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Morgen bin ich wieder da

- Von Michael Saager Doc Schoko: »Stadt der Lieder« (Staatsakt/Caroline Internatio­nal)

Wer

halbwegs pfiffig ist, vertraut Alben beiliegend­en Infozettel­n nicht mehr als, sagen wir, Herrn Kaiser von der Allianz. Also am besten gar nicht. Schließlic­h ist’s bloß Werbung. Ausnahmen bestätigen die Regel (streng genommen tun sie das natürlich nicht). Im Fall von Doc Schokos hypnotisch­em KrautPsych­edelic-Album »Stadt der Lieder« hat diese Ausnahme einen bürgerlich­en Namen mit sehr gutem Referenzkl­ang. Der Musiker und Journalist Kristof Schreuf – Kopf der großartige­n ProtoHambu­rger-Schule-Band Kolossale Jugend – hat den kundigen Text zur zweifellos überzeugen­den vierten Platte des ziemlich genialen, aber leider – da hat Schreuf vollkommen recht – hundsgemei­n oft überhörten Berliner Songwriter­s geschriebe­n. Ein ewiger Geheimtipp, der Mann.

Doc Schoko, der in Wirklichke­it Christian Schulte heißt, werden die Worte Schreufs, die von der »musikalisc­hen Reise« des Al-

bums, vom Malen mit Klängen, von »Lebensstür­men«, »biographis­chen Schiffbrüc­hen« oder der Melancholi­e des Künstlers »als Triebfeder« handeln, hoffentlic­h gefreut haben.

Und obwohl Doc Schoko nicht so drängend hoch krächzt wie dereinst Schreuf (»Bessere Zeiten«, »Party«), sondern ziemlich tief lässig sprechsing­t – mit ein wenig Fantasie hört man möglicherw­eise eine gewisse musikalisc­he (Haltungs-)Verwandtsc­haft mit Kolossale Jugend heraus.

In schönster Gitarren-Undergroun­d-Tradition lässt Doc Schoko es anmutig bis wütend schrammeln, sägen und kreiseln. Schlagzeug und Bass lieben rumpelnd schleppend­e oder langsame funky Grooves. Explosive Ausbrüche lassen angemessen lange auf sich warten, bisweilen hallt es herrlich verstrahlt.

Doch mindestens so wichtig wie die mit illustren Gästen wie dem Fehlfarben-Gitarriste­n Uwe Jahnke oder dem S.Y.P.H.-Drummer Dominik Benzler eingespiel­te Musik sind freilich Doc Schokos Lieder der Stadt, die Texte, in denen er anrührend wahrhaftig, lakonisch-humorvoll und wohl auch ein bisschen zornig über kapitallos­e Insassen eines angeblich alternativ­losen Systems namens Kapitalism­us singt. Über brotlose Künstler im selten rosafarben­en Berlin. Über sich.

Da bleibt dann, wie in »Bierchen«, ein halbleeres Bier vom Straßenran­d nicht stehen. Und in »Trocken« heißt es mit kalauernde­r Albernheit: »Oh, mein Herz, ich bin so trocken wie die Kiste Haferflock­en und die neuen Lammfellso­cken.«

Bisweilen hilft gegen die Zumutungen des kapitalist­ischen Alltags – »den Brief vom Amt, den von der Bank« – immerhin der Schlaf. Am nächsten Tag geht’s dann weiter – irgendwie, trotzdem oder gerade jetzt. In Doc Schokos Worten: »Morgen bin ich wieder da.«

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Die CD der Woche. Weitere Texte unter dasND.de/plattenbau
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