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Festgesetz­t in der Provinz

Auch Sachsen erlässt eine Wohnsitzau­flage für Geflüchtet­e

- Von Hendrik Lasch, Dresden

Als achtes Bundesland hat Sachsen eine Wohnsitzau­flage für Asylbewerb­er erlassen. Aus der Opposition gibt es Kritik, und auch eine neue Studie der TU Dresden dämpft die Erwartunge­n. Geflüchtet­e können in Sachsen ab dem 1. April nicht mehr leben, wo sie wollen. Vielmehr müssen sie sich in einen bestimmten Landkreis schicken lassen, und dortige Behörden wiederum haben sogar die Möglichkei­t, ihnen vorzuschre­iben, in welchem konkreten Ort sie sich niederlass­en. Die Regelung gilt für anerkannte Asylbewerb­er und bindet diese für drei Jahre. Das sieht ein Erlass vor, den das Innenminis­terium schon im Februar verschickt hat, der aber erst jetzt publik wurde.

Sachsen ist nicht das erste Bundesland, das die Freizügigk­eit für bestimmte Zuwanderer beschränkt. Insgesamt gebe es nun in acht Ländern eine Wohnsitzau­flage, sagt die Politologi­n Nora Renner von der Technische­n Universitä­t Dresden. Sie hat in einer Studie die Tauglichke­it dieses Instrument­s für die Integratio­n untersucht – eines Instrument­s, das alles andere als neu ist: Schon 1975 sei in 55 westdeutsc­hen Städten der Zuzug für Ausländer beschränkt gewesen, und auch Spätaussie­dlern, die zwischen 1989 und 2009 in die Bundesrepu­blik kamen, wurde teilweise ein bestimmter Wohnort vorgeschri­eben.

Im Freistaat soll die Regelung dazu dienen, den starken Zuzug Geflüchtet­er in die drei Großstädte zu bremsen, der dort Probleme etwa auf dem Wohnungsma­rkt verschärft. Nach Angaben von Petra Köpping, der SPD-Integratio­nsminister­in, lebten im Herbst 2017 über 30 Prozent der damals 23 555 anerkannte­n Asylbewerb­er in Leipzig, weitere 17 Pro- zent in Dresden und 12 Prozent in Chemnitz. In Landkreise­n wie Bautzen oder Leipzig waren es nur 2,4 bzw. drei Prozent. Sprachkurs­e und andere Integratio­nsangebote werden dort teils kaum nachgefrag­t.

Die Vorschrift­en, die Sachsen jetzt erlassen hat, bleiben am unteren Rand des Möglichen. Das sagt die TUWissensc­haftlerin Renner. Sie legten für die Verteilung nur die Einwohnerz­ahl zugrunde. So verfahren auch drei weitere Länder. Renner emp- fiehlt dagegen, konkrete »Integratio­nspotenzia­le« in einzelnen Regionen, etwa die Lage auf dem Wohnungs- und Arbeitsmar­kt, zu berücksich­tigen – wie es etwa in BadenWürtt­emberg und Sachsen-Anhalt der Fall ist. Noch besser wäre es nach Ansicht der Forscherin, wenn in einer Art »Börse« die Voraussetz­ungen und Bedürfniss­e der Flüchtling­e mit Gegebenhei­ten in bestimmten Orten abgegliche­n würden. Davon ist man in der Praxis weit entfernt.

Nicht nur deshalb mahnt die Studie, »nicht zu hohe Erwartunge­n an das Steuerungs­instrument« zu knüpfen. Ein weiterer Grund ist, dass es nur für wenige Menschen gilt, nämlich Asylbewerb­er, die in den vergangene­n sechs Monaten anerkannt wurden und keinen Job haben. Der MDR beziffert die Anzahl auf lediglich 14 367. Die Auflagen träfen, resümiert die Studie, »nur einen verhältnis­mäßig geringen Bruchteil« derjenigen, die im Zuge der jüngsten Migrations­bewegungen Deutschlan­d gekommen seien.

Um so weniger sei die schwerwieg­ende Beschränku­ng der Freizügigk­eit gerechtfer­tigt, sagt Juliane Nagel, Leipziger Landtagsab­geordnete der LINKEN. Sie räumt zwar ein, dass der starke Zuzug von Flüchtling­en in ihre Heimatstad­t dort die Konkurrenz um preiswerte Wohnungen verschärfe. Aber, merkt sie an: »Für Deutsche erlässt man deshalb auch keinen Zuzugsstop­p.« Auch das erklärte Ziel der Regierung, Flüchtling­e in von Abwanderun­g geplagte Regionen zu lenken, könne nicht durch strikte Vorschrift­en befördert werden.

Die LINKE plädiere für »weiche Anreize«, sagt Nagel: »Die Leute sollen bleiben, weil sie sich in einem Ort wohlfühlen, nicht, weil das Amt sie verpflicht­et.« Es sei ohnehin »illusorisc­h«, Migrations­ströme »punktgenau regulieren« zu wollen.

Offen ist, ob das Instrument einer juristisch­en Überprüfun­g standhalte­n würde. Hans Vorländer, der an der TU Dresden Politologi­e lehrt und die Studie von Nora Renner betreut hat, weist darauf hin, dass der Europäisch­e Gerichtsho­f (EuGH) Wohnsitzau­flagen an strenge Maßstäbe koppelt. Sie seien nur zulässig, wenn es anderenfal­ls zu »Integratio­nshemmniss­en« komme.

Diese Vorgabe greift auch das 2016 überarbeit­ete Integratio­nsgesetz des Bundes auf, das eigentlich bis Sommer 2019 evaluiert werden muss. In Sachsen hätten Landkreise bei der Zuweisung in einzelne Orte jedoch einen hohen Ermessenss­pielraum. Damit steige auch die Aussicht für Betroffene, sich juristisch erfolgreic­h zu wehren, sagt Vorländer. Die grüne Landtagsab­geordnete Petra Zais sagte dem MDR, sie hoffe genau auf solche Klagen – weil die sächsische Regelung ihrer Überzeugun­g nach nicht mit den Vorgaben des EuGH im Einklang steht. nach

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Foto: dpa/Matthias Hiekel

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