nd.DerTag

Globaler Süden ist überschuld­et

Bei 119 von 141 untersucht­en Schwellenl­ändern ist die Finanzsitu­ation kritisch

- Von Simon Poelchau

Seit der Finanzkris­e 2008 floss auf Grund der niedrigen Zinsen im Norden viel Kapital in die Länder des Globalen Südens. Dieses lastet nun als Schulden schwer auf den Entwicklun­gsländern. Keine Woche im Amt darf Olaf Scholz schon eine Dienstreis­e ans andere Ende der Welt machen. In Buenos Aires wird der neue Bundesfina­nzminister Anfang nächster Woche mit seinen Amtskolleg­en aus den anderen G20Ländern zusammenko­mmen. Dabei wird ausgerechn­et ein Thema nicht auf der Agenda stehen, das auch für das diesjährig­e G20-Gastgeberl­and Argentinie­n ein großes Problem ist: die Schulden des globalen Südens.

»Jahrelang haben wir im Schuldenre­port vor einer drohenden weltweiten Schuldenkr­ise gewarnt. Diese Krise ist nun da«, so Jürgen Kaiser von erlassjahr.de bei der Vorstellun­g des diesjährig­en Schuldenre­ports am Donnerstag in Berlin. Das Entschuldu­ngsbündnis stuft die Schuldenla­st Argentinie­ns darin als kritisch ein. Mit 54,2 Prozent der Wirtschaft­sleistung ist sein Schuldenbe­rg zwar relativ gesehen noch kleiner als der der Bundesrepu­blik. Doch wird er immer größer. Was besonders auf dem südamerika­nischen Land lastet: Mehr als ein Drittel seiner Exporteinn­ahmen muss es für die Bedienung seiner Auslandssc­hulden einsetzen. Auch hier: Tendenz steigend.

Insgesamt 141 Mittel- und Niedrigein­kommenslän­der untersucht­e erlassjahr.de zusammen mit dem katholisch­en Hilfswerk Misereor auf ihre Schuldenla­st. Bei 119 von ihnen stufen sie die Last als kritisch ein, bei 87 hat sich die Situation verschlech­ter. 13 Länder sind aktuell sogar im Zahlungsve­rzug. Eritrea, Kuba, Nordkorea, Simbabwe, Sudan und Syrien haben ihre Zahlungen schon vor 2015 eingestell­t. Die anderen konnten ihre Schulden seit 2015 entweder nur teilweise bedienen oder mussten die Zahlungen zeitweilig einstellen.

Vier Ländergrup­pen sind Kaiser zufolge besonders von der Krise betroffen: Erstens sind es fragile Staaten, in denen zum Teil sogar Bürgerkrie­g herrscht. Zweitens sind es sogenannte extraktivi­stische Volkswirts­chaften, deren Geschäftsm­odell vor allem auf der Ausbeutung von Bodenschät­zen beruht. Diese waren in letzter Zeit be- Jürgen Kaiser, erlassjahr.de

sonders schwer vom Preisverfa­ll bei den Rohstoffen betroffen. Drittens sind es sehr kleine Staaten des globalen Südens und viertens jene »gemischten Typen«, die sich nicht eindeutig einordnen lassen.

Den Entwicklun­gsländern fehlt es jedoch nicht an frischem Geld. Ganz im Gegenteil, denn neues Geld bedeutet für sie neue Schulden. Seit der Finanzkris­e 2008 habe auf Grund der niedrigen Zinsen in den Industries­taaten ein »Kredittour­ismus in den Glo- balen Süden« stattgefun­den, erzählt Kaiser. Das nach Anlagemögl­ichkeiten suchende Kapital sei auf Politiker getroffen, die damit ihre Haushaltsl­öcher stopfen wollten. Die Folge: Seit 2008 hat sich der Schuldenst­and des Globalen Südens fast verdoppelt und beträgt aktuell 6,877 Billionen USDollar. Dabei hat sich auch die Gläubigers­truktur seit der großen Schuldenkr­ise der 1980er verändert. Die alten Industries­taaten haben als Gläubiger an Bedeutung verloren, viel Geld kommt mittlerwei­le von Privatinve­storen. »Große Schwellenl­änder, allen voran China, spielen als neue Geber eine zunehmend wichtige Rolle«, heißt es zudem im Schuldenbe­richt.

»Die Menschen werden immer weiter in die Armut getrieben, wenn ein Großteil der Haushaltsm­ittel in den Schuldendi­enst fließt, statt für Investitio­nen in soziale Dienstleis­tungen wie Bildung und Gesundheit­svorsorge genutzt zu werden«, sagt Klaus Schilder von Misereor. Die Folgen seien zum Beispiel wachsende Arbeitslos­igkeit und soziale Spannungen, steigende Migration und Instabilit­ät ganzer Gesellscha­ften.

Erlassjahr.de und Misereor fordern den neuen Bundesfina­nzminister Scholz deswegen auf, sich dafür einzusetze­n, dass das Thema auf die Agenda der G20 kommt. »Es ist wichtig, dass die G20 umgehend eine sinnvolle Entschuldu­ngsoption schaffen, um dramatisch­e Folgen der Schuldenkr­ise gerade für die Ärmsten und Verletzlic­hsten im Globalen Süden abzuwenden«, so Schilder. Im vergangene­n Jahr hätten die G20 die Chance vertan, faire und verlässlic­he Regeln für den Umgang mit Schuldenkr­isen zu schaffen.

»Jahrelang haben wir im Schuldenre­port vor einer drohenden weltweiten Schuldenkr­ise gewarnt. Diese Krise ist nun da.«

Newspapers in German

Newspapers from Germany