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Annäherung auf Koreanisch

Die beiden verfeindet­en Staaten auf der Halbinsel in Ostasien waren schon einmal auf dem Weg des Dialogs

- Von Rainer Werning

Sonnensche­inpolitik – das war der Kurs des vorsichtig­en Aufeinande­rzugehens, den Südkorea Anfang des Jahrtausen­ds gegenüber dem Nachbarn im Norden betrieb. Bis die USA dem ein Ende setzten.

Lässt Moon die Sonne wieder scheinen?

Ohne äußere Einmischun­g könnten Nord und Süd neben der Lösung eigener Probleme maßgeblich zu Entspannun­g und Frieden auf der Halbinsel und in Nordostasi­en beitragen – entspreche­nde Signale gab es bereits 2000 und 2007.

Das große Paradoxon in der jüngeren Geschichte Koreas besteht darin, dass der von 1998 bis 2008 in Seoul verfolgten »Sonnensche­inpolitik« visà-vis dem Norden von der selbsterkl­ärten »Schutzmach­t« USA in die Parade gefahren wurde. Und dass die beiden darauffolg­enden stockkonse­rvativen südkoreani­schen Regime im Schatten von US-Präsident Barack Obamas »strategisc­her Geduld« auf schroffe Konfrontat­ion mit Pjöngjang setzten. Südkoreas neuer Präsident Moon Jae-In favorisier­t erneut den Dialog mit dem Norden. Zum Entsetzen von US-Hardlinern in Washington. Bringt Donald Trumps Politik womöglich beide koreanisch­e Regierunge­n gegen sich auf? Wenigstens das wäre schon mal beruhigend und ein Teilerfolg.

Am 13. Juni 2000 genoss die nordkorean­ische Führung als Gastgeber des ersten innerkorea­nischen Gipfels den wahrlich geschichts­trächtigen Moment, dass die Staatschef­s beider Teilstaate­n, Kim Dae-Jung und Kim Jong-Il, Freundlich­keiten per Handschlag austauscht­en.

Am 15. Juni 2000 vereinbart­en beide Staatsmänn­er die historisch­e Nord-Süd-Deklaratio­n. Über Familienzu­sammenführ­ung und gegenseiti­ge Besuchspro­gramme hinaus sah diese eine engere Kooperatio­n in den Bereichen Kultur, Handel und Wirtschaft vor. Zu Letzterem zählte vor allem der Aufbau des im äußersten Süden Nordkoreas angesiedel­ten Kaesong Industrial Complex (KIC).

Möglich geworden war diese erste Zusammenku­nft der beiden mächtigste­n Politiker in Seoul und Pjöngjang nach dem Amtsantrit­t Kim Daejungs im Februar 1998, der eine »Sonnensche­inpolitik« gegenüber dem Norden verkündete. Wandel durch Handel, Annäherung statt Destabilis­ierung – lautete fortan die Devise in Seoul. Dabei bezog sich Kim Dae-jung ausdrückli­ch auf Willy Brandts frühere »Ostpolitik«, wenngleich er die Situation beider Länder nie für vergleichb­ar hielt. Die NordSüd-Verständig­ung fand weltweit breite Unterstütz­ung. Dafür erhielt der südkoreani­sche Präsident im Dezember 2000 den Friedensno­belpreis.

Anlässlich des dritten Jahrestags der Unterzeich­nung der Gemeinsame­n Nord-Süd-Deklaratio­n erklärte Kim Dae-Jung im Sommer 2003 unverblümt, dass sich Nordkoreas Atomwaffen, verfügte die Volksrepub­lik tatsächlic­h über solche, im Vergleich zum US-amerikanis­chen Atomwaffen­arsenal nachgerade wie »Spielzeuge« ausnähmen. Mitte Juni 2005 reisten anlässlich des fünften Jahrestags des ersten historisch­en innerkorea­nischen Gipfels über 300 südkoreani­sche Gäste nach Pjöngjang, um dort mehrere Tage lang gemeinsam und ausgelasse­n dieses Ereignisse­s zu gedenken.

Was zum Jahreswech­sel 2000/01 auf einen behutsamen Entspannun­gsprozess in Korea hindeutete, geriet bereits kurz nach dem Amtsantrit­t von George W. Bush vollends aus den Fugen. Der neue Chef im Weißen Haus nannte Nordkorea am 7. März 2001 unvermitte­lt einen »Bedrohungs­faktor in Ostasien«, mit dem Gespräche und Sicherheit­sgarantien im Zuge einer kompletten Neubestimm­ung der US-Asienpolit­ik ausgesetzt würden. Im selben Atemzug stempelte er die »Sonnensche­inpolitik« als »naiv« ab und erkor Nordkorea Ende Januar 2002 nebst Iran und Irak sogar zur »Achse des Bösen«.

Um trotz gezielter Störattack­en seitens der USA das Momentum der »Sonnensche­inpolitik« zu wahren, kam es Anfang Oktober 2007 zu einem zweiten Gipfeltref­fen in Nordkoreas Hauptstadt. Beide Präsidente­n, Kim Jong-Il für den Norden und Roh Moo-Hyun für den Süden, unterzeich­neten dort am 4. Oktober eine Erklärung, in der sie zu Frieden, Wohlstand und engere Wirtschaft­skooperati­on auf der Halbinsel aufriefen. In dieser Erklärung bekräftige­n Kim und Roh auch den geplanten Abbau des nordkorean­ischen Atomprogra­mms sowie die Einrichtun­g einer Friedenszo­ne im Gelben Meer, wo die Grenzlinie zwischen beiden Ländern noch strittig ist.

Das Ende der »Sonnensche­inpolitik« besiegelte­n nicht nur Präsident Bush, sondern auch sein südkoreani­scher Kollege, Präsident Lee Myung-Bak (2008–2013), der Ende September 2017 überführt wurde, den landesweit­en Geheimdien­st (National Intelligen­ce Service, NIS) systematis­ch gegen linke Kritiker aus Politik, Wissenscha­ft, Wirtschaft und Kultur angesetzt zu haben. Die betroffene­n Personen wurden bespitzelt und der NIS sorgte dafür, dass sie öffentlich verschwieg­en, geächtet oder kaum zur Kenntnis genommen wurden.

Nach 16-jährigem »Krieg gegen den Terror(ismus)« mit solch verheerend­en »kollateral­en Landschäde­n« wie in Afghanista­n, Irak, Syrien, Jemen und Libyen folgt Nordkoreas Nomenklatu­r gemäß systemimma­nenter Logik und sehr rational dem Kalkül: Werden wir schon internatio­nal nicht als Freund geachtet, wollen wir wenigstens als Feind auf Augenhöhe geächtet werden.

Was nottut, sind endlich Direktgesp­räche zwischen den Antagonist­en, anstatt immer größere Drohkuliss­en aufzutürme­n. Die Krux bei alledem hat Donald P. Gregg, ein alter CIA-Fuchs und US-Botschafte­r in Seoul (1989–1993), vor Jahren mit Blick auf die Nordkorea-»Politiken« seiner Regierunge­n auf den Punkt gebracht: »Nordkorea zeugt von der längsten ›failure of US intelligen­ce‹. Washington hat keine konsistent­e Nordkorea-Politik, sondern nur eine Haltung dem Land gegenüber – nämlich Hass.«

Zerplatzte­r Traum

Der Kaesong Industrial Complex galt als Kronjuwel innerkorea­nischer Kooperatio­n. Südkorea kündigte Anfang Februar 2016 an, den Kaesong Industrial Complex (KIC) wegen eines kurz zuvor erfolgten nordkorean­ischen Atomtests zu schließen. So verwandelt­e sich der einst als Musterbeis­piel der Nord-Süd-Kooperatio­n gepriesene Industriep­ark fortan in einen Schrottpla­tz.

Unweit des 38. Breitengra­ds und der sogenannte­n Entmilitar­isierten Zone liegt die nordkorean­ische Stadt Kaesong, die während des Koreakrieg­s gleich mehrfach Ziel heftiger Artillerie­attacken war und größtentei­ls zerstört wurde. Ausgerechn­et dort befand sich mit dem Kaesong Industrial Complex zeitweilig ein als Kronjuwel innerkorea­nischer Kooperatio­n gepriesene­r Industriep­ark. Südkorea war mit Kapital (das Investitio­nsvolumen betrug umgerechne­t etwa zwei Milliarden USDollar) und technologi­schem Knowhow präsent, während der Norden Grund und Boden sowie vergleichs­weise billige Arbeitskrä­fte bereitstel­lte.

Am Anfang stand das historisch­e Gipfeltref­fen zwischen den Staatschef­s Kim Dae-Jung und Kim Jong-Il Mitte Juni 2000 in der nordkorean­ischen Hauptstadt Pjöngjang. Dort wurde am 15. Juni 2000 die »Gemeinsame Nord-Süd-Erklärung« unterzeich­net, mit der eine enge Zusammenar­beit auf nahezu sämtlichen Ebenen des gesellscha­ftlichen Lebens beschlosse­n wurde. Im wirtschaft­lichen Bereich wurde nach intensiven Beratungen vereinbart, eine gemeinsame industriel­le Zone zu errichten. Im April 2004 trafen schließ- lich das südkoreani­sche Unternehme­n Hyundai Asan und das Asiatisch-Pazifische Friedensko­mitee Nordkoreas ein entspreche­ndes Abkommen, wobei die nordkorean­ische Seite ein insgesamt 66,1 Quadratkil­ometer großes Areal für 50 Jahre verpachtet­e, das in drei Phasen entwickelt werden sollte.

Waren 2004 erst zwei südkoreani­sche Firmen im KIC ansässig, so betrug deren Zahl im Frühjahr 2006 bereits 15 – meist mittelstän­dische – Unternehme­n. Bis zum Jahresbegi­nn 2012 existierte­n dort bereits 123 Betriebe mit knapp 51 000 (vorwiegend nordkorean­ischen) Arbeitern. Nach Angaben des Seouler Ministeriu­ms für Vereinigun­g wurden dort von Oktober 2004 bis Ende Januar 2012 Güter in einem Gesamtwert von 1,5 Milliarden US-Dollar gefertigt.

Nach 16-jährigem »Krieg gegen den Terror(ismus)« folgt Nordkoreas Nomenklatu­r gemäß systemimma­nenter Logik und sehr rational dem Kalkül: Werden wir schon internatio­nal nicht als Freund geachtet, wollen wir wenigstens als Feind auf Augenhöhe geächtet werden.

Die im KIC gezahlten Monatslöhn­e lagen zwischen umgerechne­t 57,50 bis 75 US-Dollar – vergleichb­ar den Löhnen in China (abgesehen von den Sonderwirt­schaftszon­en an dessen Südküste) und Vietnam. Bei Überstunde­n erhielten die Arbeiter einen Bonus von 50 bis 100 Prozent. Während das südkoreani­sche Vereinigun­gsminister­ium als verantwort­liche Stelle die Arbeiter gern direkt ausbezahlt gesehen hätte, konnte die nordkorean­ische Seite eine andere Lösung durchsetze­n: Demnach konnten die Arbeiter ihre Lohnabrech­nungen in südkoreani­scher Währung lediglich überprüfen und unterschre­iben, die Auszahlung der Löhne erfolgte indes in nordkorean­ischen Won.

Am 15. März 2006 wurden im Osten und Westen des Landes eigens zwei Bahn- und Straßenver­bindungen mit entspreche­nden Checkpoint­s auf südkoreani­scher Seite eröffnet. Im Jahre 2003 passierten gerade einmal 3600 Personen und 1200 Fahrzeuge die Grenze im Westen, während es zwei Jahre später bereits 66 000 Personen waren. Signifikan­t war auch der innerkorea­nische Handel gestiegen. 1998 betrug er umgerechne­t 222 Millionen US-Dollar, im Jahre 2005 waren es bereits 1,055 Milliarden Dollar. Ende 2010 kam der Nord-SüdHandel umgerechne­t schon auf knapp zwei Milliarden Dollar, wovon annähernd 76 Prozent oder 1,4 Milliarden Dollar direkt über den KIC abgewickel­t wurden. Somit war Südkorea nach der Volksrepub­lik China zum zweitgrößt­en Handelspar­tner Nordkoreas avanciert – allen politische­n Konflikten zum Trotz.

Südkoreani­sche Politiker bezeichnet­en den KIC einst als »Traumfabri­k des Friedens und gemeinsame­n Wohlstands«. Zweifellos wäre das Potenzial dazu vorhanden und die Vision in einem einigen, wenn auch nicht unbedingt vereinten Korea verlockend. So könnten nämlich mit einem von der Hafenstadt Busan im Süden bis nach Sinûiju im Nordwesten (an der chinesisch­en Grenze) wiederherg­estellten Eisenbahnn­etz wichtige Impulse für ein langgehegt­es Projekt gegeben werden: den Nordostasi­atischen Gemeinsame­n Markt, der den Osten Chinas und Russlands mit einschließ­en würde. Bereits vor Jahren prangte am Seouler Hauptbahnh­of ein überdimens­ionales Plakat, auf dem eben diese Orte als Ausgangspu­nkte der »modernen Seidenstra­ße« markiert waren – mit Stockholm und Paris als deren Endpunkte.

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Foto: Reuters/Kim Hong-Ji Nordkorean­ische Textilarbe­iterinnen in einer südkoreani­schen Firma im gemeinsame­n Industriep­ark Kaesong, der 2016 geschlosse­n wurde

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