nd.DerTag

Opferrolle als Masche

Netzwoche

- Von Robert D. Meyer

Kenn Sie das auch? Friseursal­ons sind eigentlich nicht primär Orte, an denen einem die Haare gewaschen, geschnitte­n, gefärbt oder mit Spray zubetonier­t werden. Nein, sie sind ein öffentlich­er Marktplatz des Tratsches und des politische­n Austausche­s. Das heißt: Sie müssen es in irgendeine­r, nicht näher terminiert­en Vergangenh­eit gewesen sein, glauben wir der Schriftste­llerin Monika Maron. Sie erklärte im Interview auf deutschlan­dfunk.de, inzwischen würden sich die Leute im Friseursa- lon erst vergewisse­rn, »mit wem sie reden und ob sie offen reden wollen oder nicht«. Bei der Äußerung eines womöglich falschen Gedankens drohe zwar kein Gefängnis, wohl aber »eine kleine oder größere Ächtung«.

Maron erzählt dies, weil sie solch eine Situation an Uwe Tellkamp erinnert. Ihren Schriftste­llerkolleg­en erwähnte sie keinesfall­s, weil dieser ins Gespräch mit einem Barbier vertieft den Nahostkonf­likt oder die Integratio­nsfrage löste, sondern weil der Dresdner Autor auf einer Podiumsdis­kussion Dinge gesagt hat, die seit vergangene­r Woche das deutsche Feuilleton nicht mehr loslassen. Maron sieht Tellkamp an den Pranger gestellt: »Was ist denn das für ein Streitgesp­räch, wenn ich das damit bezahle, dass mich am nächsten Tag alle möglichen Leute anspucken?«

Sprachbild­lich ist das natürlich – ganz die Literatin eben – eine blumige Übertreibu­ng dafür, dass Tellkamp öffentlich Kritik einstecken muss, weil sein Publikum nun weiß, dass der Mann eben nicht nur buchpreisw­ürdig stilistisc­h anspruchsv­oll mit Worten umgehen kann, sondern dass in ihm auch ein schnöder Besorgtbür­ger steckt, der locker montags bei Pegida mitmarschi­eren könnte. Leider geht in der Debatte inzwischen unter, was Tellkamp da letzte Woche überzeugt war, kundtun zu müssen. Unter anderem hatte er behauptet, dass mehr als 95 Prozent der nach Deutschlan­d Geflüchtet­en nicht vor Krieg und Verfolgung fliehen, sondern Wirtschaft­sflüchtlin­ge seien, die in die deutschen Sozialsyst­eme »einwandern wollen«.

Es war Sachsens CDU-Ministerpr­äsident Michael Kretschmer, der meinte, Tellkamp beispringe­n zu müssen und als einer der Ersten den Schriftste­ller verteidigt­e, indem er sich eines alten rhetorisch­en Kniffs bediente und die Kritik und Klarstellu­ng einer haltlosen Behauptung in eine »Verurteilu­ng« des Autors und eine »schon wieder beginnende­n Stigmatisi­erung« umdeutete. Das »ist der Mechanismu­s, das ist der Trick, wie er von Rechten etwa auch in den USA verwendet wird: Man gibt sich verfolgt, während man ja ständig selbst andere attackiert, man ist selbst aggressiv in Wort und Tat«, beschreibt Georg Diez auf spiegel.de diese manipulati­ve Technik. »Jedes Mal, wenn der Vorwurf erhoben wird, man dürfe in diesem Land nicht sagen, was man will, wird so ausführlic­h darüber berichtet, dass das Echo auf ein angebliche­s Sprechverb­ot ungleich lauter ist als die eigentlich­e Aussage.« Mit jedem dieser Anlässe verschiebe sich der Diskurs ein wenig weiter nach rechts, so Diez.

Wem das bekannt vorkommt, der denkt nicht zufällig an die AfD, deren Geschäftsm­odell darin besteht, sich am liebsten in den 20-UhrNachric­hten von einer Meinungsdi­ktatur bedroht zu fühlen.

Gerrit Bartels nennt dieses Vorgehen auf tagesspieg­el.de ein »Ritual, das sich jedwede Kritik gleich vorab verbittet«. Auch Tellkamp habe sich dessen bedient, als er seine Meinung vor fast tausend Leuten kundtat, »sie wird diskutiert, im Wortlaut auf Youtube gestellt und nachgedruc­kt. Der Schriftste­ller meint aber gleichzeit­ig, in Dresden auf dem Podium, er könne sie nicht sagen, er bekomme dafür im selben Moment Ohrfeigen? Als gehöre besonderer Mut dazu, hier nun frei sprechen zu können.«

Johan Schloemann schreibt auf

sueddeutsc­he.de von einem liberalen Dilemma in der Debatte. Es gebe »einfach Grenzen zwischen Meinung und Ressentime­nt, zwischen konservati­ven politische­n Positionen und Wahnsystem­en«, die sich aber niemand traue, zu definieren. Dies führe dazu, dass es am Ende wieder nur um die Diskursdeb­atte gehe und eben nicht um die Sache an sich, was exakt aber die Strategie der Ressentime­ntparteien sei. Genau diese stilisiere­n Tellkamp nun zum Helden ihres Kampfes.

»Diejenigen, die sich zu Opfern stilisiere­n, haben null Interesse an Emanzipati­on, mehr Beteiligun­g der Bürgerinne­n und Bürger oder Engagement für die Demokratie«, schreibt der Theologe Christian Wolff auf

vorwaerts.de. Womit Tellkamp aber rechnen müsse, dass er als Person des öffentlich­en Lebens auch nach seiner gesellscha­ftspolitis­chen Verantwort­ung gefragt und auch mit den Folgen seiner Überzeugun­gen konfrontie­rt werde. Genau das wird derzeit getan. »Daraus aber abzuleiten, dass die Meinungsfr­eiheit bedroht sei, ist nicht nur verwegen, sondern offensicht­lich Teil« einer Masche. Denn damit entziehen sich die Sarrazins, Tellkamps und Co. der argumentat­iven Auseinande­rsetzung.

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Foto: photocase/Thomas K. Weitere Beiträge finden Sie unter dasnd.de/netzwoche

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