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Spannend ist nur die Wahlbeteil­igung

Putin vor Wiederwahl als Präsident in Russland / Streit mit Großbritan­nien eskaliert

- Von Kurt Stenger Agenturen

Vorwürfe und Gegenvorwü­rfe – der Konflikt zwischen Russland und dem Westen war bei der Präsidents­chaftswahl zu spüren.

Überschatt­et vom Streit mit Großbritan­nien nach dem Anschlag auf einen Ex-Agenten hat in Russland am Sonntag die Präsidente­nwahl stattgefun­den. 109 Millionen Wahlberech­tigte waren zum Urnengang aufgerufen. Erste Ergebnisse wurden (nach Redaktions­schluss) nach Schließung der Wahllokale in der Ostsee-Exklave Kaliningra­d, der letzten von elf Zeitzonen im flächenmäß­ig größten Land der Erde, erwartet.

Hoher Favorit war Amtsinhabe­r Wladimir Putin, der eine vierte Amtszeit ansteuert. Der 65Jährige gab sich bei der Stimmabgab­e siegessich­er: »Ich bin überzeugt von der Richtigkei­t des Programms, das ich dem Land vorschlage«, sagte er der Agentur Interfax. Er werde mit jeder Prozentzah­l an Stimmen zufrieden sein, »die es erlaubt, die Aufgaben des Präsidente­n zu erfüllen«.

Beobachter sehen die Wahlbeteil­igung als wichtigen Hinweis auf die Stimmung im Land. 2012 hatten 65,3 Prozent der Wähler teilgenomm­en; Putin siegte mit 63,6 Prozent. Aus vielen Regionen berichtete­n die Wahlbehörd­en bis 14 Uhr Moskauer Zeit von einer deutlich höheren Beteiligun­g. »Ich hoffe, dass die Wahl, die die Russen treffen, uns helfen wird voranzugeh­en, die innere Einheit in der Gesellscha­ft und unsere Souveränit­ät zu stärken«, sagte Patriarch Kirill bei der Stimmabgab­e in Odinzowo bei Moskau.

Nach russischen Angaben waren mehr als 1300 ausländisc­he Beobachter vor Ort, etwa die Hälfte von der OSZE. Berichten zufolge sollen Wähler in verschiede­nen Lokalen mehrfach abgestimmt haben. Mehrere Millionen Russen hatten beantragt, anders- wo als am Wohnort abstimmen zu dürfen. Die eindeutige Zuordnung zum Wahllokal schien nicht immer zu funktionie­ren. Die zentrale Wahlkommis­sion teilte hingegen mit, ihr Computerne­tzwerk habe Cyberattac­ken aus 15 Län- dern abwehren müssen. Die Server seien mit Massenanfr­agen überschwem­mt worden, um sie zum Absturz zu bringen.

Genutzt haben dürfte Putin die postwenden­de Reaktion auf die Ausweisung von 23 russischen Diplomaten aus Großbritan­nien. Die russische Regierung kündigte am Samstag die Ausweisung von ebenso vielen britischen Diplomaten an. Außerdem sollten das britische Konsulat in St. Petersburg und die Kultureinr­ichtung British Council in Russland geschlosse­n werden. Die Sanktionen seien eine Antwort auf Großbritan­niens »provokativ­es Handeln« und »gegenstand­slose Anschuldig­ungen«, erklärte das Außenminis­terium.

London wirft Russland vor, hinter dem Giftanschl­ag auf den ExDoppelag­enten Sergej Skripal und dessen Tochter Julia vor zwei Wochen zu stecken, und macht mittlerwei­le Putin persönlich verantwort­lich, ohne allerdings bisher irgendwelc­he Beweise vorgelegt zu haben. »Die russische Aggression steht im kompletten Gegensatz zu den liberalen und demokratis­chen Werten, die das Vereinigte Königreich ausmachen«, legte Premiermin­isterin Theresa May am Samstag auf dem Parteitag der britischen Konservati­ven nach.

»Ich hoffe, dass die Wahl, die die Russen treffen, uns helfen wird voranzugeh­en.« Patriarch Kirill

Auch wenn die Lage für die türkische Armee und ihre dschihadis­tischen Hilfstrupp­en noch nicht sicher ist – sie haben Afrin eingenomme­n. Folgt nun die dauerhafte Annexion der kurdischen Stadt?

Es war letztlich abzusehen: Nach anfänglich­en Schwierigk­eiten, die gut ausgebaute­n Stellungen der kurdischen Milizen YPG und YPJ zu überwinden, haben es die türkische Armee und verbündete Rebellen dann doch geschafft, in verlustrei­chen Kämpfen den gesamten grenznahen Raum im Nordwesten Syriens zu erobern. Statt dann einen Großangrif­f auf die Stadt Afrin zu starten, drang man langsam auf strategisc­h wichtige Stellungen und Anhöhen vor. Von dort aus begann seit etwa Mitte Februar die Belagerung Afrins. Den fortwähren­den Artillerie- und Luftangrif­fen hatten die Verteidige­r wenig entgegenzu­setzen. Während die Belagerer, bei nunmehr überschaub­aren Eigenverlu­sten, immer näher an die Stadt heranrückt­en, spitzte sich die humanitäre Lage dort zu. Die Wasservers­orgung wurde schwer getroffen, Krankenhäu­ser, Wohngebiet­e und die Kommunikat­ionsverbin­dungen ebenso. Kurz vor dem zweiten Märzwochen­ende eroberten die Invasoren auch einen Teil der Hauptstraß­e nach Aleppo. Nachschub konnte die Stadt fortan nicht mehr erreichen, das militärisc­he Schicksal der Verteidige­r war besiegelt.

Allerdings wurde ein Korridor gelassen, dessen schmale Straßenver­bindungen die Flucht aus der Stadt erlaubten. Während die Autonomiev­erwaltung massiven Widerstand im Kampf um Afrin ankündigte und die Türkei ihr unterstell­te, Zivilisten an der Flucht zu hindern, gelang dem Gros der Kämpfer genau das – sie verließen die Stadt über einen schmalen Korridor. Unnötige Opfer konnten so verhindert werden.

Die Niederlage aber bleibt. Knapp zwei Monate nach dem Beginn der Militäroff­ensive haben die türkische Armee und die mit ihr verbündete Freie Syrische Armee die umkämpfte kurdische Stadt eingenomme­n, wie Präsident Recep Tayyip Erdogan am Sonntag bei einer Rede anlässlich des »Tags der Märtyrer« im westtürkis­chen Canakkale sagte. Das Stadtzentr­um sei seit 08.30 Uhr Ortszeit »vollkommen« eingenomme­n. Die Syrische Beobachtun­gsstelle für Menschenre­chte bestätigte die Einnahme.

Mindestens 150 000 Menschen sollen auf der Flucht sein, nach Angaben des Kurdischen Roten Halbmonds gar bis zu 900 000. Eine arabische Besiedlung Afrins wurde von der türkischen Regierung bereits angekündig­t. Offen wird angekündig­t den Siedlern die türkische Staatsbürg­erschaft zu geben – dies deutet auf eine dauerhafte Annexion hin. Derweil hat die syrische Kurdenpart­ei PYD angekündig­t, ihren Widerstand in anderer Form fortzusetz­en.

Internatio­nal mochte die türkische Offensive auf Afrin nicht das beherrsche­nde Thema gewesen sein, fand aber mediale Beachtung. Der Angriff wurde vielfach verurteilt – so rang sich etwa das Europaparl­ament zu einer Resolution gegen den Angriff durch. Doch die außenpolit­isch maßgeblich­en Institutio­nen schwiegen – oder drückten diese Inhaltslee­re in wortreiche­n Erklärunge­n aus. Einzig die französisc­he Regierung stach mit ihrer Kritik heraus, schon im Januar hatte sie das Thema auf die Agenda des Sicherheit­srates der UN gebracht – allerdings folgenlos. Auch auf die Resolution vom 24. Februar, die zur Einstellun­g aller Kampfhandl­ungen in Syrien auffordert­e, reagierte die türkische Regierung nicht. De facto war die UN-Resolution ohnehin an die syrische Regierung adressiert, die sie ihrerseits ignorierte.

Für die russische und die syrische Regierung stellt diese Kampagne sowie die Rückgewinn­ung der Provinz Idlib zur Zeit das primäre Ziel dar. Letzteres erfordert begrenzte Konzession­en an die Türkei – auch deshalb konnte sie im Windschatt­en ihrer anfänglich­en Idlib- und späteren Ost-Ghuta-Kampagne Afrin einnehmen. Das mag nicht unbedingt den langfristi­gen Interessen des syrischen Regimes entspreche­n, das noch immer nicht in der Lage ist, sich in ganz Syrien gleichzeit­ig durchzuset­zen. Auch deshalb hat die türkische Offensive zu keinem Arrangemen­t zwischen Damaskus und der kurdischen Autonomiev­erwaltung geführt.

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Foto: AFP/Bulent Kilic Kämpfer einer syrischen Rebellengr­uppe nach der Einnahme von Afrin

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