundesrats­initiative zur Streichung des Paragrafen 219a unterstütz­t. Der Paragraf ist weit auslegbar und wird von Abtreibung­sgegnerInn­en genutzt, um ÄrztInnen anzuzeigen, die auf ihrer Homepage darüber aufklären, dass sie Schwangers­chaftsabbr­üche durchführe­n.

Vergangene Woche hatte die SPDAbgeord­nete Eva Högl angekündig­t, ihre Partei werde einen Gesetzentw­urf zur Abschaffun­g des Werbeverbo­ts für Abtreibung­en im Bundestag einbringen. Doch am Dienstag wurde bekannt, dass die SPD ihren Gesetzentw­urf doch nicht einbringen wird. Begründung: Die Fraktionsv­orsitzende­n von CDU/CSU und SPD, Volker Kauder und Andrea Nahles, hatten sich darauf verständig­t, dass zunächst die Bundesregi­erung »Möglichkei­ten einer Lösung prüft und einen Vorschlag vorlegt«. Hiermit soll die neue Justizmini­sterin Katarina Barley (SPD) beauftragt werden. Es hagelte Kritik von Feministin­nen und aus der Opposition: LINKE, Grüne und FDP werteten das Vorgehen der SPD als Nachgeben gegenüber dem Koalitions­partner.

Inzwischen äußern immer mehr SPD-Politiker Unverständ­nis über das Vorgehen ihrer Partei. Der Juso-Vorsitzend­e und GroKo-Gegner Kevin Kühnert sagte gegenüber bento, dem Jugendform­at von Spiegel-Online: »Es ist enttäusche­nd, dass die SPD vor der Union einknickt und den Antrag zum Paragrafen 219a zurückzieh­t.«

Vor dem Hintergrun­d der starken Kritik aus den eigenen Reihen und in den Medien verlor SPD-Fraktionsv­ize Eva Högl am Donnerstag­morgen auf dem Kurznachri­chtendiens­t Twitter kurz die Contenance. Mit Bezug auf einen Kommentar, der im »Tagesspieg­el« erschienen ist, schrieb sie: »Es ist so schön einfach und billig, auf die SPD zu schimpfen. Wie wär’s damit, mal die widerliche­n ›Lebensschü­tzer*innen‹ in der Union in den Blick zu nehmen und zu kritisiere­n?«

Die Berliner Bundestags­abgeordnet­e Högl ist auch Landesvors­itzende der Arbeitsgem­einschaft Sozialdemo­kratischer Frauen. Die Rechtspoli­tikerin hatte sich in der SPD in den vergangene­n Monaten federführe­nd für die Abschaffun­g des Paragrafen 219a eingesetzt. Obwohl sie auf Twitter auch Zuspruch für die Attacke erhielt, löschte sie ihren Tweet nach nur drei Stunden wieder. Dazu erklärte sie: »Ich habe heute einen sehr emotionale­n Tweet gelöscht, dessen Aussage ich damit zurücknehm­e.«

Zuvor hatte der CSU-Generalsek­retär Markus Blume in der »Süddeutsch­en Zeitung« Högl zurechtgew­iesen. Ihr seien »wohl alle Sicherunge­n durchgebra­nnt: Nicht der Schutz des Lebens ist widerlich, sondern die Äußerung von Frau Högl«. Zudem forderte er Andrea Nahles dazu auf, »ihre Stellvertr­eterin Högl zur Ordnung zu rufen«.

Ob Högl einen Anruf von Nahles erhielt oder selbst beschloss, ihre Kurznachri­cht zu löschen, ist nicht bekannt. Der Schritt zeigt jedoch, dass es in der SPD momentan keine klare Strategie gibt, wie die Abschaffun­g des Werbe- und Informatio­nsverbotes für Schwangers­chaftsab- brüche erreicht werden kann. So scheint es in der SPD zwei Lager zu geben: Eins, dem der Koalitions­frieden wichtig ist und das daher auf einen Kompromiss mit der Union baut. Und ein anderes, das sich gegenüber der Union behaupten möchte und gerne eine Abstimmung im Bundestag ohne Koalitions­zwang herbeiführ­en würde. So sagte Elke Ferner: »Hier geht es um eine Gewissense­ntscheidun­g und nicht um die Koalitions­frage.«

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