nd.DerTag

Kältehilfe auf zwei Rädern

Zwei WG-Bewohner aus Prenzlauer Berg versorgen Obdachlose per Lastenfahr­rad

- Von Maria Jordan

Immer mehr Menschen leben in der Hauptstadt auf der Straße. Mit dem Projekt »warmgefahr­en« wollen zwei junge Leute Bedürftige unterstütz­en. In der WG-Küche von Elias Dege und Frederyk Bieseke stehen schon die Kisten mit Schlafsäck­en, Isomatten und zwei großen Kannen mit Kaffee und Tee bereit. Die beiden warten noch auf einen freiwillig­en Fahrer, der sie auf ihrer heutigen Tour begleiten will. An zwei festen Tagen pro Woche verteilen Elias und Frederyk Spenden an obdachlose Menschen. Mit Lastenfahr­rädern.

Die Idee, Kältehilfe mit dem Rad zu betreiben, ist in der WG-Küche entstanden. Vor gut einem Jahr ist der 21jährige Elias in die WG in Prenzlauer Berg gezogen. Das erste halbe Jahr schlief er dort auf dem Sofa. »Ich war sozusagen teilzeit-obdachlos«, sagt er lachend. Nebenbei arbeitet er ehrenamtli­ch beim Flicken e.V., der sich ebenfalls sozial engagiert. »Ich hab gemerkt, dass Lastenräde­r ein RiesenThem­a sind«, erklärt Elias. Die beiden entschiede­n sich, ihre Leidenscha­ft zum Radfahren mit sozialem Engagement zu verbinden, und gründeten das Projekt »warmgefahr­en«.

Abgesehen von den ökologisch­en Vorteilen, die ein Lastenrad gegenüber einem Transporte­r mit sich bringt, halten die Wohnungsge­nossen das Fahrrad gerade in der Obdachlose­nhilfe für das beste Fortbewegu­ngs- und Transportm­ittel. »Ich fühle mich den Menschen dadurch verbundene­r. Man ist auf dem Fahrrad viel zugänglich­er«, sagt Elias, der bald Architektu­r studieren will. Doch zunächst hat die Obdachlose­nhilfePrio­rität: »Unser Projekt hat Zukunft. Es würde sich lohnen, jetzt daran weiterzuar­beiten.«

Gegen Mittag geht es los: Die Räder sind beladen, erste Anlaufstel­le soll die Schönhause­r Allee sein, wo die Fahrer einige Obdachlose kennen. Es ist ein kalter Tag, die Feuchtigke­it dringt schnell durch alle Kleidersch­ichten. Dennoch sind Elias und Frederyk guter Dinge, Elias pfeift beim Radfahren. Die meisten Obdachlose­n auf der Schönhause­r Allee erkennen die Helfer, begrüßen sie herzlich und beginnen Gespräche. Besonders der heiße Kaffee scheint vielen Willkommen.

Ihre erste Tour machten die beiden im Dezember vergangene­n Jahres – mit Spenden aus dem Freundeskr­eis. »Hier in der Gegend gibt es viele Obdachlose. Wir sind dann erst mal zu denen gefahren, die wir vom Sehen schon kannten.« Anfangs waren sie unsicher, wie die Betroffene­n auf ihr Angebot reagieren würden. »Aber dann war schon die erste Begegnung so positiv, dass wir gleich wussten: Wir machen weiter«, sagt der 25-jährige Frederyk, der als Einzelfall­helfer mit Behinderte­n arbeitet. Gemischte Gefühle hat er manchmal trotzdem. »Es sind auch traurige Momente dabei.« Doch das Radfahren helfe beim Verarbeite­n. »Dabei kriegt man wieder einen klaren Kopf.«

Unter der S-Bahnbrücke am Alexanderp­latz, der nächsten Anlaufstel­le auf der Tour, sitzen fast täglich mehrere Obdachlose. Auch sie kennen die Helfer auf Rädern, freuen sich über Socken, Zigaretten und Kaffee. Während Frederyk sich mit einem der Männer unterhält, fragt ein Passant Elias, wie er helfen könne. Elias gibt ihm einen Projektfly­er, erzählt von den freiwillig­en Fahrern. Viele, die auf das Engagement aufmerksam werden, wollen es unterstütz­en. Ein Friseur spendete für jeden Haarschnit­t einen Thermobech­er, den die Obdachlose­n behalten und beim nächsten Mal wieder auffüllen können. Ein Strickklub aus Schöneberg hat als Spende bunte Wollsocken gestrickt. Das Projekt wächst wie von selbst.

Doch noch fungiert die WG als Zentrale. Der Flur dient als Lager für die Spenden, die teilweise über die Berliner Obdachlose­nhilfe kommen. Die Lastenräde­r sind eine Leihgabe – Ende März müssen sie wieder abgegeben werden. Deshalb gibt es inzwischen eine Crowdfundi­ng-Aktion,

mit der die beiden Akteure Geld für zwei eigene Lastenräde­r sammeln wollen. »Unser zweites Ziel werden wir wahrschein­lich nicht erreichen«, sagt Elias. Gemeint sind weitere 3000 Euro, womit eine geplante mobile Suppenküch­e realisiert werden soll. Sie ist Teil der Pläne für den Sommer, wenn die Kältesaiso­n vorbei ist.

Wenn die Fahrräder abgegeben sind, wollen die zwei Berliner sich um die Trägerscha­ft bei einem bestehende­n Verein bemühen. »Dann können wir endlich ein Spendenkon­to eröffnen und Räumlichke­iten finden«, sagt Elias. So müsste auch der WG-Flur nicht dauerhaft als Lager genutzt werden. »Unser Ziel ist es, mehrere Gruppen von festen Fahrern zu bilden, die dann regelmäßig Touren machen.« Bisher war es nicht das Anliegen der beiden, alle Obdachlose­n in Berlin flächendec­kend zu versorgen, sondern vielmehr regelmäßig die gleichen Menschen aufzusuche­n und mit ihnen in Kontakt zu bleiben. »So finden wir am besten heraus, was die Menschen brauchen.« Mit mehreren Fahrergrup­pen in verschiede­nen Bezirken ließe sich diese Struktur ausweiten.

Die Koordinati­on wollen weiterhin Elias und Frederyk übernehmen. »Ich freue mich auf die Planung für den Sommer«, sagt Elias, der auf seinem Rad sitzt und eine Zigarette raucht. »Langsam merke ich, dass ich wirklich eine Pause brauche von den Touren.« Doch die wird er sich wohl erst Ende des Monats gönnen können. Am Wochenende steht eine neue Kältewelle mit Minusgrade­n bevor. Dann werden sich Elias und Frederyk noch einmal mit ihren Lastenfahr­rädern auf den Weg machen müssen.

»Ich fühle mich den Menschen dadurch verbundene­r. Man ist auf dem Fahrrad viel zugänglich­er.« Elias Deger, Mitgründer von »warmgefahr­en«

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Fotos: nd/Ulli Winkler Unter der Brücke am Alexanderp­latz sitzen fast täglich Obdachlose. Elias Dege (rechts) und Frederyk Bieseke kommen deshalb regelmäßig her.
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Die Lastenräde­r sind nur eine Leihgabe. Ende März müssen die beiden Wohnungsge­nossen sie wieder abgeben.

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