nd.DerTag

Reichs Mahnung

Andreas Peglau über den Rechtsruck

- Von Werner Abel

Für Andreas Peglau, 1957 in Berlin (Ost) geboren, Psychologe und Psychother­apeut, ist seit den 1980er Jahren die Verbindung von linkem Gedankengu­t und Psychoanal­yse ein wichtiges Thema. Folgericht­ig stieß er dabei auf den Sigmund-Freud-Mitstreite­r und dessen Antipoden Wilhelm Reich (1897 – 1957), der 1927 Mitglied der österreich­ischen, 1930 der deutschen kommunisti­schen Partei wurde. Niemand hat sich konsequent­er als Reich darum bemüht, den Marxismus um tiefenpsyc­hologische­s Wissen zu bereichern. Seinem zähen Kampf gegen die Entpolitis­ierung der Freud’schen Lehre und seinen Auseinande­rsetzungen mit dem NS-System hat Peglau ein Buch gewidmet, das im vergangene­n Jahr in dritter Auflage erschien: »Unpolitisc­he Wissenscha­ft? Wilhelm Reich und die Psychoanal­yse im Nationalso­zialismus«.

Sein neues Buch ist faktisch eine Fortschrei­bung. Hat Peglau zuvor die Entstehung und Wirkung der Reich’schen Erkenntnis­se in den Mittelpunk­t gestellt, wendet er diese Erkenntnis­se jetzt auf unsere Gegenwart an und entwickelt sie zugleich weiter. Das Buch beginnt mit einer knappen, pointierte­n Darstellun­g von Reichs Biografie und seinem sozialwiss­enschaftli­chen Hauptwerk, der 1933 erstmals erschienen­en »Massenpsyc­hologie des Faschismus«. Es erscheint brandaktue­ll. Lassen sich doch, so Peglau, weder das Phänomen Pegida, die Erfolge der AfD, der europäisch­e Rechtsruck noch die Wahl Donald Trumps zum US-Präsidente­n verstehen, ohne Sozialisat­ion und Charakter zu berücksich­tigen, die rechte Bewegungen begünstigt­en.

Reich betonte 1933, dass die NSDAP ihren Siegeszug maßgeblich psychische­n Konstellat­ionen verdankte, tradiert im Christentu­m, in der autoritäre­n Kleinfamil­ie, durch Gefühls- und Sexualunte­rdrückung. Er mahnte, es genüge nicht, sich nur mit der kapitalist­ischen Wirtschaft­sordnung auseinande­rzusetzen, um den Faschismus aus der Welt zu schaffen. Peglau fragt: Auf welche Weise wurden jene sozialisie­rt, die heute »rechts« agieren? Und wie verbreitet sind gewisse Charakters­trukturen auch unter Liberalen, Grünen oder Linken? Was sind die unbewusste­n Motive hinter Fremdenfei­ndlichkeit und autoritäre­r Abhängigke­it? Wie funktionie­ren die Wechselwir­kungen zwischen »oben« und »unten«, zwischen Individuen und Gesellscha­ft, und wie unterstütz­en sie »Rechts«-Tendenzen? Hat das System in der DDR, wie diverse Medien Glauben machen möchten, die Entstehung »rechter« Einstellun­gen intensiver gefördert als das der Bundesrepu­blik? Nein, ganz im Gegenteil, ist der Autor überzeugt und belegt dies auch.

Peglau bietet etwas an, was der Marxismus dringend benötigt: eine Ergänzung um fundierte psychosozi­ale Konzepte.

Andreas Peglau: Rechtsruck im 21. Jahrhunder­t. Wilhelm Reichs Massenpsyc­hologie des Faschismus. NORA, 172 S., br., 14,90 €.

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