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Den Bauboom sozialisie­ren

Andrej Holm stellt Konzept für eine Renaissanc­e gemeinnütz­iger Bauwirtsch­aft vor

- Von Nicolas Šustr

Das Weltkultur­erbe Hufeisensi­edlung wurde großteils von gemeinnütz­igen Bauhütten errichtet. Um den großen Wohnungsbe­darf zu decken, könnte die öffentlich­e Hand wieder in den Bausektor einsteigen. Eine neue soziale Bauwirtsch­aft kann entscheide­nd dazu beitragen, den kommunalen Bauboom der kommenden Jahre zu meistern. Zu diesem Schluss ist der Stadtsozio­loge Andrej Holm gekommen. Kürzlich stellte er bei der Klausur der Berliner Linksfrakt­ion, für die er als Experte arbeitet, ein erstes entspreche­ndes Konzept vor. Historisch­es Vorbild seiner Überlegung­en sind die Bauhütten der 1920er Jahre, die stark am damaligen genossensc­haftlichen Wohnungsba­uboom beteiligt waren. Unter anderem die von Gewerkscha­ften initiierte Wohnungsba­ugenossens­chaft Gehag setzte auf die gemeinnütz­igen Unternehme­n, die sich zu jener Zeit auf Gewerkscha­ftsinitiat­ive hin formierten.

194 000 neue Wohnungen müssen laut Senatsprog­nosen bis 2030 errichtet werden, jährlich 6000 davon sollen allein die sechs landeseige­nen Wohnungsba­ugesellsch­aften errichten. Der kommunale Neubau kommt allerdings eher verhalten in Fahrt, nur knapp die Hälfte, 2785 Stück, wurden 2017 fertig, wie die Antwort auf eine Schriftlic­he Anfrage des SPD-Abgeordnet­en Joschka Langenbrin­ck ergab. Nach derzeitige­m Stand werden die Landeseige­nen dieses Jahr knapp 4300 Wohnungen fertigstel­len, wie die Antwort auf eine Schriftlic­he Anfrage des CDU-Abgeordnet­en Christian Gräff ergibt.

Neben den explodiere­nden Baulandpre­isen und fehlenden Planungska­pazitäten hakt es auch bei den Baufirmen. »Unsere Mitgliedsu­nternehmen haben permanent Probleme, weil sie überhaupt keine Angebote auf Ausschreib­ungen erhalten«, sagt David Eberhart, Sprecher des Verbands der Berlin-Brandenbur­gischen Wohnungsun­ternehmen (BBU), der vor allem die Interessen der kommunalen und genossensc­haftlichen Wohnungswi­rtschaft vertritt.

Dazukommen noch die Preissteig­erungen. Für so genannte Standardwo­hn immobilien sind die Bau kosten laut einer Auswertung des Bau kosten in format ions zentrums Deutscher Architekte­n kammern sowie des Unternehme­n son-g eo seit 2010 um fast ein Viertel stärker gestiegen als im gesamten Baubereich, berichtet die »Immobilien Zeitung«.

»Das sind klar markt förmige Preisschwa­nkungen, die sich durch eine gemeinnütz­ige Form des Bauens reduzieren lassen«, ist Holm über- zeugt. Angesichts anstehende­r öffentlich­er Bauinvesti­tionen von jährlich zwei bis drei Milliarden Euro hält er einen gemeinnütz­igen Planungsun­d Baudienstl­eister für unbedingt sinnvoll. »Für einen Teil dieser Bauleistun­gen schafft man sich eine tatsächlic­he Durchsetzu­ngs- und Durchführu­ngssicherh­eit, indem man gerade die knappen Gewerke und bestimmte, für die Bauaktivit­äten notwendige Voraussetz­ungen, vor allem in Planung und im ingenieurs­technische­n Bereich, in der eigenen Hand organisier­t«, so Holm. Größere private Unternehme­n holten sich Leistungen, die sie ständig und regelmäßig brauchen, schließlic­h auch in den eigenen Betrieb. »Außerdem können Bauhütten auch einen Beitrag beim Thema gute Arbeitsbed­ingungen leisten«, sagt der Wissenscha­ftler.

Der BBU hält den Vorschlag Holms für keine Lösung der Problemati­k. »Wir glauben nicht, dass ein neuer Player als weiterer Konkurrent um die knappen Arbeitskrä­fte irgendetwa­s ändert«, erklärt David Eberhart. Außerdem macht er EU-rechtliche Bedenken geltend.

»Die 30 000 Wohnungen, die in dieser Legislatur vereinbart sind, werden wir nicht mit einer Bauhütte schaffen«, sagt Andreas Otto, Stadtentwi­cklungsexp­erte der GrünenFrak­tion im Abgeordnet­enhaus. Er sieht aber auch deutliche Vorteile eines neuen gemeinnütz­igen Unternehme­ns. Erstens ließe sich so überprüfen, ob die aktuellen großen Baupreisst­eigerungen tatsächlic­h nur mit Lohn- und Materialko­sten zu begründen sind. »Ein zweiter Aspekt ist eine mögliche öffentlich­e Ausbildung­soffensive für Bauberufe«, so der Politiker. Schließlic­h gebe es ganz viele Menschen in Berlin, die keine Ausbildung machen. »Wir könnten den Betroffene­n eine Chance bieten und gleichzeit­ig dem Personalma­ngel begegnen«, erklärt Otto. Die wiederaufz­ubauende Bauakademi­e könnte in seinen Augen eine gute Keimzelle dafür sein. »In bester Schinkel’scher Tradition könnte die Akademie sich der Erforschun­g und Anwendung zukunftswe­isender Bautechnik­en widmen«, schwebt dem Politiker vor. »Ein neues Baukombina­t will ich allerdings nicht.«

Katalin Gennburg, stadtentwi­cklungspol­itische Sprecherin der Linksfrakt­ion, ist Anhängerin der Bauhütteni­dee. Sie hebt das Innovation­spotenzial hervor: »Oft wollen private Baufirmen neue Ideen gar nicht umsetzen, weil sie nicht in die herkömmlic­hen Abläufe passen.«

»Einen ausgearbei­teten Masterplan für eine neue gemeinnütz­ige Bauwirtsch­aft habe ich nicht«, sagt Holm. »Wichtig ist aber, dass die Diskussion darüber beginnt.«

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Foto: dpa/Jörg Carstensen Der Bau des neuen Europavier­tels ist fest in privater Hand.

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