Es geht aufwärts, aber nicht für alle
Das Wiener Institut für Internationale Entwicklung prognostiziert ungleich verteilten Aufschwung für Osteuropa
Die Wachstumsraten für viele osteuropäische Länder waren 2017 gut, in den kommenden zwei Jahren soll es noch besser werden. Doch der Aufschwung hat auch Schattenseiten. Fast schon euphorisch klangen die Ökonomen des renommierten Wiener Instituts für Internationale Entwicklung (WIIW), als sie auf der jährlich stattfindenden Pressekonferenz ihre Prognose für Osteuropa abgaben. Schon 2017 war, das Wachstum betreffend, das beste Jahr seit Langem; und für 2018 und 2019 soll es in den meisten Ländern weiter bergauf gehen. Ein genauerer Blick auf die Zahlenreihen zeigt allerdings, dass der Aufwärtstrend regional und vor allem sozial ungleich verteilt ist.
Die höchsten Wachstumsraten werden in den kommenden zwei Jahren – neben der Türkei – Rumänien und Albanien mit jährlich knapp mehr als vier Prozent prophezeit, die freilich beide von einem niedrigen Niveau ausgehen. Verglichen damit hält die Euro-Zone bei zwei Prozent. Als Triebkräfte des Wirtschaftswachstums orten die Wiener Ökonomen vor allem den Konsum; Investitionen kommen erst danach, gefolgt von Einkünften aus Tourismus und Rücküberweisungen von Arbeitsmigranten.
Auffällig ist die Investitionsfreudigkeit in Polen, die fast ausschließlich auf den öffentlichen Sektor zurückgeht, während private Investoren zurückhaltender sind. Der Tourismus wächst zurzeit auch in Ländern, in denen er bislang keine große Rolle gespielt hat. Albanien, Bosnien oder Mazedonien profitieren dabei von der politischen Unsicherheit klassischer Tourismusziele wie der Türkei oder Ägypten. Der für manche Länder sehr hohe Anteil von Rücküberweisungen durch Auswanderer spiegelt ihre periphere Rolle am Weltmarkt wider.
Millionen Osteuropäer haben ihre Heimat auf der Suche nach einem besseren Leben verlassen. Der bereits seit Jahren spürbare Facharbeitermangel führte in der Folge dazu, dass die Löhne im Osten seit dem Krisenjahr 2008 markant gestiegen sind. Ein Vergleich dieser Lohnsteigerungen mit dem allgemeinen Wirtschaftswachstum macht allerdings klar, dass der Wachstumsgewinn ungleich verteilt ist. Denn während das Bruttoinlandsprodukt in Tschechien oder der Slowakei im Vergleich mit Deutschland oder Österreich seit 2010 stark gewachsen ist, stagnierten die Löhne in Tschechien bzw. wuchsen wesentlich langsamer in der Slowakei. Ähnliches zeigt sich in den drei baltischen Län- dern sowie in Rumänien. In Ungarn, Polen und Slowenien hingegen hielt die Lohnentwicklung mit dem Wirtschaftswachstum Schritt.
Den heimischen Arbeitskräftemangel versuchen Länder wie Polen, Tschechien und die Slowakei mit dem Import billiger ukrainischer Werktätiger zu kompensieren. Sie folgen damit einer Empfehlung des Internationalen Währungsfonds. »Ukrainer sind zum Kernstück des polnischen Arbeitsmarktes geworden«, meint Studien-Autor Richard Grieveson; und GUS-Experte Valery Astrov nannte die Zahl von zwei Millionen Ukrainern, die zurzeit in Polen leben und (legal bzw. illegal) arbeiten. Mehr als 75 Prozent aller polnischen Aufenthaltsbewilligungen werden am Konsulat in Kiew ausgestellt. Der ständige Zufluss solcher billigen Arbeitskräfte hält auch die Struktur der osteuropäischen Ökonomien aufrecht, die als verlängerte Werkbänke für Westkonzerne fungieren. Ein Vergleich zwischen Tschechien und Österreich bestätigt dies eindrucksvoll. In Tschechien steht der Faktor Produktion an erster Stelle; er ist von vergleichsweise geringer Wertschöpfung. Demgegenüber überwiegen in Österreich Arbeiten in Konzernzentralen, Forschungsabteilungen und in der Logistik.
Ein Indikator der Abhängigkeit ist die öffentliche Verschuldung. Sie hat in den vergangenen zehn Jahren in allen untersuchten 22 Ländern des Ostens zugenommen. In der Ukraine stiegen die Schulden von zehn Prozent des Bruttoinlandsprodukts auf 78 Prozent. Einzig die Türkei war in der Lage, den Schuldenberg zu reduzieren.
Am Schluss ihrer Ausführungen konnten die Ökonomen des WIIW nicht umhin, die ganz großen Risikofaktoren zu nennen, die nicht nur ihre Prognose, sondern die weltwirtschaftlichen Verflechtungen bedrohen. Dazu gehören ein möglicher Handelskrieg zwischen den USA und China oder anderen Blöcken, die drohende Ost-West-Spaltung der Europäischen Union und die Ukrainekrise.
Der bereits seit Jahren spürbare Facharbeitermangel führte dazu, dass die Löhne im Osten seit 2008 markant gestiegen sind.