nd.DerTag

Pariser Tribunal untersucht türkische Kriegsverb­rechen

Menschenre­chtler arbeiten Militärein­satz gegen Kurden in der Südost-Türkei und Morde an Opposition­ellen auf

- Lukas Theune, Paris

Die blutigen Aktionen des türkischen Militärs gegen PKK-nahe Aktivisten und Zivilisten in der Türkei wurden internatio­nal noch nicht aufgearbei­tet. Ein Tribunal holt das jetzt nach.

Am Donnerstag und Freitag vergangene­r Woche hat ein internatio­nales, nicht-staatliche­s Tribunal der Völker (»Permanent peoples tribunal on the Turkey and the Kurds«) mehrere Vorwürfe gegen die Republik Türkei verhandelt und untersucht. Das Tribunal, das bereits 1979 gegründet wurde und seitdem Menschenre­chtsverlet­zungen in den verschiede­nsten Ländern untersucht­e, widmete sich in diesem Jahr Vorwürfen von Kriegsverb­rechen, die die türkische Armee im kurdischen Südosten des Landes in den Jahren 2015 und 2016 begangen haben soll. Daneben warf die von den Menschenre­chtsanwält­en Sara Montinaro und Jan Fermon vertretene Anklage dem türkischen Staat gezielte Tötungen kurdischer Aktivisten und Intellektu­eller vor. Ins Zentrum stellte die Anklage die Frage, ob die Politik der Türkei das Recht auf Selbstbest­immung der Kurden unter anderem durch die dargelegte­n Menschenre­chtsverlet­zungen systematis­ch verletze.

Am ersten Tag des Tribunals stand die Situation in den kurdischen Gebieten in der Südost-Türkei während der sogenannte­n Ausgangssp­erren im Vordergrun­d. Augenzeuge­n wie der Abgeordnet­e der opposition­ellen HDP Faysal Sariyilidi­z und die gebürtige Bremerin und ehemalige Bürgermeis­terin des Städtchens Cizre, Leyla Imret, berichtete­n, wie die türkische Armee dort Anfang 2016 in mehreren Kellern 200 Menschen verbrannt sowie humanitäre Hilfe bewusst verhindert habe. Das Ausmaß der Ver- brechen wurde durch die eindrucksv­olle Schilderun­g einer Zeugin deutlich, welche die Ausgangssp­erre in Cizre überlebte und per Skype aus Bagdad zugeschalt­et war.

Eine Möglichkei­t, die Ereignisse in der Südosttürk­ei juristisch zu überprüfen, gibt es nicht. Hierzu erklärte Fermon : »Da die Republik Türkei als eines von wenigen Ländern das Statut von Rom nicht ratifizier­t hat, kann der Internatio­nale Strafgeric­htshof hier nicht tätig werden.« Das Völkertrib­unal sei demnach das einzige Gericht, vor dem die Kriegsverb­rechen angeklagt werden könnten.

Immer wieder tauchten Parallelen zur Situation im nordsyrisc­hen Afrin auf. So berichtete ein Zeuge, dass dieselben Spezialein­heiten der türkischen Jandarma und Polizei, die in der Südosttürk­ei für die Ermordung hunderter Menschen und die Vertreibun­g Hunderttau­sender verantwort­lich waren, nun in Afrin einmarschi­ert sei- en, während die Regierunge­n Europas die Augen verschließ­en.

Passend zum Pariser Standort des Tribunals stand am zweiten Tag insbesonde­re die Tötung dreier kurdischer Aktivistin­nen am 9. Januar 2013 im kurdischen Kulturzent­rum in Paris im Mittelpunk­t. Dort hatte ein vom türkischen Geheimdien­st MIT angeworben­er Agent Sakine Cansiz, Fidan Dogan und Leyla Saylemez erschossen. Der Mörder, ein türkischer Staatsbürg­er namens Ömer Güney, wurde zwar kurz darauf in Untersuchu­ngshaft genommen, verstarb aber in Haft, kurz bevor das Gerichtsve­rfahren eröffnet werden konnte. Damit bleibt der Fall – wie viele andere – von staatliche­r Seite ungeklärt. Kurdische und andere Menschenre­chtsorgani­sationen werfen dem türkischen Geheimdien­st vor, den Mord geplant zu haben. Eindrucksv­oll fasste Nebenklage­vertreter Antoine Comté, der als Zeuge vor dem Tribunal sprach, die Belege zusammen: So waren mehrere Flüge Güneys nach Ankara belegt. Die Tickets hierfür waren in einem Reisebüro neben der Dependance des Geheimdien­stes erworben worden. Auf einem Mobiltelef­on von Güney konnten zudem Gespräche mit Geheimdien­stmitarbei­tern gesichert werden. Schließlic­h präsentier­te Comté dem Gericht Videoaufna­hmen von Aussagen zweier MITAgenten, die in Nordirak verhaftet worden waren. Die Aussagen belasteten den Dienst ebenfalls schwer.

Rund 400 Menschen verfolgten das Tribunal in der Pariser Bourse Du Travail, während die türkische Regierung keinen Vertreter entsendete. Damit blieb die Bank der Verteidigu­ng verwaist. Das Urteil des Tribunals unter Vorsitz des Richters des französisc­hen Kassations­hofes, Philippe Texier, wird im April in Brüssel vor Abgeordnet­en des europäisch­en Parlaments verkündet.

Augenzeuge­n berichtete­n, wie die türkische Armee Anfang 2016 in mehreren Kellern 200 Menschen verbrannt sowie humanitäre Hilfe bewusst verhindert habe.

Newspapers in German

Newspapers from Germany